Hassrede im Netz Facebook-Gesetz auf der Kippe

Noch vor der Bundestagswahl will Heiko Maas sein „Facebook-Gesetz“ durchsetzen. Der Justizminister geht auch davon aus, dass alles klappt. Doch der Gesetzentwurf droht gleich aus mehreren Gründen zu scheitern.

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Berlin/Brüssel Wenn Heiko Maas am Donnerstagabend im Otto-Wels-Saal des Reichstagsgebäudes das Wort ergreift, wird er noch keinen Erfolg verkünden können. Die SPD-Bundestagsfraktion hat zu einer Diskussionsveranstaltung geladen. Unter der Überschrift „Hate Speech und Co.“ soll der Justizminister Auskunft über den „aktuellen Stand der Gesetzgebung“ zu seinem Gesetzentwurf zu Hassbotschaften und strafbaren Falschnachrichten im Netz geben.

Mit besonderer Aufmerksamkeit und am Ende vielleicht sogar mit Gelassenheit dürfte Eva-Maria Kirschsieper den Vortrag von Maas verfolgen. Denn Maas wird der Leiterin Public Policy von Facebook in Deutschland und den anderen Zuhörern nicht sicher sagen können, ob sein striktes Regelwerk noch vor der Bundestagswahl Gesetz werden wird. Mit diesem will er das weltgrößte Online-Netzwerk und andere digitale Kommunikationsplattformen zwingen, wirksamer gegen strafbare Inhalte seiner Nutzer vorzugehen.

Eigentlich wäre Mitte Februar der letzte Termin gewesen, an dem die Bundesregierung – unter Wahrung aller Fristen – ganz regulär noch Gesetze auf den Weg bringen kann. Diesen hat Maas verstreichen lassen. Sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wurde erst Anfang April vom Bundeskabinett gebilligt. Der Minister geht zwar davon aus, dass es der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode beschließt. Doch der enge Zeitplan, erhebliche Änderungswünsche der Koalitionsfraktionen und Kritik der EU-Kommission könnten Maas‘ Plan durchkreuzen. Dann wäre die beabsichtigte Regulierung von Facebook & Co. de facto gescheitert – und die nächste Regierung müsste einen neuen Anlauf nehmen. Was Maas indes wohl in Sicherheit wiegt, ist die Gewissheit, dass die Große Koalition schon länger fordert, härter gegen Hassrede in sozialen Netzwerken wie Facebook vorzugehen.

Eine deutsche Regelung hatten die Fraktionschefs der Koalition, Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD), bereits im vergangenen Jahr gefordert. Doch erst Monate später legte der Minister seinen Gesetzesvorschlag vor. Noch in dieser Woche wird das Gesetz in den Bundestag eingebracht, bestätigte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, dem Handelsblatt. Eigentlich zu spät für eine „ordentliche Beratung eines so wichtigen Gesetzes“, sagte die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne).

Es bleibe fast keine Zeit mehr, um eine öffentliche Anhörungen im Rechtsauschuss zu organisieren. „Die Sachverständigen werden wohl keine Zeit haben, das Gesetz in einer Endfassung zu lesen. Wir Abgeordnete auch nicht.“ Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner sieht es anders. „Der Zeitplan für die Beratung des Gesetzes im Bundestag ist genau getaktet“, sagte er dem Handelsblatt. Nach der ersten Lesung könnten Ende Juni die zweite und dritte Lesung stattfinden. „Es bleibt also auch genug Zeit, um Sachverständige anzuhören.“

Die Anhörungen sind das geringste Problem. Was ebenfalls aussteht, sind diverse Änderungen, die Union und SPD an dem Entwurf noch vornehmen wollen. Nach dem Gesetz sollen Firmen etwa Löschfristen auferlegt werden, wenn es um offensichtlich strafbare Inhalte wie Volksverhetzung und Bedrohung geht. Bei Verstößen drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Kritiker sehen in den Regelungen aber eine Bedrohung der Meinungsfreiheit. Sie sehe „deutlichen Verbesserungsbedarf“, sagte die Vize-Chefin der Unions-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU). Den Phänomenen wie Hassrede und Fake News müsse „rechtlich mit Augenmaß und in Respekt vor der Bedeutung der Meinungsfreiheit“ begegnet werden. Daher sei eine „Kombination aus wirksamen Verfahren der Selbstregulierung, guten Gesetzen, einen konsequenten und schnellen Vollzug dieser Regeln und einem geschärften gesellschaftlichem Bewusstsein“ nötig.


Das sind die Korrekturwünsche von CDU und SPD

Schön will das System der „regulierten Selbstregulierung“ in das Gesetz integrieren, das sich  bereits beim Jugendmedienschutz bewährt habe. Dort sei es zweistufig aufgebaut, erläuterte die CDU-Politikerin: Die Dienste-Anbieter schlössen sich in einer Selbstkontrolleinrichtung zusammen, die wiederum durch eine staatliche Stelle beaufsichtigt werde. Mit einem solchen System könne man „zumindest in Teilen der intensiven Kritik am NetzDG begegnen“, sagte sie: „Nämlich unter anderem der Gefahr des sogenannten Overblockings – Anbieter löschen zu viel, um Bußgelder vorzubeugen – und dem zu starken staatlichen Eingriff in die Meinungsfreiheit.“

Die SPD dringt ebenfalls auf Korrekturen. „Knackpunkt ist für uns der im Gesetz vorgesehene Auskunftsanspruch bei strafrechtlich relevanten Persönlichkeitsverletzungen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Johannes Fechner. „Wir wollen, dass dieser Passus gestrichen wird, weil sonst die Gefahr besteht, dass keine anonymen Äußerungen in den sozialen Netzwerken mehr möglich sind.“ Deshalb solle es im Zweifel Richtern vorbehalten sein, einen Auskunftsanspruch anzuordnen.

