Hetze im Netz Asoziale Netzwerke

Der Ton im Netz wird immer rauer. Mit Hetze lässt sich in den sozialen Netzwerken eine ganz andere Wirkung erzielen als am Stammtisch in überschaubarer Runde. Experten sind alarmiert – denn 2017 ist Wahljahr.

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2016 war das Jahr der Hetze. Die Verrohung der politischen Debatte gibt den Populisten Auftrieb. Quelle: dpa

Düsseldorf Schäbig, schrankenlos, voller Wut und Verachtung – viele Menschen sorgen sich um einen drastisch veränderten Ton im Land. Ist ein Damm gebrochen in der öffentlichen Debatte? „Etwas hat sich verändert in der Bundesrepublik. Es wird offen und hemmungslos gehasst“, beklagt Friedensbuchpreisträgerin Caroline Emcke. „Im Internet artikulierte Gewaltphantasien und Hasskommentare verbergen sich oft nicht mehr hinter Decknamen“, schreibt sie in ihrem Buch „Gegen den Hass“. Ähnlich sieht es RTL-Chefmoderator Peter Kloeppel: „Die Verrohung in der Debatte finde ich erschreckend.“

Warum ist das so – liegt es auch an der starken Zuwanderung, den Silvester-Übergriffen, begangen überwiegend von Nicht-Deutschen? „Insgesamt ist es scheinbar gesellschaftsfähig geworden, nicht nur verdeckt rassistische Äußerungen zu tätigen, sondern offen (...) menschenverachtend seine Meinung kund zu tun.“ Dieses Fazit zieht Oliver Wilkes in einer Studie zur Wirkung der Kölner Silvesternacht. Geschmackloses werde zunehmend unter Echtnamen gepostet. „Daraus kann man schließen, dass die Verfasser sich sicher und von einem großen Teil der Gesellschaft unterstützt fühlen“, sagt Wilkes vom Duisburger Ibis-Institut.

Lange sei es gesellschaftlicher Konsens gewesen, dass Äußerungen, die „in einem deutlichen ideologischen Bezug zum NS-Regime und zum Holocaust stehen, geächtet sind.“ Das scheine sich zu verändern. Um fremdenfeindlich Stimmung zu machen, würden auch Falschmeldungen gestreut – etwa, dass Flüchtlinge Tiere aus einem Streichelzoo gestohlen und gegessen hätten. „Sie werden trotzdem hundert- und tausendfach geliked und geteilt.“

Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski beobachtet: „Es gibt ganz unbestreitbar eine verstärkte Aggression in der Debatte.“ Flüchtlingsfrage und Silvestervorkommnisse sieht er als Symptome. In der politischen Auseinandersetzung, bei Kundgebungen sei „ungeheure Wut“ im Spiel. Und das Netz biete einen „riesigen Resonanzraum“. Da lässt sich eine ganz andere Wirkung erzielen als am Stammtisch in überschaubarer Runde. Die „sozialen Medien“ Facebook und Co. sollten so nicht heißen, sagt der Experte aus Münster, denn: „Dort tobt sich auch das komplette Gegenteil von „sozial“ aus.“

Verstärkend wirke die gegenseitige Bestätigung, weiß Gerhard Vowe, Kommunikationsforscher von der Uni Düsseldorf. „Wenn man gelikt wird, bedeutet das Unterstützung und Ermutigung.“ Eine „populistische Internationale“ habe sich im Netz gebildet, die zusätzlich Rückenwind gebe. Und wer ist so radikal, rassistisch, aggressiv, auch mit unerträglichen persönlichen Anfeindungen unterwegs? „Wichtigstes Kennzeichen der Lautstarken: Es sind wenige“, sagt Vowe. „Vielleicht ein bis zwei Prozent der Bevölkerung.“


Populisten profitieren von der Stimmung

Es handele sich überwiegend um Männer, die sich persönlich diffus bedroht fühlten, die misstrauisch seien, „denen es auf den Senkel geht, dass ihre Welt fremder wird“. Vowe hält sie für „weitgehend unbelehrbar“. Trotzdem solle man Vorurteile und Hasskommentare „auseinandernehmen“, durch Fakten widerlegen. Nicht um die postende Minderheit zu überzeugen, „sondern mit Blick auf die anderen.“ Aber Fakten und Argumente, funktionieren die noch? Wo es doch immer stärker „postfaktisch“ – wahrheitsunabhängig – zugeht. Mit dem „Wort des Jahres 2016“ können Marcinkowski und Vowe nicht viel anfangen.

„Es ist eigentlich ein gefährlicher Begriff“, sagt Marcinkowski. Zwar sieht er durchaus eine mangelnde Bereitschaft bei vielen, sich mühsam und differenziert mit Tatsachen auseinanderzusetzen. Aber: Bei so komplexen Themen wie Globalisierung, Digitalisierung oder Migration, „da mangelt es uns auch schlicht an Wissen“. Und: „Wer bestimmt denn, was die richtigen Fakten sind? Fakten werden durch den Beobachter immer subjektiv weitergegeben.“ Er warnt: „Es ist wenig hilfreich, pauschal bestimmte Sichtweisen als postfaktisch zu diskreditieren.“

Werde das „Postfaktische“ auch meist negativ rechten Hetzern und Populisten zugeordnet, rät Vowe, nicht ins Schwarz-Weiß-Schema zu verfallen. Fakten und Emotionen seien zudem kein Gegensatzpaar. „Menschen können auch durch eine Mischung von Argumenten und Emotionen überzeugt werden.“ Der Ausstieg aus der Kernenergie sei „postfaktisch“ gewesen – von Ängsten nach Fukushima beeinflusst. Auch die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen sei nicht von Fakten, sondern Mitgefühl getragen.

Doch 2017 ist Wahljahr. Das Erstarken der AfD und der Erfolg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl gelten als Belege dafür, dass die „postfaktische“ Karte zieht. Ein Mittel also, auf das im Wahlkampf auch die etablierten Parteien setzen werden? Für die wichtige Landtagswahl im kommenden Mai in Nordrhein-Westfalen stellt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft klar, bei der SPD werde es das nicht geben. „Sie werden von mir keine Strategie-Änderung bekommen, die heißt: Wir sind demnächst auch mal ohne Fakten unterwegs und machen nur Bauchgefühl und Hetze oder Ähnliches.“

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