Hochschulen Erwartungen junger Forscher werden enttäuscht

Bund und Länder investieren eine Milliarde Euro, um junge Forscher an deutschen Unis zu halten. Doch das Geld wird wenig bringen.

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Die Bundesregierung versucht mehr Professoren für deutsche Hochschulen zu gewinnen. Quelle: dpa

In knapp zwei Wochen kommen die Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammen, um große Fragen zu erörtern: Zum Beispiel wie es mit dem Länderfinanzausgleich weitergeht. Die für den Steuerzahler unmittelbar folgenreichste Entscheidung aber werden die Länderchefs wohl einfach abnicken: Es gibt eine Milliarde Euro mehr für die deutschen Hochschulen. Verteilt wird das Geld unter dem Label „Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“, dahinter steckt der Plan, endlich zur Forschungskonkurrenz in den USA, Großbritannien oder Japan aufzuschließen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) verspricht einen „Strukturwandel“ in der deutschen Wissenschaft.

Nötig ist der zweifellos. So konkurrenzfähig deutsche Spitzenunis inzwischen sind, wenn es um die Anwerbung bereits etablierter Topforscher geht, so unattraktiv sind sie oft für junge Wissenschaftler, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Dauerhafte Anstellungen gibt es in Deutschland fast nur für Professoren. Die meisten Wissenschaftler unter 40 hangeln sich von einer befristeten Projektstelle zur nächsten. Wer eine Familie gründen will, der steigt oft aus. So gehen der Wissenschaft viele einheimische Talente verloren.

Erfolgsmodell Tenure Track

Anteil der Professoren am wissenschaftlichen Hochschulpersonal in Deutschland

Das neue Programm soll damit Schluss machen und setzt auf einen Zauberbegriff der internationalen Wissenschaftselite: Tenure Track, was frei übersetzt in etwa „Beschäftigungszeit“ bedeutet. „Die Karrierewege sollen so attraktiv sein, dass junge Leute, gerade die besten, gerne im Hochschulbereich bleiben“, sagt Ministerin Wanka.

Doch das teure Projekt dürfte die Erwartungen enttäuschen – es ist nur eine abgespeckte Variante des in den USA praktizierten Vorbildmodells. „Das Bund-Länder-Programm ist gut gemeint, aber ziemlich schlecht gemacht“, sagt Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München.

In den USA wird wissenschaftlicher Nachwuchs von jeher nach Tenure Track ausgebildet. Nach der Promotion erhalten Wissenschaftler eine Stelle als „Assistant Professor“, nach sechs Jahren wird ihre Leistung überprüft. Wer sich bewährt hat, erhält einen Vertrag auf Lebenszeit – und mehr Gehalt. Die entscheidende Hürde, um eine Wissenschaftskarriere beginnen zu können, wird dadurch nach vorne gezogen.

Beschäftigung wie im Amazon-Lager

Ganz anders in Deutschland. Hier gibt es zwar einen Dschungel verschiedenster Anstellungsformen für promovierte Wissenschaftler, diese sind aber alle zeitlich befristet. Zudem gilt oft ein Hausberufungsverbot, das die Weiterbeschäftigung an der gleichen Universität nach der Habilitation verbietet. Auch die letzte Reform, die Einführung der Juniorprofessur, konnte an diesen Problemen nichts ändern. Die Juniorprofessur sieht ebenfalls eine nicht aufhebbare Befristung vor, an deren Ende der Bewerbungswettbewerb von Neuem beginnt.

Die Folge ist ein Wissenschaftsbetrieb, in dem Zeitarbeit so üblich ist wie im Amazon-Lager. So ist heute in Deutschland nur noch jeder zehnte Wissenschaftler unbefristet als Hochschullehrer tätig, in den USA sind es knapp 50 Prozent, in Frankreich und England gar mehr als zwei Drittel des wissenschaftlichen Personals.

Hochschulen kritisieren Reformpläne

Einige Universitäten haben deshalb in den vergangenen Jahren eigene Programme entwickelt, um die Aussichten für Nachwuchsforscher an internationale Standards anzugleichen, vor allem in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. So gibt es an der TU München inzwischen 67 echte Tenure-Track-Stellen, die nach US-Vorbild Entfristung und Aufstiegsperspektiven bieten. „Wir bekommen herausragende Bewerbungen auf diese Stellen“, berichtet TU-Präsident Herrmann.

Die besten Unis der Welt 2016

Gerade weil das Programm an der Münchner Universität so gut funktioniert, kritisiert Herrmann den vermeintlichen Durchbruch auf Bundesebene. „Das Programm hat den Namen Tenure Track nicht verdient“, sagt er. Zum einen soll der deutsche Tenure Track die anderen Modelle nur ergänzen, die Chance einer Grundsatzreform wird vertan. Das deutsche Programm sieht zudem zwar eine Chance auf Entfristung vor – aber ohne Gehaltsaufwertung. Wer sich auf die neuen Stellen bewirbt, muss sich also für die Zweitklassigkeit auf Lebenszeit entscheiden. Das mag manch genügsamen Mittdreißiger ruhiger schlafen lassen, die internationale Elite aber schreckt es eher ab. Ein ziemlich enttäuschender Effekt für eine Milliarde Euro.

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