Hitler-Vergleich Timoschenko vergrault deutsche Politiker

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Politik vom Krankenbett

Die wirrsten Hitler-Vergleiche
Die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton hat das Handeln des Kremlchefs Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt laut der Lokalzeitung „Long Beach Press-Telegram“ am 4. März mit dem Satz kommentiert: „Wenn einem das bekannt vorkommt, es ist das, was Hitler damals in den 30er Jahren tat.“ Damit sorgte sie für viel Wirbel. Kurz darauf relativierte Clinton, die als aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge von US-Präsident Barack Obama gilt, ihre Wortwahl: Sie habe darauf hingewiesen, dass Putin eine russische Militärpräsenz auf der Krim und möglicherweise auch östlichen Teilen der Ukraine damit rechtfertige, dass russische Minderheiten dort geschützt werden müssten, erklärte Clinton. „Das erinnert an die Behauptungen, die damals in den 30er Jahren gemacht wurden, als Deutschland unter den Nazis immer davon sprach, wie sie ihre deutschen Minderheiten in Polen, der Tschechoslowakei und anderswo in Europa beschützten müssten.“ Quelle: AP
Schon zwei Tage zuvor hatte der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg nahezu wortgleich das Verhalten Russlands mit dem Hitlers gegenüber der Tschechoslowakei 1938 verglichen. "Wenn Adolf Hitler in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein fremdes Gebiet besetzen wollte, hat er immer erklärt, dass er die dortigen Deutschen schützen müsse“, sagte Schwarzenberg der Onlineausgabe der Zeitung „Pravo“ . Der 76-Jährige sitzt dem Außenausschuss des tschechischen Abgeordnetenhauses vor.Doch auch aus ganz anderen Ecken und zu den verschiedensten Anlässen wurden schon die Hitler-Keule geschwungen: Quelle: REUTERS
Mitte Februar 2014 rasselten Londons konservativer Bürgermeister Boris Johnson und Hollywood-Star George Clooney aneinander. In einem Streit ging es um die sogenannten Elgin Marbles im British Museum. Clooney hatte öffentlich gefordert, die Bruchstücke aus der Akropolis in Athen endlich an Griechenland zurückzugeben. Sie waren 1801 unter leicht dubiosen Umständen von britischen Forschern in Athen aus der Akropolis gebrochen, nach London gebracht und später an das British Museum verkauft worden. Johnson, bekannt für seine verbalen Breitseiten, bezichtigte Clooney, er verfechte eine Agenda der Beutekunst wie einst Hitler. Quelle: dpa
Italiens Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi fand sich im November 2013 in den Schlagzeilen wider, nachdem er sich und seine Familie mit den verfolgten Juden im Nationalsozialismus verglichen hatte. „Meine Kinder sagen, sie fühlten sich so, wie sich jüdische Familien während des Hitler-Regimes fühlen mussten. Wir haben wirklich alle gegen uns”, sagte Berlusconi in einem Interviewband des TV-Journalisten Bruno Vespa. Es war nicht Berlusconis erster Hitler-Vergleich: Schon zehn Jahre zuvor hatte er für einen Eklat im Europäischen Parlament gesorgt, als er dem Europapolitiker Martin Schulz sagte, er wolle ihn in einem italienischen Film für die Rolle eines KZ-Aufsehers vorschlagen – dafür sei er perfekt geeignet. Schulz hatte Berlusconi zuvor kritisiert. Quelle: AP
Im Sommer 2013 kostete ein Hitler-Vergleich einen hessischen Betriebsrat sein Amt. Er beschimpfte die Vorsitzende des Unternehmens während einer Sitzung mit den Worten: "33 hat sich schon mal so jemand an die Macht gesetzt mit solchen Methoden." Der Mann musste wegen Diffamierung gehen. Die Richter bezeichneten die Äußerungen über die Vorsitzende als "ehrverletzend" und als "groben Verstoß gegen ihr Persönlichkeitsrecht". (Aktenzeichen 9 TaBV 17/13 ) Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel findet sich in der ausländischen Presse immer mal wieder mit Hitlerbärtchen oder SS-Uniform. Im Mai 2013 attackierte Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orban Merkel und leistete sich einen ziemlich abstrusen Vergleich: von ihrer Ankündigung, man wolle weiter Einfluss auf die Ungarn haben, zog Orban Parallelen zu Hitlers „Unternehmen Margarethe“ (Deutschland schickte 1944 Truppen in das verbündete Ungarn und besetzte es). Wörtlich sagte er: „Die Deutschen haben schon einmal eine Kavallerie in Form von Panzern geschickt. Wir würden bitten, dass sie diese nicht noch einmal schicken.“ In der Diskussion ging es damals um die Regierungsmethoden Orbans, der durch zahlreiche Gesetze Demokratie, Medienfreiheit und vieles mehr eingeschränkt hatte und sich daher europäischer Kritik ausgesetzt sah. Quelle: REUTERS
Auch Hollywood-Schönheit Megan Fox folgte 2011 dem Prinzip „erst sprechen, dann denken“: Dass sie nicht mehr in der Fortsetzung der „Transformers“-Verfilmung mitspielen durfte, soll daran liegen, dass sie das Verhalten von Regisseur Michael Bay am Set mit Adolf Hitler verglich. Daraufhin forderte Produzent Steven Spielberg ihren Rausschmiss. Quelle: dapd

