Man hatte sich in den vergangenen Jahren bei der Rentenpolitik der Großen Koalition schon an eine ziemliche Menge an Unvernunft gewöhnt. Doch das nun präsentierte Grundrentenkonzept mit dem schönen neuen PR-Namen „Respektrente“ ist der neue Höhepunkt einer Sozialpolitik, die Demografie und Nachhaltigkeit vergisst – und alles der kurzzeitigen Parteiprofilierung unterordnet.
Zur Erinnerung: Worum es bei der Grundrente einmal gehen sollte, war durchaus ehrenwert. Man muss heute schon als Durchschnittsverdiener rund 25 bis 30 Jahre arbeiten, um auf einen eigenen gesetzlichen Versorgungsanspruch im Alter zu kommen, der über der Grundsicherung liegt.
Heißt im Klartext: Wer nie gearbeitet hat, bekommt theoretisch am Ende so viel wie jemand der mehrere Jahrzehnte anständig verdient und Sozialbeiträge einbezahlt hat.
Das stellt in der Tat fundamentale Fragen an die Legitimation der deutschen Rentenkasse. Was aber die große Koalition darauf geantwortet hat, ist gleich in mehrfacher Hinsicht grundfalsch: Erst entzog sie dem System mehrere Milliarden Euro pro Jahr, nur um einer gut situierten Generation ein Extra zu gewähren (Mütterrente), dann gönnte sie Facharbeitern den unnötigen abschlagfreien Frühruhestand (Rente ab 63). Schwarz-Rot hat die Rentenkasse also erst selbst über Gebühr belastet und beklagt nun wortreich den Ermüdungsbruch.
Nun soll also noch die Grundrente oben drauf gesattelt werden. Allerdings in einer Form, die weit über den Koalitionsvertrag hinaus ginge: Ein üppiges Rentenplus für langjährige Kleinverdiener, die sonst unter Hartz-IV-Niveau landen würden, ist geplant. Jedoch ganz ohne Prüfung der Bedürftigkeit.
Soll denn nun jemand, der fleißig war, nicht mehr haben als jemand, der keinen Job hatte? Natürlich sollte er das. Doch nur dann, wenn er oder sie auch darauf angewiesen ist. Der Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht aber genau diese Einschränkung nicht mehr vor, wenn er auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichtet. Das ist keine zielgenaue Armutsbekämpfung, sondern Wohltatenpolitik der plumpen Art.
Heils Grundrenten-Pläne im Überblick
Viele Menschen landen nach einem langen Arbeitsleben mit niedrigen Löhnen als Rentner in der Grundsicherung, also der Sozialhilfe. Diese Ungerechtigkeit wolle er ändern, sagte Heil der „Bild am Sonntag“. Denn wer Jahrzehnte gearbeitet habe, habe das Recht, mehr zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet habe. So kämen eine Friseurin oder ein Lagerarbeiter nach 40 Jahren mit Mindestlohn auf 514 Euro Rente. „Respektlos und unwürdig“, findet der Minister das und will, dass es deutlich mehr wird. Nach jüngsten Daten des Statistischen Bundesamts bekamen Ende 2017 rund 544.000 Menschen Grundsicherung im Alter.
Im Kern sollen kleine Renten per Zuschlag erhöht werden - und zwar automatisch berechnet durch die Rentenversicherung ohne extra Prüfung der Bedürftigkeit. Voraussetzung sind mindestens 35 Jahre Einzahlung in die Rentenkasse. Auch Teilzeit, Kindererziehungs- und Pflegezeiten zählen mit, allein Minijobs reichen aber nicht. Generell gilt: Wer nach genau 35 Beitragsjahren weniger als 896 Euro Rente hat, bekommt einen Zuschlag. Beschäftigte, die immer nur Mindestlohn verdienten, sollen die maximale Aufwertung von 447 Euro erhalten. Die Friseurin mit 40 Jahren Mindestlohn käme also auf 961 statt 514 Euro Rente. Bei einer alleinerziehenden Krankenschwester in Teilzeit mit zwei Kindern ergäbe sich zum Beispiel ein Renten-Sprung von 860 auf 1000 Euro.
Die Kosten sind noch nicht klar. Heil rechnet mit einem mittleren einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr. Und sagt lieber auch gleich dazu, dass das „ein finanzieller Kraftakt“ werde. Klar sei aber, dass die Grundrente ihren Namen auch verdienen müsse. „Wir dürfen uns keine Placebo-Politik leisten.“ Dem Minister schwebt denn auch eine Finanzierung aus Steuermitteln des Bundeshaushalts vor, der schon fast 100 Milliarden Euro jährlich in die Rente pumpt. Profitieren sollen drei bis vier Millionen heutige und künftige Rentner – davon wohl drei Viertel Frauen, die öfter schlecht bezahlte Jobs haben, und viele Menschen in Ostdeutschland mit verbreitet niedrigeren Löhnen.
Das Ziel hat Heil schon abgesteckt: Spätestens am 1. Januar 2021 soll die Grundrente kommen. Doch der Streit ging schon am Wochenende los. „Wir verteilen Geld nicht mit der Gießkanne, sondern helfen gezielt demjenigen, der zu wenig Rente hat“, hielt Unions-Sozialexperte Peter Weiß (CDU) fest. Tatsächlich ist im Koalitionsvertrag ausdrücklich eine Bedürftigkeitsprüfung festgeschrieben, auf die Heil aber ebenso ausdrücklich verzichten will. Ergänzend will er auch einen Freibetrag beim Wohngeld erreichen, damit diese Zahlungen nicht im Gegenzug zu einer höheren Grundrente verloren gehen. Federführend hierfür: Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU). Da ist ein vielleicht etwas besser klingender Name als „Grundrente“ eher Nebensache. „Nennen Sie es ruhig Respekt-Rente oder Gerechtigkeitsrente“, meinte Heil.
Es hätte viel einfachere Mittel gegeben, um dem Gerechtigkeitsimperativ Genüge zu tun, dass Arbeit sich immer lohnen muss – auch im Alter. Etwa, indem man gesetzliche Ansprüche teilweise nicht auf die Grundsicherung anrechnen müsste.
Das, was die SPD hier vorstellt, ist dagegen unvernünftig, unnachhaltig, ungerecht – keine zehn Jahre mehr, bevor die geburtenstärksten Jahrgänge von Beitragszahlern zu Rentenempfängern werden. Es ist ein Desaster mit Ansage.