Haschisch für Kranke Cannabis hilft Kranken nur im Einzelfall

Die Freigabe von Haschisch für medizinische Behandlungen war mit hohen Erwartungen verbunden. Jetzt sorgt eine Studie für Ernüchterung. Cannabis hilft danach nur im Einzelfall und ist gemessen am Nutzen viel zu teuer.

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Haschisch gibt es seit März 2017 auch auf Krankenschein, vor allem für Schwerkranke. Die Nachfrage hält sich allerdings in Grenzen. Quelle: dpa

Berlin „Wir freuen uns, dass wir mit Cannabis schwer kranken Menschen seit etwas über einem Jahr eine weitere Therapieoption anbieten können“, sagt Jens Baas. Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK) wünsche sich allerdings „einen normaleren Umgang mit dem Thema“.

Die Freigabe von Cannabis für die Behandlung auf Krankenschein hat im vergangenen Jahr einen Hype ausgelöst. Endlich könne Menschen mit schweren Erkrankungen etwa bei der Schmerztherapie geholfen werden, so die Erwartung. Sie hat sich allem Anschein nach nicht bestätigt. Darauf deutet eine Bestandaufnahme hin, die am Donnerstag die TK zusammen mit der Universität Bremen vorgelegt hat. „Medizinisches Cannabis ist nur selten eine Alternative zu den bewährten Therapien, kann Patienten aber im Einzelfall helfen“, resümiert Baas die Ergebnisse der Studie.

Die Probleme mit dem Haschischeinsatz in der Medizin fangen bei der problematischen Studienlage an. Die vorliegenden Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis als Medizin seien bislang sehr lückenhaft. „Es ist unklar, welchen Patientengruppen Cannabis in welcher Dosis hilft und in welcher Form es am besten verabreicht werden sollte“, so Gerd Glaeske, Pharmakologe an der Universität Bremen. „Zudem stellt uns Cannabis in Bezug auf seine Rolle bei der Behandlung der ganz verschiedenen Krankheiten, bei denen Cannabis untersucht wurde, noch vor viele Fragen.“

Das bestätigt Michael Schäfer, leitender Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie an der Charité in Berlin. „Viele Patienten kommen zu mir, weil sie über medizinisches Cannabis gelesen haben und erwarten nahezu Wunder. Das sind wirklich schwerkranke Menschen, die sich an jeden Strohhalm klammern“, so Schäfer. „Es ist nicht ganz leicht, ihnen dann erst einmal Therapiealternativen anzubieten, mit denen wir bereits bessere oder überhaupt Erfahrungen haben, besonders dann, wenn Cannabis für sie nicht in Frage kommt.“

Kommt Cannabis in Frage, fangen aber die Probleme oft erst an. So muss entschieden werden, in welcher Form der Wirkstoff am besten gegeben wird, wie hoch die Dosierung sein soll oder welche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden können. Cannabisblüten haben dabei ein besonderes Problem: Bei ihnen schwankt der Wirkstoffgehalt sehr stark. „Sorgen bereitet uns, dass weder die mangelnde Evidenz noch die Nebenwirkungen der Therapie in der Öffentlichkeit thematisiert werden“, sagt TK-Chef Baas.

Den großen Run auf das neue Medikament hat es seit Inkrafttreten der Freigabe im März 2017 ohnehin nicht gegeben. Mit rund 2.900 Anträgen im ersten Jahr bei über zehn Millionen TK-Versicherten wird es nicht besonders häufig verordnet. Die Kosten für Cannabis beliefen sich 2017 bei der TK auf rund 2,3 Millionen Euro. Verglichen mit anderen neuen Arzneimitteln ist das nicht besonders hoch. Insgesamt wurde Cannabis in den verschiedenen Darreichungsformen fast 12.000-mal verordnet, zu Kosten von 4,2 Millionen Euro, so Glaeske von der Uni Bremen. Die Zahl der Verordnungen ist Monat für Monat kontinuierlich gestiegen.