Nach Ansicht des Außenexperten der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, hat sich Timoschenko mit ihren Aussagen als ernstzunehmende Gesprächspartnerin für die Bundesregierung disqualifiziert. „Gift und Galle sind die falschen Zutaten für eine auf Frieden und Stabilität gerichtete Politik in der Ukraine“, sagte Liebich Handelsblatt Online. „Bei aller berechtigten Kritik am Vorgehen Russlands verbieten sich Vergleiche Putins mit Hitler schon allein mit Blick auf die Millionen Toten, die die UdSSR im von Hitler begonnenen Zweiten Weltkrieg zu beklagen hat.“ Die Europäische Union wäre daher gut beraten, zu diesen Äußerungen von Timoschenko auf Distanz zu gehen.

Die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, hat ohnehin kein Verständnis dafür, dass der Westen bislang betont zurückhaltend Timoschenko gegenübertritt. Wer die Forderungen vieler Ukrainer nach einer Entmachtung der Oligarchen unterstütze, dürfe auch „nicht schon wieder Leute wie die Gasprinzessin Timoschenko und ihre korrupten Freunde in der neuen Regierung hofieren“, sagte Wagenknecht Handelsblatt Online. Nötig seien unabhängige, internationale Untersuchungen der Todesschüsse auf dem Maidan und Diplomatie sowie Sicherheitsgarantien für Russland. „Eine Regierung mit Faschisten ist kein Verhandlungspartner“, betonte die Linke-Politikerin. Wagenknecht gibt insbesondere der SPD eine Mitschuld für die Spaltung der Ukraine.

Timoschenko ist eine der schillerndsten Figuren in der Ukraine, an der der Westen wohl nur schwer vorbeikommen dürfte. Das liegt auch daran, dass ihr Werdegang international teilweise mit großer Sympathie begleitet wurde. Die in Dnjepropetrowsk geborene Timoschenko stieg nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zur „Gasprinzessin“ auf. Politische Gegner werfen der Ex-Regierungschefin mit Blick auf ihr Vermögen vor, keine saubere Weste zu haben.

Im August 2011 war die Erzfeindin von Janukowitsch hinter Gitter gekommen. Zwei Monate später wurde sie wegen Amtsmissbrauchs trotz internationaler Proteste zu sieben Jahren Straflager und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. In dem nach Ansicht internationaler Beobachter politisch motivierten Verfahren wurde ihr ein Abkommen mit Russland über Gaslieferungen zum Nachteil der Ukraine zur Last gelegt.

Die Justiz ermittelte noch in anderen Verfahren gegen Timoschenko, so wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung sowie eines vermeintlichen Auftragsmordes an einem Abgeordneten im Jahr 1996.

Unbändig kämpften Timoschenko und ihre Familie für ihre Freilassung, mehrfach trat sie in Hungerstreiks. Vom Gefängnis aus mischte sie sich immer wieder in das politische Geschehen in der Ukraine ein und machte gegen Janukowitsch Front.

Andauernde Schmerzen machten der streitbaren Vollblutpolitikerin in der Haft allerdings gesundheitlich zu schaffen. Auch Spezialisten der Berliner Charité behandelten sie in der Ukraine. Timoschenkos Versuche, zur Behandlung nach Deutschland ausreisen zu dürfen, scheiterten zunächst im ukrainischen Parlament. Erst nach ihrer Haftentlassung konnte sie sich schließlich nach Berlin aufmachen.

Vom Krankenbett aus macht Timoschenko nun Politik gegen ihren neuen Widersacher Putin. Seine Rede, in der er das russische Vorgehen auf der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim rechtfertigt, nennt sie „faschistische Propaganda“. Putin lege es darauf an, „die Welt zu zerstören“ und wende dabei „Kriegsmethoden“ an.

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