Handelsblatt-VWL-Ranking 2017 Die neuen Stars der Volkswirtschaftslehre

Mehr als 3000 Ökonomen aus dem deutschsprachigen Raum wurden für das Handelsblatt-Ranking der forschungsstärksten Volkswirte berücksichtigt. Die Liste der Top 100 zeigt: Auch mit Nischen-Themen kommt man ganz nach oben.

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Aktuelles Forschungsfeld des Göttinger Professors Holger Strulik ist die Gesundheitsökonomie.

Der Göttinger Ökonom Holger Strulik ist in den letzten Jahren ein gewagtes Experiment eingegangen: Er hat sein altes Forschungsfeld – die Wachstumstheorie, bei der er untersuchte, warum einige Länder schneller reich wurden als andere – hintenangestellt und sich einem neuen zugewandt: Der Gesundheitsökonomie. Und das, obwohl der 52-Jährige in seinem bisherigen Bereich ziemlich erfolgreich war.

Doch auch sein neues Wagnis war erfolgreich. Sehr sogar: Im neuen Handelsblatt-Ranking der forschungsstärksten Volkswirte im und aus dem deutschsprachigen Raum liegt Strulik auf dem ersten Rang. Kein anderer Ökonom, der aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kommt oder hier arbeitet, hat in den letzten fünf Jahren so viele so prominente Artikel in namhaften wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wie Strulik. Die Liste aller seiner Veröffentlichungen umfasst inzwischen sechs eng bedruckte Seiten.

Auf Rang 2 liegt Peter Egger von der ETH Zürich, der beim vergangenen Ranking im Jahr 2015 noch Erster war. Platz 3 belegt Christian Dustmann, der am University College London forscht. Auf den Rängen 4 und 5 folgen Florian Scheuer von der Uni Zürich und Matthias Sutter von der Universität Köln.

Ausgangspunkt für Struliks Ausflug in ein neues Fachgebiet war eine alte Theorie, die ihm missfiel: Wenn Ökonomen den körperlichen Zustand von Menschen in ihren Modellen berücksichtigten, dann stellten sie diesen stets als Summe aller Investitionen dar, die diese in ihre Gesundheit getätigt hatten – etwa in Form von Fitnesskursen. Die Mediziner jedoch, so erfuhr Strulik aus Gesprächen, gehen dabei völlig anders vor: Für sie ist der Gesundheitszustand eher die Summe aller Wehwehchen und Krankheiten des ganzen Lebens. Gemeinsam mit seinen auf der ganzen Welt verstreuten Co-Autoren krempelte Strulik die Theorie um und zeigte, dass diese nun viel besser zu den Daten passte.

Was nach abstrakter Theorie klingt, ist meist äußerst konkret: Dass Männer deutlich kürzer leben als Frauen, liege zum allergrößten Teil am Verhalten und nicht an den Genen, zeigte Strulik jüngst in einer seiner Arbeiten, für die er wie so oft Theorie und Empirie verbunden hatte. In einer anderen Studie analysierte er, dass zu Depressionen neigende Menschen oft in Armut leben müssen, weil sich beide Phänomene gegenseitig verschlimmern – und dass sich beide leicht an folgende Generationen weitervererben.

„Als junger Doktorand wäre ich wahrscheinlich nicht das Risiko eingegangen, in einer solchen Nische zu forschen“, sagt Strulik. Doch weil er ja längst eine Professur hat, war ihm dieser Schritt nun möglich. Am Volkswirte-Ranking, das von Forschern der Institute KOF (Zürich) und DICE (Düsseldorf) konzipiert und erstellt wird, nehmen alle zwei Jahre mehr als 3000 Forscher teil. Das Projekt wird inzwischen von einem elfköpfigen Professorenteam wissenschaftlich begleitet und von der Ökonomenvereinigung „Verein für Socialpolitik“ (VfS) unterstützt.

Die Methodik des Rankings ist schlicht: Die Punktzahl eines Forschers ergibt sich aus der Zahl seiner Veröffentlichungen und der Reputation der Fachzeitschriften, in denen er seine Artikel publiziert hat. Internationale Top-Journale wie der American Economic Review bringen einen ganzen Punkt, unbekanntere Journale entsprechend weniger. Insgesamt werden für das Ranking gut 2200 Journale berücksichtigt. Die Wertigkeit der einzelnen Zeitschriften wurde für das neue Ranking neu festgelegt – auch um die Kriterien nachvollziehbarer zu machen.
Unumstritten sind Forscher-Rankings nicht, schließlich müssen stets starke Annahmen getroffen werden, um die Arbeit der Forscher in eine Reihenfolge bringen zu können. Viele Kritiker halten das für grundsätzlich unmöglich – sie sehen Forschung eher wie Kunst an, die sich in keiner Weise neutral bewerten lässt.

Dennoch ist der Stellenwert des Handelsblatt-Rankings in der Szene groß. Wurden an den Unis früher oft die Ziehkinder der Professoren auf neue Stellen befördert, so gelten heute objektivere Kriterien, allen voran die Forschungsleistung, wie sie das Ranking misst. „Die Platzierung in solchen Ranglisten darf natürlich nie das alleinige Kriterium bei Stellenbesetzungen sein“, sagt Friedrich Schneider von der Uni Linz – die Qualität der Lehre und das persönliche Auftreten seien ebenfalls wichtig. „Aber es zeigt uns eben, wer aktiv ist und in einem attraktiven Forschungsfeld arbeitet.“

In seiner Zeit als VfS-Vorsitzender vor zehn Jahren hat Schneider das Ranking mit erfunden. Und obwohl der 68-Jährige niemandem mehr etwas beweisen muss, forscht und veröffentlicht er auch heute noch so viel, dass er weit vorne in der Liste auftaucht: Dieses Mal auf Rang 20.

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