Handelsblatt Clubgespräch Hannelore Kraft und der Schulz-Effekt

Zwei Monate vor den Wahlen sind alle Augen auf Nordrhein-Westfalen gerichtet. Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann und Ex-Wirtschaftsminister Bodo Hombach ziehen im Wirtschaftsclub eine überraschend positive Bilanz.

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Beim Handelsblatt Wirtschaftsclub haben von Alemann und Hombach deswegen über Zukunft, Vergangenheit und Perspektiven für das 17 Millionen-Einwohner-Land.

Düsseldorf Kasernenstraße 67, keine 700 Meter Luftlinie bis zum nordrhein-westfälischen Landtag – im Stammhaus der Verlagsgruppe Handelsblatt schlägt die Stunde großer Politik. Zumindest wird darüber gesprochen. Gut 100 Mitglieder des Handelsblatt Wirtschaftsclubs hofften am Mittwochabend auf klärende Antworten, vielleicht sogar Lösungen für die drängendsten Probleme ihres Bundeslandes. Schließlich hatte Hans-Jürgen Jakobs, Senior Editor des Handelsblatts, mit Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann und Ex-NRW-Wirtschaftsminister Bodo Hombach (SPD) zwei echte Nordrhein-Westfalen-Kenner eingeladen.

NRW – der Flächenstaat ist ein Hort vieler Probleme. Das Land spaltet sich. Nicht nur sozial, auch wirtschaftlich. Während der Großraum zwischen Düsseldorf und Köln und Regionen wie das Münsterland oder Südwestfalen boomen, bleibt das Ruhrgebiet ein schwarzer Fleck. Mit seiner schwindenden Industrie, überdurchschnittlicher Arbeitslosenquote, erhöhtem Armutsrisiko und prekären Stadtteilen ist es seit Jahrzehnten auf besondere Unterstützung angewiesen.

Zusätzlich verweilt NRW in zahlreichen Ländervergleichen immer noch auf den letzten Plätzen. Kaum ein Bundesland investiert so wenig Geld in die Ausbildung seiner Schüler. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge wurden 2014 rund 5900 Euro pro Schüler in die Ausbildung investiert. Im Bundesdurchschnitt waren es 6700 Euro. Aber auch beim Wirtschaftswachstum, beim Schuldenabbau und bei der Kinderbetreuung steht NRW schlechter da als andere Länder. Eine eigentlich harte Ausgangslage für ein Podiumsgespräch, zwei Monate vor der so genannten „Kleinen Bundestagswahl“. Die Ergebnisse in NRW gelten stets als wegweisend für die Bundestagswahlen. Das Interesse um den Vormachtskampf im Rheinland ist dementsprechend hoch.

Beim Handelsblatt Wirtschaftsclub haben von Alemann und Hombach deswegen über Zukunft, Vergangenheit und Perspektiven für das 17 Millionen-Einwohner-Land geredet. Ihre Bilanz fällt überraschend positiv aus. Schließlich sei die Wirtschaft im vergangenen Jahr nach einer Nullrunde 2015 auch wieder gewachsen, betont von Alemann. Ein Plus von 2,1 Prozent im ersten Halbjahr 2016, damit liegt NRW auf Platz acht der Bundesländer und nur 0,2 Prozentpunkte unterhalb des bundesdeutschen Durchschnitts. „Für mich ist das Glas eher halb voll als halb leer“, bekräftigt der Politikwissenschaftler. Da musste der ein oder andere Gast dann doch schmunzeln, manch einer gar verständnislos mit dem Kopf schütteln.

Die Prognose für das gesamte Jahr liegt allerdings erst Ende des Monats vor. Dass das Land trotzdem unter seinen Möglichkeiten liege, konnte von Alemann dann allerdings nicht abstreiten, als Moderator Hans-Jürgen Jacobs ihn auf die überdurchschnittlich hohe pro-Kopf-Verschuldung, die außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit und das eben immer noch unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum des Landes aufmerksam machte.

