Julia Timoschenko kennt keine Gnade. Gesundheitlich angeschlagen, schont sie sich nicht – und ihre politischen Gegner erst recht nicht. Bereits aus der zweieinhalbjährigen Haft heraus führte die wegen Amtsmissbrauchs verurteilte ukrainische Ex-Regierungschefin mit flammenden Appellen die Opposition gegen Präsident Viktor Janukowitsch. Mit Erfolg: Janukowitsch ist längst nicht mehr im Amt. Wer sein Nachfolger werden soll, steht für Timoschenko außer Frage. Sie will bei der Präsidentenwahl am 25. Mai antreten. Dafür rührt sie schon kräftig die Werbetrommel.
Allerdings erzielt Timoschenko damit nicht immer den gewünschten Effekt, wie ein Interview mit der „Bild“-Zeitung zeigt. Die 53-Jährige, die für viele noch ein Symbol der prowestlichen Orangenen Revolution von 2004 ist, wirft in dem Gespräch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „ungefilterten Faschismus“ vor. Er beabsichtige „die Neuzeichnung von Weltkarten durch Kriege, Massenmord und Blut“, sagt sie. Dieses Programm sei Putins „Mein Kampf“.
Die drastischen Worte kommen in der deutschen Politik nicht eben gut an. „Das ist völlig verantwortungsloses Gerede, mit dem sie sich als Politikerin disqualifiziert und Wasser auf die russische Propagandamühle leitet“, sagte der Russland-Berichterstatter der Unions-Bundestagsfraktion, Karl-Georg Wellmann, Handelsblatt Online. Die Europäische Union brauche aber Partner, die sich den Anforderungen gewachsen zeigen, die Ukraine aufzubauen. „Frau Timoschenko jedenfalls hat in der Vergangenheit schon genug Unheil angerichtet und sollte sich ihrer Gesundheit widmen“, fügte der CDU-Außenpolitiker hinzu. „Sie tut ihrem Land einen wichtigen Dienst, wenn sie sich als Person aus der Politik heraushält.“
Auch die SPD geht auf Distanz zur ukrainischen Oppositionsführerin. „Die von Frau Timoschenko angeführten Vergleiche sind irreführend und unangebracht“, sagte der Vize der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, Handelsblatt Online. Messlatte für die Bewertung internationalen Handelns seien die Beachtung von Regeln und das Ansinnen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. „Frau Timoschenko sollte ihren Aufenthalt in Deutschland ausschließlich nutzen, um wieder gesund zu werden.“
Die Grünen sehen die Rolle Timoschenkos ebenfalls sehr kritisch. „Historische Vergleiche jeglicher Art verbieten sich von selbst – gerade in der jetzigen Situation“, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, Handelsblatt Online. Die Ukraine brauche jemanden, der das Land wieder zusammenführt und integriert. „Timoschenko hat in der letzten Zeit nicht unbedingt so gewirkt.“
Politik vom Krankenbett
Nach Ansicht des Außenexperten der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, hat sich Timoschenko mit ihren Aussagen als ernstzunehmende Gesprächspartnerin für die Bundesregierung disqualifiziert. „Gift und Galle sind die falschen Zutaten für eine auf Frieden und Stabilität gerichtete Politik in der Ukraine“, sagte Liebich Handelsblatt Online. „Bei aller berechtigten Kritik am Vorgehen Russlands verbieten sich Vergleiche Putins mit Hitler schon allein mit Blick auf die Millionen Toten, die die UdSSR im von Hitler begonnenen Zweiten Weltkrieg zu beklagen hat.“ Die Europäische Union wäre daher gut beraten, zu diesen Äußerungen von Timoschenko auf Distanz zu gehen.
Die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, hat ohnehin kein Verständnis dafür, dass der Westen bislang betont zurückhaltend Timoschenko gegenübertritt. Wer die Forderungen vieler Ukrainer nach einer Entmachtung der Oligarchen unterstütze, dürfe auch „nicht schon wieder Leute wie die Gasprinzessin Timoschenko und ihre korrupten Freunde in der neuen Regierung hofieren“, sagte Wagenknecht Handelsblatt Online. Nötig seien unabhängige, internationale Untersuchungen der Todesschüsse auf dem Maidan und Diplomatie sowie Sicherheitsgarantien für Russland. „Eine Regierung mit Faschisten ist kein Verhandlungspartner“, betonte die Linke-Politikerin. Wagenknecht gibt insbesondere der SPD eine Mitschuld für die Spaltung der Ukraine.
