WirtschaftsWoche: Herr Hofmann, wie viele Stunden arbeiten Sie am Tag?
Jörg Hofmann: Manche sagen: zu viel. Aber die Arbeit macht mir Spaß, ich arbeite oft mobil, sehr gern im Zug. Ich kann mich auch von zu Hause einloggen, wenn es nötig ist.
Wann, wie viel und wo Beschäftigte künftig arbeiten, will Ihre Gewerkschaft am 27. Juni auf einem großen Kongress debattieren. Wird das Thema Arbeitszeit dann auch ein Thema in der anstehenden Tarifrunde?
Sehr wahrscheinlich. Die Digitalisierung der Wirtschaft ist für Beschäftigte mit dramatischen Veränderungen verbunden. Die IG Metall hat in diesem Jahr die größte Arbeitnehmerumfrage gemacht, die es je gab, um zu hören, wie die Beschäftigten ihre Arbeitszeitrealität sehen und was sie erwarten. Wir haben 680.000 Rückmeldungen bekommen. Daraus lässt sich nun eine Reihe von Forderungen ableiten – auch als Antwort auf die Flexibilisierungswünsche der Arbeitgeber.
Was wollen Sie durchsetzen?
Punkt 1: Wir brauchen Arbeitszeiten, die sich an den Lebensphasen der Menschen orientieren. Wir debattieren derzeit darüber, ob die Beschäftigten für einen bestimmten Zeitraum das Recht erhalten sollten, für die Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen die Arbeitszeit zu verkürzen, etwa von 35 auf 32 oder 28 Stunden...
Zur Person
Jörg Hofmann, 61, ist seit 2015 Vorsitzender der IG Metall, der mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaft. Zuvor war der Diplom-Ökonom Vize-Chef der Gewerkschaft und zehn Jahre lang Bezirksleiter in Baden-Württemberg.
...und dafür auf Lohn verzichten müssen?
Nein. Die Arbeitszeitverkürzung muss auf jeden Fall mit einem ausreichenden Lohnausgleich durch die Arbeitgeber einhergehen. Sonst könnten sich viele Arbeitnehmer die Arbeitszeitverkürzung nicht leisten. Ein Modell nur für Besserverdiener ist das Letzte, was wir wollen.
Lieber ein Modell, das den Unternehmen hohe Zusatzkosten aufbürdet?
Es wären Zusatzkosten, die die Unternehmen gut tragen könnten. Sie halten so wichtige Fachkräfte, die sonst oft gezwungen wären, aus dem Beruf auszuscheiden.
Und Ihre weiteren Forderungen?
Wir brauchen dringend eine Entlastung für Schichtarbeiter. Denkbar wäre die Möglichkeit, eine Arbeitszeit unterhalb von 35 Stunden zu wählen. Es ist nachgewiesen, dass Schichtarbeiter eine höhere Gesundheitsbelastung und geringere Lebenserwartung als der Durchschnitt der Arbeitnehmer haben. Dagegen müssen wir etwas tun. Außerdem diskutieren wir in der IG Metall, ob tarifliche Regeln für mobiles Arbeiten nötig sind. Und was ganz wichtig ist: Wir brauchen mehr Selbstbestimmung aller Beschäftigten bei ihrer Arbeitszeit.
In einem eng getakteten Dreischichtbetrieb kann nicht jeder kommen und gehen, wie er will. Wie soll das Plus an Zeitsouveränität in der Praxis aussehen?
Es fängt schon damit an, dass die Leute ihre Freischichten selber festlegen oder mit Kollegen tauschen können, das ist derzeit in vielen Betrieben nicht möglich. Man könnte etwa festschreiben, dass jeder Schichtarbeiter eine bestimmte Zahl von Schichten im Jahr frei wählen kann. Es gibt auch heute schon Schichtmodelle mit Gleitzeit. Meine Hoffnung ist, dass Digitalisierung und Industrie 4.0 hier mehr Freiräume schaffen. Wenn sich starre Verkettungen in der Produktion auflösen, werden ganz neue Formen der Arbeitsorganisation möglich.