Hartz IV Endstation Ein-Euro-Job

Wenn es nach Plänen des Arbeitsministeriums geht, sollen Langzeitarbeitslose noch länger als heute als Ein-Euro-Jobber arbeiten. Für die Betroffenen oft ein Nachteil.

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Quelle: dpa

Und wieder soll an den Hartz-IV-Gesetzen herumgedoktert werden: Künftig sollen Langzeitarbeitslose länger Ein-Euro-Jobs verrichten. Das sieht ein Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums für die Änderung des Gesetzes zu Rechtsvereinfachungen bei Hartz IV vor, das derzeit im Bundestag verhandelt wird. Dem Vorschlag zufolge sollen Langzeitarbeitslose nicht nur für maximal 24 Monate Ein-Euro-Jobs übernehmen, sondern wiederholt in solche Maßnahmen gesteckt werden.

Offiziell heißen Ein-Euro-Jobs "Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung". Bisher können Arbeitslose nicht länger als zwei Jahre, verteilt über einen Zeitraum von fünf Jahren, Ein-Euro-Jobs verrichten. Die Arbeitsmaßnahme hat einen Makel: Hat man als Bewerber eine Zeit als Ein-Euro-Jobber im Lebenslauf, sinken automatisch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Das Arbeitsministerium begründet den Vorstoß mit der schwierigen Lage für Langzeiterwerbslose: Ihnen sei es schließlich "auch bei guter Konjunktur kaum möglich, vom Aufbau der Beschäftigung zu profitieren und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen", heißt es in dem Formulierungsvorschlag, wie die Deutsche Presseagentur berichtet. Die Gesetzesänderung soll für Erwerbslose gelten, die innerhalb der letzten zehn Jahre mindestens neun Jahre lang Arbeitslosengeld II bezogen haben.


Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im April dieses Jahres rund 1,03 Millionen Menschen langzeitarbeitslos. Das sind gut 37,4 Prozent der Arbeitslosen insgesamt. Davon hatten im April 75.000 Menschen eine sogenannte Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung. Das sind zwar 14.000 weniger als vor einem Jahr. Trotzdem ist der Anteil der Ein-Euro-Jobber vergleichsweise stabil. Die Statistik der BA erfasst die Zahlen seit dem Jahr 2005. Seither liegt die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Maßnahmen konstant zwischen 200.000 und 300.000 Personen im Jahr. Im vergangenen Jahr waren es 210.000 Menschen, die Zahl der Ein-Euro-Jobber sank in den vergangenen zwei Jahren von knapp 140.000 auf unter 90.000.