Ärgerlich findet Baas die Sonderrolle, die Haschisch seit dem vergangenen Jahr in der medizinischen Versorgung spielt, allerdings trotzdem. „Kein anderer Wirkstoff hat es bislang mit seinem Namen in das Sozialgesetzbuch geschafft und bei näherer Betrachtung kann man sich auch die Frage stellen, warum das so ist.“

So werde mit der aktuellen Regelung das System aus Zulassung, früher Nutzenbewertung und Preisverhandlung, wie es normalerweise für neue Arzneimittel gilt, ausgerechnet für Cannabis komplett umgangen. Stattdessen erhalten die Krankenkassen einen Genehmigungsvorbehalt, der recht unklar definiert ist. Sie sind quasi aufgefordert, die Einnahme zu ermöglichen, wenn „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome besteht.“

Bei anderen neu zugelassenen Medikamente müssen dagegen die Hersteller belegen, dass ihre Produkte einen Zusatznutzen für die Patienten haben im Vergleich zu anderen Therapien. Bei Cannabis dürfte dieser Beweis wegen der schlechten Studienlage schwer fallen. Dennoch darf dies bei Antrag auf Erstattung einer Cannabistherapie kein Ablehnungsgrund der Krankenkassen sein.

Cannabis kann auf unterschiedliche Weise verabreicht werden. Seit 2011 gibt es das Fertigarzneimittel Sativex, das als Spray in den Rachen gesprüht wird. Die gängigsten Formen sind nach dem Gesetz von 2017 jedoch die Cannabisblüten und Dronabinol - ein Öl, das teilsynthetisches THC, den Wirkstoff im Cannabis enthält.

„Wir sehen mehrere klare Vorteile bei cannabinoidhaltigen Arzneimitteln gegenüber dem pflanzlichen Cannabis“, so Glaeske. „Tropfen oder Kapseln sind einfacher einzunehmen als die Cannabisblüten, die umständlich verdampft und über eine Maske eingeatmet werden müssen.“ Der Wirkstoffgehalt von Dronabinol sei „nicht so starken Schwankungen unterlegen, wie der Wirkstoffgehalt in den Cannabisblüten. Die Therapie mit Blüten mutet vielmehr an, wie ein Rückfall in Zeiten vor der Industrialisierung der Arzneimittelherstellung.“

Schäfer ergänzt: „Cannabinoidhaltige Arzneimittel sollten der Anwendung von pflanzlichem Cannabis vorgezogen werden, da pflanzliches Cannabis über 545 verschiedene pharmakologisch wirksame Substanzen enthält, die für ein großes Spektrum an unspezifischen Wirkungen und Nebenwirkungen verantwortlich sind. Erst wenn cannabinoidhaltige Arzneimittel versagen, sollte pflanzliches Cannabis versucht werden.“

Bei der TK wurden 68 Prozent der Anträge auf Dronabinol gestellt, nur 32 Prozent auf die Erstattung von Cannabisblüten. „Wir können die Ärzte an dieser Stelle nicht aus der Pflicht entlassen, wirtschaftlich zu verordnen“, sagt Baas. Immerhin seien die Blüten viermal so teuer wie das Dronabinol.

Die Therapiekosten für die Blüten liegen bei 300 bis 2.200 Euro im Monat. Bei Dronabinolhaltigen Rezepturen verlangen die Apotheker zwischen 70 bis 500 Euro im Monat. Das Cannabis-Mundspray Sativex kostet 31 bis 373 Euro pro Monat und das synthetische Cannabinoid Canemes mit dem Wirkstoff Nabilon bis zu 2000 Euro im Monat. Eine Schmerzbehandlung mit hoch wirksamen Opioid-haltigen Mitteln ist mit 96 bis 234 Euro deutlich günstiger.

Gleichwohl ist der Einsatz von Cannabis in der Medizin inzwischen in Deutschland weitgehend akzeptiert. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der TK befürworten 92 Prozent die neue Regelung. Etwas differenzierter wird das Bild, wenn es darum geht, Cannabis auch bei leichteren Erkrankungen zu verschreiben. Hier sind 47 Prozent der Befragten dafür, während 43 Prozent finden, Cannabis sollte weiterhin nur bei schweren Erkrankungen verordnet werden.

Dass Cannabis ein gutes Medikament ist, weil es pflanzlich ist, glauben 66 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit den Nebenwirkungen. 57 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass Cannabis weniger Nebenwirkungen hat als herkömmliche Medikamente. 61 Prozent glauben, dass Cannabis auch als Medikament schnell süchtig machen kann. Glaeske ist jedoch skeptisch. „Man sollte sich auch hier den alten Grundsatz in Erinnerung rufen: Natur ist nicht von Natur aus gut, auch pflanzliche Arzneimittel können unerwünschte Wirkungen auslösen.“ Denn es gelte: Wenn ein Mittel wirke, seien eben auch Nebenwirkungen zu erwarten.

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