Helmut Kohl Ein Kanzler für die Geschichtsbücher

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Helmut Kohl, die Machtmaschine

Helmut Kohl, die Machtmaschine – man darf nicht vergessen, dass es ihr in jungen Jahren nicht an inhaltlichen Antriebsstoffen fehlte. Kohl steigt in der rheinland-pfälzischen CDU als polternder, polemischer Modernisierer auf. Er glänzt durch politische Omnipräsenz im Stadtparlament von Ludwigshafen, im Vorstand der Landes-CDU und in der Landtagsfraktion und ist permanent damit beschäftigt, Mehrheiten für seine Positionen zu organisieren. 1966 erringt er den Parteivorsitz im Land, 1969 wird er Ministerpräsident, 1973 erobert er die Spitze der CDU. Kohl gibt sich bürgernah und diskussionsoffen und überzieht das Schlusslicht-Bundesland Rheinland-Pfalz mit Reformen. Er ordnet Regierungsbezirke neu und gründet Universitäten, beschleunigt den Strukturwandel und siedelt Industriebetriebe an, reformiert das Gefängniswesen und öffnet Konfessionsschulen – und er steigt dadurch zum „Kurfürsten von Mainz“ (Hans Peter Schwarz) auf, der Journalisten gerne zum Tafeln in die Staatskanzlei einlädt, um sich von ihnen als Mann der Tat, des Machtwillens und des herablassenden Spotts bewundern zu lassen. Schon damals verbreitet Kohl die sonnenkönigliche Aura eines Menschen, der im Glanze seiner imposanten Leiblichkeit zum natürlichen Anziehungspunkt eines jeden Raumes wird, den er betritt. Schon damals tritt er mit der biedermeierlich-barocken Brutalität seiner politischen Urteile in Erscheinung. Schon damals fällt er mit gemütlicher Saumagen-Kälte seine Verdikte über jeden, der sich seinem Machtanspruch zu entziehen gedenkt.

Die wichtigsten politischen Stationen Helmut Kohls

Kohl ist kein glänzender Redner, kein intellektueller Feingeist – vielen, die mit ihm aufsteigen, stößt seine bräsig-rohe Selbstherrlichkeit auf, auch seine ausgeprägte Bereitschaft, von sich selbst gerührt zu sein. Die bösen Urteile über seine rhetorische Ungeschliffenheit, seine volkstümelnden Hölderlin-Patriotismus, seine jungenstolz walzende Kraftnatur sind Legende. „Vorsitzender der Mainzer Provinzialregierung“ spottet Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1976 – und Franz-Josef Strauß (CSU), der schnaufende Polterer aus München, mit dem sich Kohl bis 1980 ein Duell auf offener Politbühne liefert, spricht ihm schlicht das Format eines Staatsmannes ab: „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Der wird mit 90 Jahren Memoiren schreiben: Ich war 40 Jahre lang Kanzlerkandidat. Lehren und Erfahrungen aus einer bitteren Epoche.“ Doch Kohl, „der Dicke“, wie er bald genannt wird, die „Birne“, die „Riesenschildkröte“, legt sich einen Trotzpanzer zu, steckt alle Tiefschläge ein – und schlägt mit der Schwinge eines taumelnden Schwergewichtsboxers zurück. Nach seiner missglückten Kandidatur (1976) und der erfolglosen Bewerbung von Strauß (1980) bringt er 1982 große Teile der FDP an seine Seite, stürzt Schmidt vom Kanzlerthron und steht endlich da, wo er seiner Auffassung nach hingehört, an der Regierungsspitze Deutschlands: Helmut Kohl, „weder ein Fachmann noch ein Dilettant“, so Richard von Weizsäcker mit blankem Sarkasmus, „sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft.“

Die dröhnende Machtarroganz von Helmut Kohl – das ist das Eine. Das andere ist die vernichtende Herablassung, die Kohl zeit seines politischen Lebens von Parteifreunden und Leitmedien entgegen schlägt. Die „geistig-moralische Wende“, die er dem Land verordnet, weil er bei den Deutschen ein Patriotismusdefizit diagnostiziert hat, der verordnete Bau zweier schwarz-rot-gold glänzender Museen, das falsche Geschichtspathos mit Reagan und Mitterrand, die Wahlkampflüge von den „blühenden Landschaften“, seine Vorlieben fürs Pfälzische und Pfadfinderische, fürs Wandern und den Wolfgangsee, für Zierfische und Pfeifenrauch – permanent stellt man ihm das Zeugnis intellektueller Dürftigkeit aus, zeiht ihn der personifizierten Provinzialität, des regierungsamtlich gewordenen Kleingeistes. Kein Kanzler vor und nach ihm ist derart persönlich diskreditiert worden – für das, was er ist. Auch deshalb zwingt Kohl alle Nörgler und Besserwisser in den Staub, die ihn für eine „politische Null“ (Kurt Biedenkopf) halten. Auch deshalb gleichen Partei und Kanzleramt 1998 spätmittelalterlichen Fürstenhöfen, an denen Angst, Gehorsam, Gunsterweis und Vasallentreue herrschen. Kohls Macht ist damals längst zu ihrem bloßen Erhalt versteinert, sein „Aussitzen“ von Problemen zum Stilbegriff des politischen Stillstands geworden. Kohl tritt nichts als Kanzler ab, sondern als Denkmal seiner selbst – ist endlich: Geschichte.

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