Zwangsverrentung ist erlaubt
Verfassungsbeschwerde zum Streikrecht bei Kirchen abgewiesenDas Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat den Versuch der Gewerkschaft Verdi abgewiesen, Streiks und Tarifverträge auch in kirchlichen Einrichtungen durchzusetzen. Mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss wiesen die Karlsruher Richter eine Beschwerde der Gewerkschaft gegen den arbeitsrechtlichen „Dritten Weg“ der Kirchen als unzulässig ab. Durch das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt sei Verdi jedenfalls gegenwärtig nicht „beschwert“. (Az.: 2 BvR 2292/13) Betroffen von dem Streit sind neben den Kirchen vor allem auch deren Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie. Mit zusammen über einer Million Arbeitnehmern sind sie die größten Arbeitgeber Deutschlands. Quelle: dapd
Vorzeitige Zwangsverrentung von Hartz-IV-Empfänger rechtmäßigHartz-IV-Empfänger können von Jobcentern vorzeitig in Rente geschickt werden und müssen dann Abschläge bei der Altersrente akzeptieren. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel fällte ein entsprechendes Grundsatzurteil (Az.: B 14 AS 1/15 R). Damit ist eine vorzeitige Verrentung rechtmäßig. Das Gesetz sehe vor, dass die Jobcenter die Hartz-IV-Empfänger auffordern können, eine vorgezogene Altersrente mit 63 Jahren zu beantragen, wenn bei den Beziehern keine Aussicht mehr auf einen Job besteht. Quelle: dpa
Unfall auf Umweg zur Arbeit in der Regel ArbeitsunfallWenn ein Beschäftigter auf einem Umweg von oder zur Arbeitsstelle verunglückt, ist es nach einer Gerichtsentscheidung in der Regel ein Arbeitsunfall. Es komme darauf an, dass am Ziel festgehalten und die Strecke nur unwesentlich verlängert werde, teilte das Hessische Landessozialgericht Darmstadt am Dienstag mit. Im konkreten Fall hatte ein Lagerist 2011 einen schweren Autounfall. Der Unfallort lag aber nicht auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle. Der Mann hatte angegeben, wegen eines Staus eine andere Route gewählt und sich bei schwierigen Licht- und Wetterverhältnissen verfahren zu haben. Die Berufsgenossenschaft hatte die Anerkennung als Arbeitsunfall abgelehnt – mit der Begründung, dass es für den Umweg keine Gründe gegeben habe. Das Landessozialgericht ließ eine Revision zu (Az: L 3 U 118/13). Quelle: dpa
Raubkopien per Firmenrechner ist KündigungsgrundDas Anfertigen von Raubkopien auf einem Dienstrechner während der Arbeitszeit kann zu einer fristlosen Kündigung führen. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene den Rechner für bestimmte andere private Zwecke nutzen durfte, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am Donnerstag in Erfurt verkündeten Urteil entschied (Az.: 2 AZR 85/15). Im aktuellen Fall waren auf dem Dienstrechner eines IT-Beauftragten an einem Gericht in Sachsen-Anhalt mehr als 6.400 E-Books sowie Bild-, Ton- und Videodateien gefunden worden. Zudem war ein Programm zum Knacken des Kopierschutzes der Hersteller installiert. Als sich dann noch herausstellte, dass der Betroffene von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 dienstliche Rohlinge für die Raubkopien benutzt hatte, kündigte ihm das Land fristlos. Das BAG bewertete die Kündigung als grundsätzlich rechtens und verwies den Fall zur weiteren Sachaufklärung an die erste Instanz zurück. Quelle: dpa
Kündigung nach Entwendung von acht halben Brötchen unwirksamEiner Krankenschwester darf nach 23 Dienstjahren nicht fristlos gekündigt werden, weil sie acht halbe belegte Brötchen aus dem Kühlschrank des Pausenraums genommen und mit ihren Kolleginnen verzehrt hat. Das geht aus einer am 10. Juli veröffentlichten Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg hervor (Az. 27 Ca 87/15). Die Kündigung sei unverhältnismäßig; zuvor hätte eine Abmahnung als milderes Mittel ausgesprochen werden müssen. Die belegten Brötchen waren für externe Mitarbeiter bestimmt, zum Beispiel Rettungssanitäter. Das Arbeitsgericht hielt fest, dass auch die Entwendung geringwertiger Sachen grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könne. Doch sei eine Prüfung des Einzelfalls erforderlich. Dabei sei zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, ob er bei seiner Pflichtverletzung offen oder heimlich gehandelt habe und wie er mit den Vorwürfen umgehe. Die Krankenschwester hatte umgehend eingeräumt, die Brötchen aus dem Kühlschrank genommen zu haben, weil ihr eigenes Essen gestohlen worden sei. Quelle: dpa
Tödlicher Speerwurf ist kein ArbeitsunfallNach dem tragischen Tod eines Speerwurf-Kampfrichters in Düsseldorf ist dessen Witwe mit einer Klage auf Geld aus der gesetzlichen Unfallversicherung gescheitert. Der Tod des 74-Jährigen bei einem Leichtathletik-Meeting im August 2012 sei kein Arbeitsunfall gewesen, entschied das Düsseldorfer Sozialgericht in einem am 20. Mai 2015 veröffentlichten Urteil. Der Mann sei ehrenamtlich als Kampfrichter tätig gewesen und habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. (Az. S 1 U 163/13) Der Kampfrichter war während des Wettkampfes von einem Speer tödlich getroffen worden. Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte die Anerkennung des Unglücks als Arbeitsunfall ab. Auch das Sozialgericht verwies nun in seinem nicht rechtskräftigen Urteil darauf, dass es „keine Berufsgruppe professionalisierter Kampfrichter bei Leichtathletiksportfesten“ gebe. Es habe dem Ehemann der Klägerin freigestanden, an bestimmten Wettkämpfen teilzunehmen oder nicht. Quelle: REUTERS
Keine nachträgliche Urlaubskürzung wegen ElternzeitArbeitgeber dürfen nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses rückwirkend nicht mehr Urlaubsansprüche von Beschäftigten wegen Elternzeit kürzen. Die bis zum Ende des Jobs noch nicht genommenen Urlaubstage müssen voll abgegolten werden, urteilte das Bundesarbeitsgericht am 19. Mai 2015 in Erfurt (Az.: 9 AZR 725/13). Laut Gesetz kann der Urlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden. Das setze allerdings voraus, dass ein Anspruch auf Erholungsurlaub noch bestehe. Dies sei nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr der Fall, teilte das Bundesarbeitsgericht mit. Damit war eine Ergotherapeutin aus Nordrhein-Westfalen wie zuvor bereits in der zweiten Instanz erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht in Hamm hatte der Klägerin eine Urlaubsabgeltung von mehr als 3800 Euro brutto zugesprochen. Quelle: dpa