Timoschenko ist eine der schillerndsten Figuren in der Ukraine, an der der Westen wohl nur schwer vorbeikommen dürfte. Das liegt auch daran, dass ihr Werdegang international teilweise mit großer Sympathie begleitet wurde. Die in Dnjepropetrowsk geborene Timoschenko stieg nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zur „Gasprinzessin“ auf. Politische Gegner werfen der Ex-Regierungschefin mit Blick auf ihr Vermögen vor, keine saubere Weste zu haben.
Im August 2011 war die Erzfeindin von Janukowitsch hinter Gitter gekommen. Zwei Monate später wurde sie wegen Amtsmissbrauchs trotz internationaler Proteste zu sieben Jahren Straflager und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. In dem nach Ansicht internationaler Beobachter politisch motivierten Verfahren wurde ihr ein Abkommen mit Russland über Gaslieferungen zum Nachteil der Ukraine zur Last gelegt.
Die Justiz ermittelte noch in anderen Verfahren gegen Timoschenko, so wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung sowie eines vermeintlichen Auftragsmordes an einem Abgeordneten im Jahr 1996.
Unbändig kämpften Timoschenko und ihre Familie für ihre Freilassung, mehrfach trat sie in Hungerstreiks. Vom Gefängnis aus mischte sie sich immer wieder in das politische Geschehen in der Ukraine ein und machte gegen Janukowitsch Front.
Andauernde Schmerzen machten der streitbaren Vollblutpolitikerin in der Haft allerdings gesundheitlich zu schaffen. Auch Spezialisten der Berliner Charité behandelten sie in der Ukraine. Timoschenkos Versuche, zur Behandlung nach Deutschland ausreisen zu dürfen, scheiterten zunächst im ukrainischen Parlament. Erst nach ihrer Haftentlassung konnte sie sich schließlich nach Berlin aufmachen.
Vom Krankenbett aus macht Timoschenko nun Politik gegen ihren neuen Widersacher Putin. Seine Rede, in der er das russische Vorgehen auf der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim rechtfertigt, nennt sie „faschistische Propaganda“. Putin lege es darauf an, „die Welt zu zerstören“ und wende dabei „Kriegsmethoden“ an.
Beliebteste Politikerin im Land
Während Timoschenko mit ihrer harten Analyse Stirnrunzeln auslöst, dürfte Putin sich davon wenig beeindruckt zeigen, zumal er für seine Politik breite Rückendeckung im Land genießt. Hunderttausende feierten in Russland die Eingliederung der Krim. Allein auf dem Roten Platz in Moskau versammelten sich rund 120.000 Menschen zu einem Konzert.
Allen Protesten und Strafmaßnahmen des Westens zum Trotz hatte Putin am Dienstag den Vertrag über die Aufnahme der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Halbinsel in die Russische Föderation unterzeichnet. Ein Zwischenfall mit zwei Toten schürte Ängste vor einer bewaffneten Auseinandersetzung.
Die Krim sei immer ein Teil Russlands gewesen, begründete Putin in einer Rede an die Nation sein Vorgehen. Die große Mehrheit der Russen und der Krim-Bewohner sei für den Anschluss. Auch Vertreter der prorussischen Krim-Führung setzten in Moskau ihre Unterschriften unter das Dokument. Die Zustimmung des russischen Parlaments zu dem Schritt steht noch aus, gilt aber als sicher und wird noch diese Woche erwartet.
USA, EU, Nato und die Ukraine verurteilten dagegen die Annexion ukrainischen Territoriums und wollen den Schritt nicht anerkennen. Washington droht Russland mit weiteren Sanktionen, Kanzlerin Angela Merkel beriet erneut mit US-Präsident Barack Obama. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einen „gefährlichen Weg“, den Russland beschreite.
SPD-Außenpolitiker Mützenich erklärte die Handlungen des russischen Präsidenten für „zweifellos völkerrechtswidrig“. „Sie werden die Spannungen in Europa fördern“, warnte er. Zumal „notwendige Signale zur Kooperation und Gewaltvermeidung“ derzeit nicht zu vernehmen seien. „Erforderlich wäre jetzt eine starke Beobachtermission der OSZE im Osten und Süden der Ukraine und das Unterlassen von Provokationen“, sagte Mützenich. „Da auch Russland kein Interesse an der Zahlungsunfähigkeit der Ukraine haben kann, müssen gemeinsame Schritte im IWF erneut unternommen werden.“
Ob der Westen allerdings mit seiner diplomatischen Bemühungen weiter kommt, wenn parallel dazu Timoschenko immer wieder Öl ins Feuer gießt? Ganz ohne sie wird die EU aber nicht agieren können. Die mit dem markanten blonden Haarkranz ist die beliebteste Politikerin im Land, Experten rechnen ihr gute Chancen bei Neuwahlen aus.