Hatespeech, Fake News & Co. Europaabgeordnete fordern europäisches Facebook-Gesetz

Deutschland hat den Kampf gegen Hass im Internet mit einem eigenen Gesetz eröffnet. Das Beispiel könnte auf europäischer Ebene Schule machen. In diese Richtung denken zumindest Europaparlamentarier von CDU und Grünen.

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Als Konsequenz aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz kündigte Facebook kürzlich an, die Zahl seiner Mitarbeiter in Deutschland, die strafbare oder beleidigende Einträge entfernen, demnächst stark auszubauen. Quelle: dpa

Berlin Europaabgeordnete von CDU und Grünen haben sich für europaweit einheitliche Regeln im Kampf gegen Hasskommentare in sozialen Medien ausgesprochen. „Wir benötigen ein effizientes System und eine ebenso effiziente Kontrolle, um Hassinhalte zu stoppen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Axel Voss (CDU), dem Handelsblatt. Schön wäre es, wenn dies mit einer „freiwilligen Selbstkontrolle“ bereits erreicht werden könne. „Wir kommen meines Erachtens jedoch um eine gesetzliche Regelung nicht umhin, insbesondere, da auch eine Abgrenzung zur Meinungsfreiheit gezogen werden muss“, so Voss.

Jan Philipp Albrecht, justizpolitischer Sprecher der Grünen-Europafraktion, plädierte ebenfalls für eine EU-weite gesetzliche Regelung. Internetplattformen müssten „durch Verpflichtungen abseits der eCommerce-Richtlinie in die Verantwortung genommen und gleichzeitig in die Kooperation mit den Behörden und mit der Justiz gebracht werden“, sagte Albrecht dem Handelsblatt. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) könne hierfür allerdings kein Vorbild sein, betonte der Grünen-Politiker.

Vielmehr müsse ein europäisches Gesetz „mit Blick auf rechtssichere Verfahren und Begriffe deutlich konkreter ausgestaltet werden“. Nötig sei zudem ein einheitliches europaweites Vorgehen von Behörden. „In Zeiten grenzübergreifender Kommunikation und Meinungsäußerung muss es zumindest für den gemeinsamen EU-Markt auch einen gemeinsamen Rechtsrahmen für diese Fragen geben“, sagte Albrecht.

Die EU hat zuletzt erklärt, im Umgang mit Hass und Hetze im Internet vorerst weiter auf die Kooperation sozialer Netzwerke zu setzen. Erst wenn das scheitere, könnten europäische Vorgaben infrage kommen, sagte EU-Justizkommissarin Vera Jourova Anfang Juli im estnischen Tallinn am Rande eines Treffens der EU-Justizminister. „Deshalb ist es ziemlich wichtig, jetzt auf Deutschland zu schauen und zu sehen, wie das dort klappt.“

Die deutsche Regelung könne ein Modell auch für andere sein, meint indes Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). „Deshalb glaube ich, (...) dass andere Länder sich jetzt sehr genau anschauen werden, wie das in Deutschland funktioniert, um zu überprüfen, ob das auch für ihr Land eine Alternative sein kann“, sagte der SPD-Politiker jüngst.

Das im Bundestag angenommene NetzDG verpflichtet Internetplattformen, strafbare Hassrede schneller zu löschen. Es tritt zum 1. Oktober in Kraft. Anfang 2018 endet die Übergangsfrist, dann drohen Bußgelder. Neben Facebook zielt das Gesetz auch auf Plattformen wie Youtube und Twitter. In klaren Fällen sollen die Löschaktionen binnen 24 Stunden passieren, bei weniger eindeutigen Sachverhalten innerhalb einer Woche.

Kritiker – auch aus der Internet-Branche – bemängeln unter anderem, dass damit die Unternehmen eine Deutungshoheit bekämen. Außerdem gebe es die Gefahr, dass mehr gelöscht werde als nötig, um vor nach dem Gesetz drohenden Geldstrafen sicher zu sein.

Der IT-Branchenverband Bitkom bemängelt zudem handwerkliche Fehler in dem Gesetz von Maas. „Der Bitkom war und ist der Überzeugung, dass es sehr schwer sein wird, das Gesetz rechtssicher umzusetzen“, sagte Marie-Teresa Weber, Bereichsleiterin Medienpolitik beim Bitkom, dem Handelsblatt. „Daran hat seinen Anteil, dass in dem Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe wie zum Beispiel ,offensichtlich rechtswidrige Inhalte’ verwendet werden und gleichzeitig den sozialen Netzwerken hohe Strafen bei Fehlverhalten angedroht werden.“ Die Bitkom-Expertin zieht denn auch ein ernüchterndes Fazit: „Es zeigt sich jetzt, dass das überhastet verabschiedete Gesetz nicht nur zahlreiche handwerkliche Fehler aufweist, sondern auch der Erfüllungsaufwand für den Staat nicht seriös kalkuliert wurde.“

