Studie untersucht Wie lassen sich die deutschen Exportüberschüsse verringern?

Viel zu tun: Der deutsche Exportüberschuss sorgt für Arbeit am Hamburger Hafen – und anderswo für Kritik. Quelle: imago images

Deutschland steht wegen seiner chronischen Handelsbilanzüberschüsse unter internationalem Druck. Eine noch unveröffentlichte Studie geht der Frage nach, was derartige Überschüsse senken kann – und was nicht.

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Es ist eine Zahl von hoher Brisanz. Auf 229 Milliarden Euro belief sich Deutschlands Exportüberschuss laut Statistischem Bundesamt im vorigen Jahr. Seht her, sagen die einen, so gefragt sind deutsche Qualitätsprodukte in der Welt! Für die anderen ist der weltweit höchste Saldo von Ein- und Ausfuhren der Beleg, dass unser Wohlstand wie in keinem anderen Land am Tropf der Exportindustrie hängt.

Keine Frage der Perspektive ist hingegen, dass dieser Umstand international auf Widerstand stößt – und das nicht erst seit Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist. „Die anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands“, notieren die fünf Wirtschaftsweisen im Tonfall größtmöglicher Neutralität im aktuellen Jahresgutachten, „haben international immer wieder Kritik hervorgerufen“.

Was aber ist zu tun, um die Handelsbilanz besser auszubalancieren? Dieser Frage sind jetzt die Ökonomen Ansgar Belke, Steffen Elstner und Svetlana Rujin in einer noch unveröffentlichten Studie des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung nachgegangen („Growth Prospects and the Trade Balance in Advanced Economies”, Ruhr Economic Papers 827).

Mitautor Belke, Professor für Makroökonomik, sagt: „Häufig lautet die Forderung, Deutschland müsse die öffentlichen Investitionen ausweiten, um diesen Überschuss abzubauen“. Dieser Ansatz aber greife zu kurz. Grund: Ein Konjunkturprogramm kurbelt die heimische Nachfrage allenfalls temporär an und verpufft anschließend. Die Wirkung staatlicher Ausgaben versiegt nach wenigen Jahren.

Die Autoren nehmen stattdessen eine andere volkswirtschaftliche Größe in den Blick: das Wachstumspotenzial. Internationaler Währungsfonds und Europäische Kommission fordern schon lange, Deutschland müsse die Wachstumsaussichten und Produktivität seiner Volkswirtschaft steigern, um die Unwucht in der Handelsbilanz zu beseitigen.

Ausgangspunkt der Studie ist ein makroökonomisches Phänomen: Die Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft verbessern sich, wenn die dort ansässigen Unternehmen neuartige Technologien hervorbringen. Investitionen werden rentabler, der Bedarf an gut qualifizierten (und entsprechend entlohnten) Arbeitskräften steigt – und damit auch die Wertschöpfung auf dem Heimatmarkt.

Beispiel Kodak. Das US-Unternehmen erhielt 1978 das Patent für seine Digitalkamera. Sie sollte die Welt der Fotografie revolutionieren. Doch es dauerte elf Jahre, bis die Firma ihr Produkt auf den Markt brachte und Milliardenumsätze machte.

Unternehmen und Verbraucher antizipieren dies und passen ihr Geschäft und ihr Konsumverhalten frühzeitig an. In Erwartung künftiger Gewinne und höherer Gehälter investieren und konsumieren sie mehr und sparen weniger. Da Wertschöpfungsketten stark global vernetzt sind, steigt zudem die Nachfrage nach Gütern aus dem Ausland. Das schlägt sich in der Handelsbilanz nieder: Die Importe steigen stärker als die Exporte. Soweit die Theorie.

Den Ökonomen geht es in ihrer aktuellen Analyse um Innovationen, die sich nicht sofort am Markt durchsetzen, dafür aber über einen langen Zeitraum bleibenden Wert und Wohlstand schaffen. Mitautorin Rujin sagt: „Uns interessieren Innovationen, die nach und nach auf dem Markt ankommen und langfristig das Produktivitätsniveau erhöhen.“ Die Makroökonomen betrachten also die Innovationskraft ganzer Volkswirtschaften. Die daraus resultierenden Wachstumsaussichten leiten sie in einem aufwändigen statistischen Verfahren aus der Arbeitsproduktivität ab, also dem realen Bruttoinlandsprodukt gemessen an den geleisteten Arbeitsstunden.

In den USA ist die so gemessene Beziehung zwischen technologischem Fortschritt und Handelsbilanz über den gesamten Zeitraum der Analyse (1970 bis 2016) stabil: Die Innovationskraft der dortigen Unternehmen hält die Wachstumsaussichten offenbar so konstant hoch, dass sich Investitionen in besonderem Maße lohnen. Gleichzeitig sind die amerikanischen Verbraucher äußerst konsumfreudig. Die Sparquote ist gering. In Kombination führt das zum anhaltend hohen Handelsbilanzdefizit der USA, das Trump so sehr beklagt.

In Deutschland hingegen „klemmt dieser Mechanismus“, wie Ko-Autor Belke sagt. Die Studie zeigt: Hierzulande löst technologischer Fortschritt zwar ebenfalls Investitionsschübe aus, aber nur auf Sicht weniger Jahre. Nach spätestens fünf Jahren fallen Investitionen und Konsum auf ihr Ursprungsniveau zurück. „Deshalb ist auch der Effekt auf die Handelsbilanz begrenzt“, sagt Belke.

Die Ergebnisse weiterer Industriestaaten bestätigen: Bessere Wachstumsaussichten verschieben nicht per se Gewichte in der Handelsbilanz in die erwünschte Richtung. Den Gründen dafür geht die Studie nicht en detail nach. Belke vermutet: „Damit aus einem höheren Wachstumspotenzial ein geringerer Handelsbilanzüberschuss folgt, müssten die Anreize für Investitionen, auch von ausländischen Unternehmen, verbessert werden.“

Genügend Ansatzpunkte gäbe es, findet Belke: Wettbewerbshürden für Dienstleister senken. Unternehmenssteuern reformieren und den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen. Modernisierung und Instandhaltung der öffentlichen Infrastruktur in den Haushalten von Bund und Ländern priorisieren. Die berufliche Weiterbildung verbessern.

Den Sachverständigenrat wissen die Studienautoren damit auf ihrer Seite. In ihrem Jahresgutachten plädieren die fünf Wirtschaftsweisen für „wachstumsfördernde Reformen“. Schaffe es die Politik, den Standort Deutschland attraktiver für Investitionen zu machen, „dürfte dies zu einem Rückgang des Leistungsbilanzsaldos beitragen“.

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