Wenn Mitte Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, geht es auf dem Papier um die Machtverteilung im Düsseldorfer Parlament. Doch die Beteiligten stilisieren die Abstimmung inzwischen zu einem Ereignis, das ganz Deutschland die Richtung weisen soll. „Es geht um einen politischen Kulturwandel in Deutschland, in ganz Europa“, beschreibt CDU-Spitzenmann Norbert Röttgen pathetisch die Bedeutung der Wahl. „In NRW entscheidet sich, ob wir Politik für die Finanzmärkte oder für die Bürger machen wollen“, rief SPD-Chef Sigmar Gabriel vergangene Woche auf dem Krönungsparteitag für Spitzenkandidatin Hannelore Kraft.
Schuldenbremse ist Hauptthema
Im Kern geht es beiden um das Gleiche: den NRW-Haushalt. Beim Wahlvolk haben die öffentlichen Schulden die Arbeitslosigkeit mittlerweile als wichtigstes politisches Thema überholt. NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland der Republik und das mit der höchsten Gesamtverschuldung. Wenn die Regierung hier nicht spart, sieht es böse mit der Schuldenbremse aus, da können Bremen oder Brandenburg zehnmal schuldenfrei werden. Ob Deutschland die Schuldenbremse einhalten und als Vorbild für Europa dienen kann, entscheidet sich an Rhein und Ruhr.
Doch anders als in den 2011 an die Macht gekommenen linken Regierungen in Hamburg oder Baden-Württemberg war der Umgang mit den Schulden im tiefen Westen stets umstritten. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nutzte 2010 die ersten Monate ihrer Minderheitsregierung für zwei teure Geschenke. Das dritte Kindergartenjahr ist seitdem in NRW kostenlos, das Studium ebenfalls. Trotzdem sagt auch Kraft inzwischen: „Wir werden die Schuldenbremse einhalten.“
SPD vs. CDU - wer hat Recht?
Jetzt im Wahlkampf sind zumindest die Argumentationslinien klar: Rote und Grüne setzen darauf, Investitionen und Schuldenabbau zu kombinieren, CDU und FDP geben an, sich auf Letzteres konzentrieren zu wollen. FDP-Frontmann Christian Lindner über die Strategie der linken Parteien: „Ganz Europa hat erkannt, dass Schulden schädlich sind. Nur eine Landesregierung glaubt, sie wisse es besser.“ Kraft über die Bürgerlichen: „Was die CDU im Bund tut, das ist, als würde die schwäbische Hausfrau das Geld zum Schuldenabbau ihren Kindern aus der Tasche ziehen.“ Bleibt die Frage: Wer hat recht?
Globale Minderausgaben als Verlegenheitslösung
Ein Blick auf die Haushaltsentwürfe der Parteien offenbart viele Widersprüche. So versprach Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) in den letzten Debatten vor dem Scheitern der Regierung, 2012 mit 3,6 Milliarden Euro Neuverschuldung auszukommen, im kommenden Jahr sollten es unter drei Milliarden Euro werden. Nicht einkalkuliert sind dabei jedoch die Kosten des gerade erzielten Tarifabschlusses. Hier schlägt jeder zusätzliche Prozentpunkt mit rund 300 Millionen Euro zu Buche. Auch die unterstellte Wachstumsrate der Steuereinnahmen für 2012 ist umstritten.
Bei den Einsparungen setzt Walter-Borjans auf globale Minderausgaben. Die funktionieren nach folgendem Prinzip: Der Finanzminister gibt Gesamtsummen vor, welche die einzelnen Ressorts einsparen sollen. Die Umsetzung bleibt ihnen überlassen. 2012 sollen so 360 Millionen Euro zusammenkommen, im kommenden Jahr eine Milliarde. Erfahrene Haushalter sind skeptisch: „Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, machst du eine globale Minderausgabe“, sagt Walter-Borjans’ CDU-Vorgänger Helmut Linssen. Weil alles andere mühsam sei und Ärger bringe, werde dann meist bei den Investitionen gestrichen.
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln
Doch auch die Sparstrategie der CDU offenbart einige Ungereimtheiten. So prahlten die Christdemokraten in den Haushaltsverhandlungen, die Neuverschuldung schon im laufenden Jahr auf weniger als zwei Milliarden Euro drücken zu wollen. Ihre wichtigsten Sparvorhaben: Wiedereinführung der Studiengebühren, weniger Personal, weniger Mittel für Förderprogramme. Doch je länger der Wahlkampf dauert, desto mehr teure Versprechen gehen den Christdemokraten über die Lippen. So will die CDU plötzlich von Studiengebühren nichts mehr wissen. „Wir wollen keine Politik: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“, sagt Generalsekretär Oliver Wittke. Auch Fraktionschef Karl-Josef Laumann erklärt die Gebühren zur Verhandlungssache: „An der Frage von Studiengebühren wird mit uns keine Koalition scheitern.“
Zum Sparen fehlt das Geld
Dadurch allerdings fehlen der CDU für ihre Sparpläne 250 Millionen Euro. Generalsekretär Wittke will das durch Personalkürzungen lösen: „Es kann nicht sein, dass bei zurückgehender Bevölkerung die Verwaltung immer mehr wird“, erklärt er, wohl wissend, dass schon in den bestehenden Sparvorschlägen seiner Partei 400 Millionen Euro auf diesem Wege zusammenkommen sollen. Doch er legt sogar noch einen drauf. Um in der Debatte um die Energiewende zu punkten, will die CDU in NRW ein Energieministerium schaffen. Bloß: Neue Ämter kosten fast immer mehr Geld. „Das Land gibt fast 40 Prozent seiner Mittel für Personal aus“, argumentiert Wittke, da gebe es bestimmt noch eine Menge Sparmöglichkeiten. Zusammengerechnet entsprechen diese Kürzungen jedoch einem Abbau von knapp 20.000 Stellen. Zum Vergleich: In den fünf schwarz-gelben Regierungsjahren verkleinerte sich die Landesverwaltung nur um 2000 Stellen.
Wahlkampf blockiert Schuldenabbau
Und die kleinen Parteien? FDP-Kandidat Lindner bekannte sich am Wochenende erneut zu Studiengebühren, um den Hochschulen mehr Mittel zu verschaffen. Die Grünen haben mit der möglichen Abschaffung von Programmen zur Investitionsförderung immerhin schon mal einen konkreten Punkt genannt, an dem das Land sich von Aufgaben zurückziehen könnte.
Rot und Grün schwören zudem auf ihr „Effizienzteam“, das seit Monaten die Einzelpläne nach überflüssigen Ausgaben durchforstet. Noch im April, kündigt Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen an, werde es Vorschläge vorlegen. CDU-General Wittke will aber „jede Wette“ halten, dass dabei „nichts Substanzielles“ herauskomme.
Am Ende könnten es weder hoch angesetzte Personaleinsparungen noch vage Minderausgaben sein, die den Landeshaushalt retten – sondern der Wahlkampf selbst. Denn der blockiert die Verabschiedung des Haushalts bis in den Herbst – und macht so bis dahin alle Ausgaben des Landes ohne gesetzliche Verpflichtung unmöglich.