Im Gesetzgebungsverfahren solle zudem geprüft werden, ob die Bußgeldregelung noch präzisiert werden müsse, sagte Fechner weiter. Nach dem Gesetz wird eine Geldbuße nicht schon fällig, wenn ein einziger rechtswidriger Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde nicht gelöscht wird. Bußgelder drohen erst dann, wenn das Verfahren zur Löschung nicht funktioniert. „Hier muss für alle Beteiligten rechtssicher geklärt sein, in welchem Umfang Löschungen unterblieben sein müssen, damit ein bußgeldbewährtes unzureichendes Verfahren vorliegt“, sagte der SPD-Politiker.

Fechner betonte, die SPD habe ein „großes Interesse“ daran, das Gesetz noch vor Beginn des Wahlkampfs zu beschließen. Allerdings muss sich auch noch der Bundesrat zu dem Gesetz positionieren. Da die Bundesregierung den Entwurf nicht als eilbedürftig gekennzeichnet hat, wird die Stellungnahme der Länderkammer am 2. Juni erwartet. Normalerweise könnte danach erst das Gesetzgebungsverfahren beginnen. Die Koalitionsfraktionen umgehen aber diese Hürde, indem sie einen eigenen Entwurf ins Parlament einbringen, der wortgleich mit dem Regierungsentwurf ist. Da das Justizministerium von einem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz ausgeht, hat der Bundesrat ohnehin nur das Recht, Einspruch einzulegen. Diesen Einspruch kann aber der Bundestag zurückweisen, so dass das Gesetz vom Bundesrat nicht verhindert werden kann.

Die Grünen-Rechtspolitikerin Künast betonte indes, dass Bund- und Länderkompetenzen noch strittig seien. Zudem sei auch noch nicht geklärt, für welche Unternehmen das Gesetz gelten solle. Die Prüfung durch die Europäische Kommission, das sogenannte Notifizierungsverfahren, laufe noch bis Ende Juni. „Europarechtliche Bedenken müssten in einem geordneten Verfahren aber vorher geklärt werden, statt erst zum Ende der parlamentarischen Beratung“, sagte Künast.


Was gegen ein „Wahrheitsministerium“ spricht

Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten Gesetzentwürfe in Brüssel vorlegen müssen, wenn diese „technische Vorschriften“ enthalten, die speziell auf „Dienste der Informationsgesellschaft“ zielen. Damit soll verhindert werden, dass zu viele nationale Regeln bei grenzüberschreitenden Onlinediensten einen europäischen Binnenmarkt unmöglich machen würden. In dem Notifizierungsverfahren prüft Brüssel, ob das Gesetz mit EU-Recht vereinbar ist.

Drei Monate sind für die Prüfung vorgesehen. Bis zum Abschluss des Verfahrens Ende Juni gilt eine sogenannte Sperr- oder Stillhaltefrist. Während dieses Zeitraums besteht ein sogenanntes Durchführungsverbot. Dem Mitgliedstaat ist demnach untersagt, die Anwendung des betreffenden Gesetzes zu veranlassen. Verstreicht die Sperrfrist, ohne dass die Kommission Bedenken oder Einwände erhebt, ist es dem Mitgliedstaat gestattet, das Gesetz in Kraft treten zu lassen. Erhebt die Kommission Einwände, so verlängert sich diese Stillhaltefrist um einen weiteren Monat.

Noch will sich die Brüsseler Behörde nicht festlegen, ob sie Bedenken geltend machen wird. Dazu sei es noch zu früh, sagte der zuständige Vize-Präsident Andrus Ansip vergangene Woche. Der Este hat aber bereits deutlich signalisiert, dass er gesetzliche Löschvorschriften für problematisch hält: „Fake news sind schlimm, aber ein ‚Wahrheitsministerium‘ ist schlimmer“, sagt er. Ansip will den Plattformen stattdessen unverbindliche Leitlinien vorgeben, nach denen sie von den Nutzern gemeldete Inhalte prüfen und entfernen sollen.

Ende Juni tritt der Bundestag allerdings zum letzten Mal vor der Sommerpause zusammen. Sollte die EU-Kommission also noch Erläuterungs- oder Klarstellungsbedarf am Maas-Entwurf anmelden, ist ein Parlamentsbeschluss vor der Bundestagswahl praktisch nicht mehr möglich. Zwar gibt es auch Dringlichkeitsverfahren, ein „unverzüglicher Erlass“ eines nationalen Entwurfs kann dann aber nur unter bestimmten Bedingungen ermöglicht werden. Gemeint ist etwa, wie es in den EU-Vorgaben heißt, „eine ernste und unvorhersehbare Situation, die sich auf den Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren oder die Erhaltung von Pflanzen bezieht“.

Aus Sicht der Grünen-Abgeordneten Künast ist der Justizminister für den Zeitdruck, der auf den Parlamentariern lastet, verantwortlich. „Minister Maas hat zu viel Zeit verschwendet, um nett mit Facebook & Co. zu plaudern. Daraus wurde allerdings kein gemeinsames Konzept“, sagte sie. „Stattdessen hätte er einen wirksamen Sanktionsmechanismus entwickeln sollen, um die Durchsetzung des geltenden Rechts zu verbessern.“ Nun aber wolle die Bundesregierung „ihr handwerklich schlechtes Gesetz durchpeitschen“.

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