Haushaltsdebatte im Bundestag Investitions-Krise? Die Abgeordneten reden lieber übers Bienensterben

Finanzminister Olaf Scholz hat im Bundestag seinen Haushaltsentwurf vorgestellt Quelle: dpa

Der Bundestag diskutiert über den neuen Bundeshaushalt. Statt auf Budgetdetails einzugehen, nutzen viele Abgeordnete die Gelegenheit für eine Generalabrechnung. Dabei gäbe es Wichtiges zu bereden.

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Ausgerechnet beim so trockenen Thema Bundeshaushalt kocht die Stimmung im Bundestag. Das Ganze hat schon Ritualcharakter. Erst hält ein seriös wirkender Finanzminister einen Vortrag, der mit Zahlen und staatstragenden Begriffen gespickt ist. Dann heißt es: Feuer frei! Wer sich schon immer mal im Plenum darstellen wollte, sieht jetzt seine Chance gekommen.

So war es auch seit diesem Dienstag zu beobachten, an dem Finanzminister Olaf Scholz seinen Haushaltsplan für 2018 vorstellte. Der Plan ist in Grundzügen schon seit Monaten bekannt und seit dem 2. Mai auch im Detail, die meisten Parteien haben ihn bereits ausführlich kritisiert. Das hindert die Abgeordneten jedoch nicht daran, Scholz‘ Haushalt noch bis Ende der Woche zur eigenen Profilierung zu nutzen.

Dabei geht es gerne auch persönlich zu. So stichelt etwa FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke gegen Scholz‘ hanseatischen Stil: „Ich habe noch nie erlebt, wie wenig Emotionen Sie mit diesem so wichtigen Schicksalsbuch unserer Nation verbinden.“ Sein Fraktionskollege Christian Dürr spricht von einem „Armutszeugnis“, Grünen-Mann Sven-Christian Kindler von „einem klaren Fehlstart“, Linken-Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch von einer „Blamage“. Am weitesten treibt es die AfD. Fraktionschefin Alice Weidel warf der Regierung am Mittwochmorgen vor, beim Haushalt „zu tarnen und zu täuschen“ und verstieg sich am Ende gar zu dem Satz: „Dieses Land wird von Idioten regiert.“

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Je harscher die Worte, desto größer ist die Gefahr, dass am Ende kaum ein Sachargument hängen bleibt. Umso mehr, als viele Abgeordnete ihre Wortbeiträge zu einer Generalabrechnung nutzen. Da geht es dann um Bienensterben und "Kopftuchmädchen" statt um Steuereinnahmen und Ressortbudgets. Dabei wäre der Haushalt es wert, dass man sich ernsthaft mit ihm auseinandersetzt.

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, hat das getan. Sein Fazit: Es gibt gute Ansätze wie etwa mehr Geld für Bildung, aber es gibt vor allem ein großes Problem: „Ich würde mir im Bundeshaushalt einen deutlich stärkeren Fokus auf Zukunftsinvestitionen wünschen.“ Schon jetzt gebe es alleine bei den Kommunen einen Investitionsstau von 120 Milliarden Euro. Vor allem die schwächsten ländlichen Kommunen bräuchten mehr Geld, zudem müsste Infrastruktur verbessert werden, und zwar sowohl Verkehr als auch Digital- und Energienetze.

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Dass mehr Investitionen nötig sind, ist an sich unstrittig. Dem widerspricht noch nicht einmal die AfD. Die Frage ist nur, woher das Geld kommen soll, wohin es fließen soll – und wie viel Geld eigentlich genug ist. So lobte Scholz seine eigenen Haushaltspläne am Dienstag für die darin vorgesehenen Investitionen. Tatsächlich sollen dieses Jahr mit 37 Milliarden Euro drei Milliarden Euro mehr investiert werden als im Vorjahr. Wahr ist jedoch auch, dass die Investitionen 2019 nur noch minimal ansteigen sollen, um danach immer weiter zu fallen, bis auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022. Und das, obwohl der Bundesetat im selben Zeitraum von aktuell 341 Milliarden Euro auf 367,7 Milliarden Euro ansteigen soll – alles unter dem Vorzeichen der Schwarzen Null, also alles gedeckt durch Einnahmen.

Das Geld für Investitionen wäre also da. DIW-Chef Fratzscher befürchtet nur, dass es für Wahlgeschenke draufgeht, statt in sinnvolle Kanäle zu fließen. Im Zweifelsfall müsse die Bundesregierung eben die teure Abschaffung des Solidaritätszuschlags überprüfen, um Geld für Investitionen locker zu machen, fordert Fratzscher: „Die Stärkung von Investitionen sollte Vorrang vor Steuersenkungen haben.“

Die Realität sieht jedoch anders aus. Hier will jeder mehr Geld für sich beziehungsweise seine Klientel, sei es die CSU, die Steuerentlastungen fordert, sei es Ursula von der Leyen, die mehr Geld für ihr Ressort haben will. Lippenbekenntnisse zu Investitionen sind schön und gut. Wichtig wäre aber, das Thema endlich ernsthaft anzugehen, statt tagelang Schaukämpfe auszufechten.

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