„Ich leide darunter, dass wir in NRW in so vielen Punkten Schlusslicht sind“, pflichtete Hombach bei. Aber das sei eben auch ein Appell für größere Anstrengungen. „In der Vergangenheit gab es zu wenig faktische Gestaltung“, jetzt müsse man Geld in die Hand nehmen. Und das passiere ja auch: „Der Wirtschaftsminister hat angekündigt, 1,4 Milliarden Euro in die Infrastruktur im Land zu stecken.“ Das sei genau der richtige Weg. Schließlich seien die Nordrhein-Westfalen schon immer mit dem Motto gegangen: „Wir haben zwar größere Probleme als andere, aber wir schaffen das schon.“ Hombach bezieht sich dabei an seine Zeit unter Johannes Rau im Jahr 1985.


Ein freiwilliger Akt der Selbstverzwergung?

„Das waren ja auch andere Zeiten unter Rau“, wirft Jacobs ein. Mittlerweile werde immer wieder der Vorwurf laut, NRW habe seinen Einfluss in Berlin verloren. Auch weil Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) alle Ambitionen auf Bundesebene schon vor Jahren ausgeschlossen habe. „Quasi ein freiwilliger Akt der 'Selbstverzwergung'?“, fragt Jacobs mit Verweis auf ein Zitat von Kraft-Herausforderer Armin Laschet (CDU).

„Man kann den Einfluss in Berlin auch auf anderen Wegen geltend machen. Zum Beispiel bei der Auswahl der Kabinettsmitglieder“, kontert Hombach. Von Alemann sieht das etwas skeptischer. Früher seien auch NRW-Politiker aus der Bundespolitik ins Land gekommen wie „Zukunftsminister“ Jürgen Rüttgers (CDU) oder sie drängten in die Hauptstadt wie die SPD-Größen Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Krafts Aussage sei eine Absage an NRW als bundesweite Wirkungsstätte gewesen. „Das hätte sie nicht tun sollen“, sagt von Alemann. In den Umfragewerten hingegen schadet es der SPD-Vorsitzenden allerdings kein bisschen. Aktuell liegen die Sozialdemokraten bei 38 Prozent. „Oder profitiert auch Kraft vom 'Schulz-Effekt?'“, fragt Jacobs.

Bei dem Wort wird von Alemann vorsichtig. Man müsse sich etwas zurückhalten mit Prognosen. Schließlich sei der „Schulz-Effekt“ nichts wirklich messbares. Was man allerdings beobachten könnte sei, dass „Schulz gerade heilende Salbe auf alte sozialdemokratische Narben“ schmiere. Damit mache er bislang allerdings Symbolpolitik ohne konkrete Inhalte. Der ehemalige SPD-Politiker Hombach sieht die Gründe für den Hype um den Ex-Parlamentspräsidenten aus Brüssel woanders. „Schulz ist innenpolitisch nicht zitierbar. Er kann sich quasi neu erfinden“. Und das sei doch gerade in der heutigen Zeit der Parteienverdrossenheit unbezahlbar.

Auch die anwesenden Clubmitglieder bemängelten in anschließender Runde, früher, da habe man sich noch richtig mit den Parteien identifiziert, die man gewählt hat. Heute wähle man sie zwar noch, aber so richtig Begeisterung sei eben nicht mehr da. Hombach führt diesen Umstand auf das verschwommene Profil vieler Parteien zurück. „Wenn die Vorsitzende des eigentlich rechten französischen Front National, Marine Le Pen, sich mit Wladimir Putin trifft, ist das sicherlich für viele Linke verwirrend.“ Es herrsche eine Phase der Verunsicherung, in der viele Wähler auf der Suche sind und sich neu verorten wollen. Und da käme Martin Schulz doch jetzt genau richtig.

Am Ende merkt ein Gast noch an, dass das Gespräch jetzt aber doch sehr „harmonisch“ gewesen sei. Da muss Jacobs ihm recht geben. Aber schließlich wollte man hier auch keine Wahlkampfveranstaltung inszenieren. Trotzdem: Die erhofften Antworten auf die drängendsten Fragen blieben aus. Hombach ist ja auch längst nicht mehr im aktiven Geschäft.

Aber ein Politiker bleibt eben ein Politiker. Und so versucht Hombach natürlich, die SPD-geführte Landesregierung in bester Politikermanier in Schutz zu nehmen. Oder wie er so schön sagte: „Wenn wir keine Probleme hätten, könnten wir nicht über Lösungen nachdenken.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

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