Problematisch an der Gesetzesnovellierung ist, dass nun viele vor dem Risiko stehen, dauerhaft als Billigjobber herangezogen zu werden. Eigentlich sollen Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung dem Gesetz zufolge wettbewerbsneutral sein, einen zusätzlichen Charakter haben und im öffentlichen Interesse liegen. Schließlich darf es für Arbeitgeber durch diese Form der subventionierten Jobs nicht attraktiv werden, echte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abzubauen und stattdessen auf Ein-Euro-Jobber zu setzen. Immer wieder kommt es aber zu Missbrauch, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zeigt. Gewerkschaften kritisieren diese Maßnahme daher seit Jahren. Unterdessen wurde auch bekannt, dass die Grünen die Pläne ablehnen. Als "Sackgasse und richtiges Abstellgleis" bezeichnete Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer den Vorstoß gegen der Deutschen Presse-Agentur.

Ein-Euro-Jobber sind keine Arbeitnehmer

Für die Betroffenen sind Ein-Euro-Jobs auch so vielfach mit Nachteilen verbunden. Zum einen können die Erwerbslosen auch gegen ihren Willen zu den Tätigkeiten verpflichtet werden. Wer sich weigert, einen Ein-Euro-Job zu übernehmen, muss mit Sanktionen rechnen – dann wird die Grundsicherung entweder gekürzt oder ganz gestrichen. Auch erhalten die Erwerbslosen in den Maßnahmen keinen Arbeitsvertrag, das heißt, sie gelten auch nicht als Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne, was wiederum Auswirkungen auf ihre Rechte und Pflichten hat. Und sie erwerben keine Ansprüche in der Renten-, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, obwohl sie ja einer Arbeit nachgehen.

Dagegen sind Erwerbslose in solchen Maßnahmen vielfach fast in Vollzeit tätig: Im Schnitt arbeiten sie rund 30 Wochenstunden in befristeten Verträgen. Mitunter kommt es auch vor, dass Ein-Euro-Jobber wie Vollzeitkräfte eingesetzt werden – dann aber ist es für sie noch schwerer, sich um die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt zu bemühen. Und grundsätzlich darf der Einsatz als Ein-Euro-Jobber nur das letzte Mittel der Wahl sein. Vorher müssen andere Bemühungen wie Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen erfolgen.

Der Druck auf Langzeitarbeitslose war zuletzt auch bei der Ausnahme vom Mindestlohn verschärft worden. Arbeitgeber dürfen bei ihnen maximal sechs Monate lang den Mindestlohn unterlaufen. Faktisch wird das aber kaum genutzt, wie erst kürzlich bekannt wurde. 2015 stellten die Arbeitsagenturen und Jobcenter gerade einmal 1.990 Bescheinigungen über die Ausnahme beim Mindestlohn aus – das sind nicht einmal 0,3 Prozent der Zielgruppe.

Die Arbeitgeber benötigen diese Dokumente, um bei einer Zollkontrolle belegen zu können, dass sie legal eine Ausnahme vom Mindestlohn machen. Am häufigsten finden Langzeitarbeitslose übrigens über den sogenannten Eingliederungszuschuss zurück in einen Job: Bei dieser Maßnahme übernimmt die Agentur für Arbeit für maximal ein Jahr die Hälfte der Personalkosten. Das macht es wirtschaftlich attraktiv, einen Langzeitarbeitslosen einzustellen.

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