Homeschooling-Desaster Gute Bildung ist wichtiger als Datenschutz!

Alltag für Millionen deutsche Schüler und Eltern: Unterricht zu Hause, mal mehr, mal weniger digital. Quelle: dpa

Die deutsche Bildungspolitik blamiert sich im Lockdown beim nicht enden wollenden Versuch, selbst digitalen Unterricht auf die Beine zu stellen. Es ginge anders – mit amerikanischer Hilfe. Nachbarländer machen es uns vor. Ein Kommentar.

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Der Ruf nach dem Öffnen der Schulen wird immer lauter – und dass trotz der zunehmenden Verbreitung ansteckenderer Coronavirus-Mutationen. Wer sich in Deutschland Sorgen um die Bildung von Kindern macht, hat leider kaum eine andere Wahl: denn der Distanzunterricht ist meist nur mangelhaft digitalisiert.

Warum ist das so? Es gibt zwar viele Lernplattformen wie Google for Learning oder Videokonferenz-Anbieter wie Microsoft Teams und Zoom, die einen modernen Digitalunterricht ermöglichen. Aber sie stammen allesamt aus den USA. Und Schulämter warnen Schuldirektoren davor, das amerikanische FBI könne die Schüler ausspionieren. Wer in einer Schule pragmatisch die US-Plattformen einsetzt, dem drohen also Disziplinarverfahren. Die deutsche Politik gewichtet mit paranoiden Argumenten den Datenschutz höher als technisch  (und damit auch inhaltlich) hochwertigen Unterricht. Die Leidtragenden sind zunächst die Schüler – später aber die gesamte Volkswirtschaft.

Ja, Deutschland hat allen Grund, misstrauisch zu sein: Im Rahmen des Patriot Acts von 2001 und seinem Folgegesetz, dem Freedom Act, sind der amerikanischen Sicherheitsbehörde NSA weitreichende Freiheiten eingeräumt worden, um gegen Terroristen vorzugehen. Doch Hand aufs Herz: Werden US-Geheimdienste ihre Ressourcen ernsthaft auf das Bespitzeln von deutschen Schülern verwenden?

Schüler kämpfen mit den Widrigkeiten des Homeschoolings und kritisieren die deutsche Lernplattform IServ. Google Classroom wäre eine Alternative. Aber der US-Konzern ist als Datenkrake verschrien.
von Nele Husmann, Harald Schumacher

Davon abgesehen gilt zudem, dass auch die US-Anbieter die strenge europäische Datenschutzvorschrift DSVGO erfüllen. In den USA existiert Datenschutz ebenfalls. Es stimmt, dass US-Behörden über den Cloud-Act auf Inhalte auf Servern von amerikanischen Unternehmen im Ausland zugreifen darf – aber nur, wenn es einen handfesten Verdacht auf eine Straftat gibt. 

Konferenztools wie Zoom, Google Meet oder Microsoft Teams sind lediglich verpflichtet, Daten der vergangenen zwölf Monate zu speichern, welche IP-Adressen sich für welchen Zeitraum miteinander ausgetauscht haben. Was die Schüler gesagt haben, ob sie gemeinsam Algebra gelernt oder ein Gedicht analysiert haben, wird nicht festgehalten. Zoom hat zudem besondere Schüler-Accounts eingerichtet, für die noch strengere Regeln gelten und auf denen grundsätzlich keine Werbung laufen darf.

Viele argumentieren, dass die Schule Eltern nicht zwingen darf, die Daten ihrer Kinder auf US-Plattformen preiszugeben. Selbst Namen gelten in Deutschland schon als schützenswerte personenbezogene Daten. Freiwillig aber lässt das Gros der deutschen Eltern ihre Kinder auf US-Plattformen wie Facebook, Instagram, WhatsApp oder Snapchat sowie die chinesische App Tiktok. Oft sogar weit bevor sie das nötige Mindestalter von 13 Jahren erreichen. Dabei wären dort die Sorgen um die Privatsphäre der Kinder sehr viel ernster zu nehmen. 

Viel bedenklicher als das Schulangebot von Google ist deren Suchmaschine mit ihren Cookies, die sich die Vorlieben eines jeden merkt, um ihm die perfekte Anzeige zu servieren. Doch die wenigsten Deutschen sind davon irritiert genug, um alternative Suchmaschinen zu nutzen.

Politiker träumen derweil lieber von deutscher Software auf deutschen Cloud-Plattformen. Doch selbst der deutsche Marktführer IServ versorgt aktuell nur 4500 von 33.000 deutschen Schulen. Fortschrittliche Schulen haben immerhin einen eigenen Server für Iserv im Keller stehen, um ihren Schülern ein in sich geschlossenes Kommunikations-System zur Verfügung zu stellen. Das funktioniert im normalen Schulbetrieb im Klassenzimmer.



Doch im Lockdown sind die Datenlasten zu groß, um darüber stabilen Fernunterricht zu ermöglichen – Server crashen, Datenleitungen brechen zusammen. Deutsche Lernplattformen wie die von NRW entwickelte Logineo sind selbst nach 15 Jahren Entwicklungsarbeit noch nicht ausgereift. Der Versuch „Ella“ aus Baden-Württemberg wurde ganz aufgegeben. Schüler brauchen jedoch sofort nutzbare, stabile und skalierbare Lösungen, die nutzerfreundlich und intuitiv gestaltet sind.

Österreich setzt Apple, Google und Microsoft bereits im Unterricht an staatlichen Schulen ein. Dafür schloss die Regierung eigene Verträge mit den drei Technologiefirmen ab, in denen sie strenge Auflagen festgelegt und Werbung verboten haben. Auch ließ sie sich zusichern, dass die Daten wirklich unwiederbringlich vernichtet werden, wenn die Nutzer sie löschen. Grundsätzlich dürfen Lehrer auf den Plattformen keine Noten speichern, mit Hilfe derer man sich ein ganzheitliches Bild vom Schüler machen könnte. Auch das könnte auch für Deutschland ein Vorbild sein.

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So könnte sich der Unterricht im Lockdown wie ein normaler Schultag anfühlen – nur dass er vor dem Computer im Kinderzimmer stattfindet. Doch viele deutsche Schüler sind stattdessen gezwungen, unter der Anleitung der Eltern Aufgabenpakete schriftlich zu erledigen. Das zermürbt Mütter, Väter und Kinder gleichermaßen. Die Schüler verdienen es, dass die deutsche Politik einen funktionieren Unterricht über den Datenschutz stellt. Denn vom Erfolg dieser Schüler hängt die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts ab.

Mehr zum Thema: Schüler kämpfen mit den Widrigkeiten des Homeschoolings – und kritisieren die deutsche Lernplattform IServ. Google Classroom wäre eine Alternative. Aber der US-Konzern ist als Datenkrake verschrien.

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