IG Metall Die Früchte der Streikwelle

Die Streiks bei der Post oder in den Kitas bescherten den Gewerkschaften im vergangenen Jahr viele neue Mitglieder. Dass es auch ohne heftigen Arbeitskampf geht, beweist die IG Metall.

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Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann ist stolz auf die steigenden Mitgliederzahlen. Quelle: Reuters

Berlin Wenn es um die Größe der Herausforderung geht, verweist die IG Metall gerne auf Bremerhaven oder Jena. 107.000 Einwohner zählt die thüringische Universitätsstadt, die Seestadt im Norden sogar noch ein paar Tausend mehr. So viele neue Mitglieder, wie Jena oder Bremerhaven Einwohner haben, muss die IG Metall jedes Jahr gewinnen, um nicht zu schrumpfen. Denn ein knappes Viertel der Mitglieder stellen Senioren, die über kurz oder lang ausscheiden werden.

Im vergangenen Jahr hat die größte deutsche Einzelgewerkschaft ihr selbstgestecktes Ziel erreicht. 120.568 Neuzugänge ließen die Mitgliederzahl das fünfte Jahr in Folge steigen – auf nunmehr 2,27 Millionen. „Besonders freuen wir uns darüber, dass die Zahl der betrieblichen Mitglieder auf 1,6 Millionen gestiegen ist – und damit auf den höchsten Stand der vergangenen zehn Jahre“, sagte der im vergangenen Oktober gewählte neue IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. Betriebliche Mitglieder sind die, die auch den vollen Beitragssatz von einem Prozent des Bruttoeinkommens zahlen. Für Rentner, aber auch für Studierende oder Arbeitslose gelten ermäßigte Sätze.

Entsprechend gut gefüllt sind die Kassen der Gewerkschaft. Die Beitragseinnahmen stiegen im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 3,4 Prozent auf 533 Millionen Euro. 15 Prozent ihrer Beitragseinnahmen führt die IG Metall in die Streikkasse ab, die damit für die anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie um knapp 80 Millionen Euro aufgestockt wird. „Die IG Metall ist gut aufgestellt und jederzeit handlungsfähig“, betont Hauptkassierer Jürgen Kerner.

Mit Warnstreiks hatte die IG Metall in der vergangenen Tarifrunde Druck gemacht und 3,4 Prozent mehr Geld für die 3,7 Millionen Beschäftigten der Branche herausgeholt. Am 29. Februar wird der IG-Metall-Hauptvorstand die Forderung für die nächste Runde beschließen. Einen Grund, Zurückhaltung zu üben, sieht Hofmann trotz konjunktureller Risiken nicht: „Die stabile wirtschaftliche Situation, wie sie allseits konstatiert wird, wird auch 2016 vor allem vom privaten Konsum getragen“, sagt er. Die IG Metall werde deshalb auf eine Erhöhung der Realeinkommen setzen, „die der guten Ertragslage der Unternehmen angemessen ist“.


Neue Mitglieder auch bei anderen Gewerkschaften

Verdi als zweitgrößtes Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) hatte zwar nach jahrelangem Schrumpfkurs 2013 erstmals wieder ein leichtes Mitgliederplus verzeichnet. 2014 ging es dann aber wieder steil abwärts. Insofern ist es ein Erfolg, dass die Dienstleistungsgewerkschaft mit 2,04 Millionen Mitgliedern zum Jahresende das Ergebnis des Vorjahres immerhin beinahe halten konnte. Vor allem bei Erwerbstätigen verbuchte Verdi kräftige Zuwächse. Stark ist die Gewerkschaft bei den Frauen: Sechs von zehn der im vergangenen Jahr neu eingetretenen Mitglieder sind weiblich.

Die Eintritte seien „eindeutig auf die konfliktreichen Tarifauseinandersetzungen im Jahr 2015 zurückzuführen“, glaubt Verdi-Chef Frank Bsirske, der im vergangenen September auf dem Bundeskongress für eine letzte Amtszeit bestätigt wurde. Die Gewerkschaft hatte mit wochenlangen Streiks in den Kitas und bei der Post für Schlagzeilen gesorgt. Allein der Tarifstreit im Sozial- und Erziehungsdienst soll ihr 27.000 neue Mitglieder beschert haben. Ob die allerdings angesichts des doch eher mageren Ergebnisses alle ihr Gewerkschaftsbuch behalten haben, ist fraglich.

Neben Verdi hat auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit vom Kita-Streik profitiert. Auch die – letztendlich zwar erfolglose ¬– Tarifauseinandersetzung für eine bessere Eingruppierung der Lehrer im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes dürfte sich ausgezahlt haben, ebenso wie der Kampf gegen das „Befristungsunwesen“ in der Wissenschaft. So konnte die GEW im vergangenen Jahr ihre Mitgliederzahl zum achten Mal in Folge steigern. Mit dem Plus von 3,1 Prozent wurde erstmals die Marke von 280.000 Mitgliedern geknackt. Gut 70 Prozent sind Frauen. „In den Tarifauseinandersetzungen haben wir unser Augenmerk darauf gelegt, nicht organisierte Kolleginnen und Kollegen für eine Mitgliedschaft in der GEW zu gewinnen. Das hat gut geklappt“, sagt die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe.

Auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), drittgrößtes Mitglied unter dem Dach des DGB, konnte im vergangenen Jahr knapp 29.000 neue Mitglieder gewinnen, vor allem in der chemischen und pharmazeutischen sowie der Kunststoff- und Kautschukindustrie. Viele Sterbefälle und das Auslaufen des Steinkohlebergbaus haben aber dazu geführt, dass die IG BCE unter dem Strich ein Prozent ihrer Mitglieder verloren hat und nun noch 651.181 in ihrer Kartei zählt. Allein 2.500 Steinkohlekumpel gaben im vergangenen Jahr ihr Gewerkschaftsbuch ab.

Die Chance, neue Mitglieder zu gewinnen, bietet sich für die IG BCE aber schon in der zweiten Jahreshälfte. Regional gestaffelt laufen zwischen Juli und September die Tarifverträge für gut eine halbe Million Chemie-Beschäftigte aus.

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