Das sieht auch der Grünen-Rechtspolitiker Albrecht so. „Von Beginn an wurde richtigerweise am deutschen Gesetz kritisiert, dass es eine ganze Reihe an unbestimmten Rechtsbegriffen mit sich bringt und starre Löschfristen für die Provider vorsieht“, sagte Albrecht. Beides zusammen sowie die fehlenden Ausführungen zum Rechtsschutz für diejenigen, die solche Inhalte betreffen, etwa Sender, Empfänger oder Dritte, führten dazu, dass im Zweifel viele Inhalte gelöscht werden, ohne dass dem eine rechtlich saubere Prüfung und ein rechtsstaatliches Verfahren zugrunde liege.


Auch Österreich für EU-Vorgehen gegen Facebook & Co.

Albrecht merkt zudem an, dass mit der deutschen Regelung ein gesamtes Verfahren der Rechtsdurchsetzung in die Hände von Privaten ausgelagert werde. Dies führe dazu, dass Polizei, Justiz und andere Behörden sich entweder selbst aus ihrer Verantwortung nehmen oder seitens der Provider mit Verweis auf dieses gesetzlich vorgeschriebene Verfahren gar davon ausgeschlossen werden. „Das darf in keinem Fall passieren und daher muss nun genau beachtet werden, wie diese Regeln in Deutschland angewendet werden“, betonte der Grünen-Politiker.

Unabhängig sieht Albrecht allerdings im deutschen Ansatz keine Lösung der Grundproblematik der Rechtsdurchsetzung auf Internetplattformen. „Er geht irrig von der Annahme aus, die global agierenden Unternehmen könnten eine Achtung aller einzelnen Rechtsordnungen gewährleisten und würden in der Lage sein, die jeweiligen Details der selbst innerhalb des gemeinsamen Marktes der EU existierenden 28 unterschiedlichen Rechtsordnungen zu beherrschen“, erläuterte der EU-Abgeordnete. „Dies ist unrealistisch und gibt einem Unternehmen wie etwa Facebook in der Argumentation recht, dass sie am Ende selbst definieren müssen, was rechtmäßige Inhalte sind und was nicht.“ Um diesem entgegenzuwirken, sei es daher „absolut richtig, dass die EU-Kommission schon vor einiger Zeit einen Rahmen geschaffen hat, wo Behörden, Verbände und Internetplattformen gemeinsam einen Dialog zur Selbst- und Koregulierung führen können“.

Aus Österreich kamen indes schon positiv Signale zur deutschen Regelung: Das deutsche Gesetz führe dazu, dass Anbieter grundsätzlich sensibler mit dem Thema umgingen, sagte jüngst Österreichs Justizminister Wolfgang Brandstetter. Der deutsche Vorstoß habe „insofern was gebracht, dass, glaube ich, auch Facebook insgesamt vorsichtiger und verständnisvoller geworden ist für unsere Anliegen“.

Brandstetter plädierte ebenfalls für eine EU-Regelung. „Letztlich kann man dieses Problem nur auf europäischer Ebene lösen. Und nur die EU insgesamt kann diesen Internetgiganten, die ja global agieren, einigermaßen auf Augenhöhe begegnen“, sagte er.

Die EU-Kommission setzt aber vorerst auf eine Fortsetzung der Gespräche mit Unternehmen wie Facebook, Twitter und Youtube. „Wir haben riesige Fortschritte gesehen bei der Entfernung von Hassinhalten von ihren Websites und aus sozialen Medien“, hatte Jourova die Konzerne gelobt. Maas dagegen sagte, in Deutschland sei die Hasskriminalität um 300 Prozent gestiegen in den letzten zwei Jahren. „Und das ist eine Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen können.“

Facebook reagierte indes bereits auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Der US-Internetriese kündigte kürzlich an, die Zahl seiner Mitarbeiter in Deutschland, die strafbare oder beleidigende Einträge entfernen, demnächst stark auszubauen. Im Herbst werde in Essen ein zweites Löschzentrum mit 500 Mitarbeitern eingerichtet, teilte das weltgrößte Onlinenetzwerk mit. Am ersten Standort Berlin wird gerade die Zahl der Mitarbeiter der Bertelsmann-Dienstleistungsfirma Arvato, die für Facebook im Einsatz sind, auf 700 erhöht. Das neue Zentrum in Essen soll nicht von Arvato, sondern dem europäischen Anbieter Competence Call Center betrieben werden.

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