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Handwerkspräsident Otto Kentzler "Ein Beitrag zur Völkerverständigung"

Handwerkspräsident Otto Kentzler über fehlende Azubis, brachliegende Potenziale und neue Zuwanderungsregeln.

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Otto Kentzler Quelle: ZDH/Stegner

WirtschaftsWoche: Herr Kentzler, müssen wir um unsere Brötchen und Buletten fürchten, weil dem Handwerk die Arbeitskräfte ausgehen?

Kentzler: Natürlich nicht. Bäcker oder Metzger aus Leidenschaft sind wieder beliebt, das beschert den Betrieben hoffentlich mehr Nachwuchs. Notfalls können sie auch mit moderner Technik Personalmangel abfedern. Klar ist aber, dass das gesamte Handwerk im vorigen Jahr schon über 10 000 Lehrstellen nicht besetzen konnte. In diesem Jahr setzt sich der negative Trend fort.

Wo ist der Nachwuchsmangel am -spürbarsten?

In den östlichen Bundesländern mit Ausnahme Sachsens sind Azubis besonders schwer zu bekommen. Aber auch im Westen wird es zunehmend eng. In Bayern sinkt die Zahl der Zuzügler etwa aus Thüringen. Zum anderen gehen auch dort immer mehr Jugendliche länger zur Schule und fallen als Bewerber für eine duale Ausbildung aus.

Was sollten Politik und Wirtschaft gegen den Fachkräftemangel unternehmen?

Wir müssen vor allem die vielen brachliegenden Arbeitskräftepotenziale in unserem Land mobilisieren. Viele Handwerksbetriebe punkten mit Familienfreundlichkeit und binden so weibliche Fachkräfte. Wir setzen zudem auf ältere Mitarbeiter, die Betriebe kümmern sich längst um deren Qualifizierung. Vorruhestandsregelungen haben wir stets bekämpft. Und wenn sich jemand fit fühlt, warum soll er nicht länger als 65 oder später 67 arbeiten dürfen?

Ein Dachdecker mit 70 Jahren ist allerdings schwer vorstellbar.

Wieso? Er muss dann doch nicht mehr unbedingt aufs Dach steigen. Aber bei der Überwachung von Baustellen, im Reparaturservice oder bei der Auftragsakquise ist seine Erfahrung wertvoll. Mein Vorschlag: Beschäftigte und Betriebe sollten einvernehmlich regeln, ob eine Arbeit auch über das gesetzliche Rentenalter hinaus möglich ist. Und statt jetzt ohne Not das Rad bei der Rente mit 67 zurückzudrehen, sollte die Regierung die Hinzuverdienstregeln für Teilrenten attraktiver gestalten. So können wir den Fachkräftemangel entschärfen.

Wo sehen Sie sonst noch Potenzial in Deutschland?

Ganz klar bei den Kindern und Enkeln der früheren Gastarbeiter. Jeder dritte Schüler hat heute einen Migrationshintergrund. Zu viele dieser jungen Menschen verpassen in Schule und Ausbildung den Anschluss. Das Handwerk arbeitet verstärkt mit Migrantenverbänden zusammen. Handwerksmeister mit ausländischen Wurzeln gehen als Vorbilder in die Schulen. Wir wollen diesen jungen Leuten helfen, über die Ausbildung in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen.

Industrieverbände fordern zusätzlich mehr Zuwanderung. Wie stehen Sie dazu?

Das Handwerk hat – nach den freien Berufen – in der Wirtschaft den größten Ausländeranteil. Ob russlanddeutsche Zuwanderer oder Zuwanderer auf Zeit wie die Flüchtlinge während des Balkankrieges – wir haben gute Erfahrungen gemacht.

Aber Sie waren gegen eine frühere Freizügigkeit für Beschäftigte aus östlichen EU-Ländern, die nun erst 2011 in Kraft tritt.

Ja. Das Handwerk hat eine Übergangszeit gebraucht. Mit High Tech und gut ausgebildeten Fachkräften können wir inzwischen selbst auf polnischen Baustellen punkten. Umgekehrt möchten viele Betriebe jetzt Azubis aus Polen oder Tschechien holen. Die Handwerkskammer Cottbus zum Beispiel will eine Ausbildungsplatzgarantie bieten, wenn junge Polen sich vorher in einem Kurs deutsche Sprache und Kultur aneignen. Für mich ist dies auch ein Beitrag zur Völkerverständigung.

Welchen Beitrag müsste die Politik beim Anwerben von Ausländern leisten?

Sie sollte vor allem hoch qualifizierten Ausländern helfen, die nach einer Ausbildung oder einem Studium in Deutschland bleiben wollen und einen Arbeitsplatz vorweisen können. Die Verfahren müssen vereinfacht werden. Auch im Handwerk muss es leichter werden, ausländische Fachkräfte einzusetzen, wenn kein deutscher Bewerber verfügbar ist.

Sind Sie für ein systematisches Anwerben von Arbeitskräften im Ausland?

Für das mittelständische Handwerk kommt das nicht infrage. Aber Deutschland muss ein klares Bild von sich in der Welt zeichnen, muss interessanter werden für junge Menschen als Ziel für Ausbildung und Studium. Deutsche Sprache und Kultur müssen präsenter sein im Ausland. Dazu sind die Goethe-Institute prädestiniert. Leider wird aber gerade auch dort gespart.

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