Hasskommentare Facebook-Hetze fordert Schulen heraus

Der Kampf gegen Hasskommentare in den sozialen Medien ist auch in Schulen ein Thema. Viele Pädagogen stehen dem Phänomen aber hilflos gegenüber, klagt der Lehrerverband. Die Politik teilt die Klage, aber nur begrenzt.

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Laut Lehrerverband werden die Risiken, die mit digitalen Kommunikationsplattformen wie Facebook oder Twitter verbunden sind, zum Teil im Informatikunterricht angesprochen. Quelle: dpa

Was die Politik erst seit geraumer Zeit als Problem erkannt hat, ist an deutschen Schulen längst Alltag: Hetze im Netz ist unter Jugendlichen weit verbreitet. Auf Twitter, Snapchat oder Facebook demütigen und beleidigen sich die Schüler gegenseitig. Justizminister Heiko Maas (SPD) versucht nun Hasskommentare in den sozialen Netzwerken per Gesetz einzudämmen. Dabei hat er vor allem die Betreiber der digitalen Kommunikationsplattformen wie Facebook und Twitter im Blick. Sein Gesetzesentwurf zwingt die Unternehmen offensichtlich strafbare Inhalte, wie Verleumdung oder Volksverhetzung innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu löschen, oder zu sperren. Doch die Erfahrung zeigt, dass dies schon heute kaum geschieht.

De facto ist das Netz voll mit teilweise problematischen Inhalten – und es ist nicht absehbar, dass sich das durch eine gesetzliche Regelung künftig in nennenswertem Ausmaß ändern wird. Damit liegt es weiterhin vor allem an den Nutzern, sich der Online-Hetze und anderen problematischen Inhalten wie Falschnachrichten (Fake News) entgegenzustellen – auch und vor allem wenn die Jüngeren betroffen sind. Hier kommen die Schulen ins Spiel.

Der Digitalverband Bitkom mahnte kürzlich die Politik, dafür zu sorgen, dass die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit solchen Inhalten besser vermittelt wird. „Dazu werden die Plattform-Betreiber ihren Beitrag leisten, aber gefragt sind hier vor allem Schulen, Volkshochschulen oder Institutionen wie die Bundeszentrale für politische Bildung. Nur so bringen wir diese Kompetenzen in die Fläche“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Bernhard Rohleder, dem Handelsblatt. Auch die Linken-Vorsitzende Katja Kipping forderte eine bessere Aufklärung an Schulen über Chancen und Gefahren sozialer Medien.

Doch das ist kaum möglich, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, sagt. „Natürlich ist es flankierend Aufgabe von Bildungseinrichtungen, jungen und auch älteren Menschen, Medienmündigkeit zu vermitteln. Dazu gehört es, junge Menschen etwa in der Schule auf die Gefahren, die im Netz lauern, aufmerksam zu machen“, sagte Kraus dem Handelsblatt. Denn mit bestimmten Kommentaren verstoße man nicht nur gegen gute Sitten, sondern auch gegen das Strafgesetzbuch. Allerdings seien nicht alle Lehrer „fit genug, um dieses Thema fachkundig und für die Schüler glaubwürdig zu behandeln“.

Neben Informatiklehrern, brauche „jede Schule mindestens einen Spezialisten oder Beauftragten für diese Fragen“, fordert Kraus. Hierfür bedürfe es einer Fortbildungsoffensive. Das Thema Hasskommentare und Cybermobbing müsse in Fächern wie Politik, Religion, Ethik stärker berücksichtigt werden. Allerdings gebe es noch kaum amtliche Lehrmaterialien.


„Ausgewiesene Experten sind oft total ausgebucht“

Laut Kraus werden die Risiken, die mit digitalen Kommunikationsplattformen wie Facebook oder Twitter verbunden sind, zum Teil im Informatikunterricht angesprochen. In manchen Bundesländern gebe es ab der 6. Klasse das Fach. „Hier wird auch auf die Probleme der Digitalisierung inklusive sozialer Netzwerke eingegangen.“ Viele Schulen machten dazu auch Projekttage und holen sich externe Experten, etwa Spezialisten der Polizei oder von Suchtberatungsstellen. Andere Schulen böten das Thema „Gefahren im Netz“ auch für Elternabende an. „Das Problem ist hier, dass die ausgewiesenen Experten oft total ausgebucht sind“, sagte Kraus.

Die Politik sieht die Situation nicht ganz so gravierend wie sie der Lehrerverbands-Präsident beschreibt. „Die von Herrn Kraus beschriebene Überforderung der Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Hasskommentaren wundert mich schon ein wenig“, sagte der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Bildungs-Ausschuss des Bundestages, Stefan Kaufmann (CDU), dem Handelsblatt. „Ich habe andere Erfahrungen machen dürfen und kenne viele, äußerst toughe Lehrerinnen und Lehrer, die durchaus über die erforderlichen Kompetenzen verfügen.“

Im Übrigen sei der Aufschrei des Lehrerverbandes schon etwas überraschend: Als vor sechs Monaten die Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine digitale Bildungsoffensive von Bund und Ländern im Umfang von fünf Milliarden Euro gefordert habe, sei es Kraus gewesen, „der lautstark kritisierte, dass es eines solchen Programms nicht bedürfe, sondern das Geld besser für die Sanierung von Schultoiletten verwendet werden soll“, so Kaufmann. „Aber ich freue mich natürlich, dass es hier zu einem Erkenntnisgewinn gekommen zu sein scheint.“

Kaufmann spielt auf den milliardenschweren „DigitalPakt#D“ an. Darüber verhandeln Bund und Länder seit Ende Januar - angesichts der komplexen Materie vermutlich noch über viele Monate.

