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Hannelore Kraft zu Flüchtlingen in Deutschland "Es wird nicht bei 800.000 bleiben"

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gibt einen bemerkenswert schonungslosen Einblick, was der Flüchtlingsstrom für Länder und Kommunen bedeutet: Krisen-Management zwischen Ausnahmezustand und Überlastung, Ärger und Hoffnung.

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NRWs Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Quelle: dpa

Wenn Zahlen die Geschichte einer Eskalation erzählen können, dann diese: Ende 2012 verfügte das Land Nordrhein-Westfalen über 1800 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Eine Kapazität, die erfahrungsgemäß reichte, um den Verpflichtungen nachzukommen. Nun, etwas mehr als zweieinhalb Jahre später, sind aus 1800 rund 37.000 Erstaufnahmeplätze geworden, was nicht weniger als eine Verzwanzigfachung bedeutet.

Und damit nicht genug. In NRW rechnen die Behörden, allen voran Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) mittlerweile damit, dass es 60.000 Plätze werden müssen. Nicht irgendwann, sondern bis Ende dieses Jahres.

Wo Flüchtlinge in Deutschland wohnen
Autobahnmeisterei Quelle: dpa
Deutschlands höchstgelegene Flüchtlingsunterkunft befindet sich im Alpenvorland Quelle: dpa
Container Quelle: dpa
Bischofswohnung und Priesterseminar Quelle: dpa
Eissporthalle Quelle: Screenshot
Ehemaliger Nachtclub als Flüchtlingsunterkunft Quelle: dpa
Jugendherberge Quelle: dpa


Es gäbe eine „neue Dynamik“, sagte Kraft heute bei einem Auftritt Berlin, und diese habe sich in den vergangenen Tagen „noch einmal gesteigert“. Allein am vergangenen Wochenende hätten Züge aus München 1300 neue Flüchtlinge nach Dortmund und Düsseldorf gebracht. Was gestern noch gesicherte Prognose war, erscheint heute schon überholt; wenn die Verwaltungen glaubten, den Ausnahmezustand halbwegs managen zu können, wachsen plötzlich wieder Zweifel.

Wohncontainer werden knapp

Erst vor wenigen Tagen hatten Bundesinnenministerium und das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingsprognose auf historische 800.000 im Jahr 2015 hochgesetzt. Kraft glaubt unter dem Eindruck der vergangenen Tage nicht mehr, dass diese hohe Zahl die Realität noch ausreichend widerspiegelt. „Wir sind uns alle im Klaren“, sagte sie, „dass es nicht bei 800.000 bleiben wird.“

Was Flüchtlinge dürfen


„Es gibt kaum noch Wohncontainer“, berichtete Kraft weiter, „es gibt keine Betten mehr, wir kaufen nun Matratzen.“ Es sei, so die Regierungschefin offen, eine „sehr schwierige Situation“. Von einem drohenden Kollaps der staatlichen Stellen wollte sie aber ausdrücklich nicht sprechen.

Es war allerdings offensichtlich, dass die Ministerpräsidentin dem Eindruck entgegentreten wollte, mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom Sonntagabend, die Angela Merkel und Sigmar Gabriel am Montag nicht ohne Pathos vorgestellt hatten, seien die Probleme geklärt und vor Ort ausreichend lösbar.

Nichts da, war Krafts Botschaft. Der Bund müsse noch viel stärker in die finanzielle Pflicht genommen werden, endgültig abgerechnet werde erst beim Bund-Länder-Gipfel am 24. September. „Ich muss die Situation vor Ort gebacken bekommen“, sagt Kraft in seltener Offenheit, „und der Bund muss seinen Teil zur Verantwortungsgemeinschaft leisten.“

Mit anderen Worten: Berlin muss nach Ansicht der Länder und Kommunen noch deutlich mehr Geld ausgeben. Die SPD-Politikerin hält weder die drei Milliarden für ausreichend, die der Bund für 2016 versprochen hat, noch die bisherigen Zusagen, um die immens wachsenden Kosten für dieses Jahres auszugleichen.

Hoffnung machte Kraft immerhin das Engagement der Bürger vor Ort. Sie sehe „unglaubliche Freundlichkeit“, die sie stolz mache. „Es ist wirklich bewegend zu sehen, was da passiert.“

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