Hinter der Hashtag-Bezeichnung steckt eine „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ - von der frühkindlichen Bildung über Schule, berufliche Bildung und Hochschule bis zur Weiterbildung. In den rund 40.000 staatlichen Schulen in Deutschland soll es möglichst bald losgehen. Das Mindestziel von Bund und Ländern: Schüler sollen mit dem Computer nicht nur „daddeln“, sondern die Technologie sinnvoll und verantwortungsbewusst einsetzen können.

Die Zuversicht ist auf beiden Seiten ist relativ groß. Es geht zunächst um stattliche fünf Milliarden Euro vom Bund - nach Wankas Angaben bereits angemeldet bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), zur Verfügung stehend möglichst bald nach der Bundestagswahl. Damit will Wanka ab 2018 „die Ausstattung der Schulen mit digitaler Infrastruktur unterstützen“ fünf Jahre lang per Anschubfinanzierung unterstützen.


„Ziel muss sein, in die pädagogische Vorhand zu kommen“

Für den SPD-Bildungsexperten Ernst Dieter Rossmann steht außer Frage, „dass im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft Themen wie Cybermobbing, Hasskommentare und Gefahren im Netz in den Schulunterricht mit aufgenommen werden müssen“. Dabei sei Medienbildung gefragt, und Medienpädagogen seien wichtiger denn je. Die digitalen Medien entwickelten sich so rasant, dass es nicht nur eine Herausforderung sei, schnell und kontinuierlich darauf zu reagieren. „Das eigentliche Ziel muss ja sein, in die pädagogische Vorhand zu kommen und grundsätzlich auf zukünftige Entwicklungen vorzubereiten“, sagte Rossmann dem Handelsblatt. Hier sei nicht zuletzt die Kompetenz der Lehrkräfte gefordert.

Umso erfreulicher sei es, so Rossmann weiter, dass die Kultusministerkonferenz 2016 eine Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ entwickelt habe, in der auch die Medienkompetenz der Lehrkräfte eine Rolle spiele. Ganz ist das Thema aber nicht. Medienbildung in der Schule und die damit verbundene Qualifizierung von Lehrern hat die Kultusministerkonferenz schon vor fünf Jahren auf die Agenda gesetzt. „Dabei sollte es für alle Lehrkräfte und in ausreichendem Umfang Fortbildungsseminare hierzu geben“, sagte Rossmann. Für ältere Lehrkräfte sei dieser Schritt oft nicht einfach, „aber dringend notwendig, um junge Menschen überhaupt noch zu erreichen“ fügte der SPD-Politiker hinzu.

Die medienpädagogische Kompetenz von Lehrern sei deshalb auch Bestandteil der vom Bundesbildungsministerium geförderten Qualitätsoffensive in der Lehrerbildung. „Medienbildung muss fester Bestandteil der fachspezifischen Lehrerausbildung jeglicher Stufe sein“, verlangte Rossmann. „Lehrkräfte jeglichen Alters müssen Medienkompetenz besitzen oder diese erwerben.“

Den Digital-Plan von Ministerin Wanka sieht Rossmann dabei aber nur „flankierend“ – quasi als Hilfsinstrument, um die Schulen ausreichend mit den entsprechenden Bildungsmedien auszustatten. „Entscheidend wird dabei sein, dass gerade die Kommunen als der wesentliche Schulträger hier mit einbezogen werden und kommunale Konzepte in Ausstattung und Pflege dieser digitalen erweiterten Lernwelten an allen Schulen mit Verbindlichkeit und nachhaltiger Wirkung erstellt werden“, sagte der SPD-Bildungsexperte.


„Informatik ist zwar ein guter Aufhänger, aber nur eine Insellösung“

Die Grünen plädieren für einen „breiten Ansatz“, um gerade Kinder und Jugendliche vor Hass, Hetze oder Mobbing zu schützen und ihnen „Gegenstrategien“ im Umgang damit an die Hand zu geben. „Das Schulfach Informatik ist zwar ein guter Aufhänger, aber nur eine Insellösung“, sagte der Grünen-Bildungsexperte Kai Gehring dem Handelsblatt. Denn die Digitalisierung wirke in alle Lebensbereiche hinein. „Medienkompetenz und die gute alte Quellenkritik sind das kleine Einmaleins und gehören in jedes Schulfach“, betonte er.

Zur Unterstützung seien zusätzlich unabhängige und kostenfreie Informations- und Beratungsstellen zum Umgang mit Hate-Speech, Fake-News, Cybermobbing, Cyberstalking oder Cybergrooming, die gezielte Kontaktaufnahme von Kindern und Jugendlichen im Internet durch Erwachsene. „Hier sind auch die Plattformbetreiber in der Pflicht ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für den Jugendmedienschutz nachzukommen“, sagte Gehring.

Auch Lehrerverbands-Präsident Kraus warnte davor, allein von den Schulen eine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten auf den Seiten sozialer Netzwerke zu erwarten. Medienerziehung sei zwar für Schulen nichts Neues, „denn Schule hatte immer schon die Aufgabe, junge Menschen fit zu machen für die Unterscheidung einerseits von tolerablen Texten und Bildern und andererseits von medialem Schrott und Müll“, ansonsten sei Erziehung zu Medienmündigkeit aber auch der „Job des Elternhauses“.

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