IG Metall-Tarifrunde Bildungsteilzeit wird zum Knackpunkt

Die IG Metall will in der aktuellen Tarifrunde einen weit gefassten Anspruch auf Weiterbildung durchsetzen. Müssen Betriebe bald für Liebhabereien ihrer Mitarbeiter zahlen?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Arbeitnehmer sollen mehr bezahlte Weiterbildung erhalten Quelle: Getty Images

Phoenix Contact im ostwestfälischen Blomberg müsste eigentlich ein Betrieb ganz im Sinne der IG Metall sein. Das Unternehmen bietet seinen 6.500 Mitarbeitern in Deutschland rund 140 Weiterbildungsseminare an, die Palette reicht von Technik- und IT-Schulungen bis hin zu Sprachkursen und interkulturellem Training, wenn ein betrieblicher Auslandseinsatz bevorsteht. Die Ausbildungsquote liegt mit sechs Prozent über dem Branchendurchschnitt, und wenn ein Mitarbeiter mit Bachelor-Abschluss seinen Master machen will, wird er für den Blockunterricht an der Universität freigestellt.

Die Weiterbildung des Personals sei „gerade in Zeiten von Industrie 4.0 ein zentraler Baustein für den Erfolg eines Unternehmens“, sagt Geschäftsführer Gunther Olesch. Doch eines macht der Manager unmissverständlich klar: „Wir dürfen Weiterbildung nicht wahllos betreiben, sondern müssen uns an den Erfordernissen der Betriebe orientieren.“ Es könne „keiner von einem Unternehmen erwarten, dass es Mitarbeiter für persönliche Vorlieben oder eine berufliche Umorientierung freistellt und finanziell unterstützt, die mit dem Arbeitsplatz nichts oder nur wenig zu tun haben“.

Genau dieses Szenario aber befürchten viele Arbeitgeber in der gerade angelaufenen Tarifrunde für die 3,7 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie. Dort fordert die IG Metall außer 5,5 Prozent mehr Geld und einem Altersteilzeitabkommen etwas völlig Neues – eine von den Arbeitgebern mitfinanzierte Bildungsteilzeit. Die Idee: Die Beschäftigten sollen ein Anrecht auf eine selbst gewählte betriebliche Auszeit erhalten, wenn sie etwa einen Schul- oder Berufsabschluss nachholen oder sich als Un- und Angelernte zusätzliche Kompetenzen aneignen wollen. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel: „Wir wollen Rechtsansprüche für alle und keine Gutsherrenart bei der Weiterbildung.“

Streit um Zahlen

Während es anfangs noch den Anschein hatte, die Forderung sei eine taktische Pirouette, um den Preis hochzutreiben, ist mittlerweile klar: Der IG Metall ist es damit ernst. „Ohne Ansprüche der Beschäftigten auf Weiterbildungsbausteine wird es keinen Abschluss geben“, sagt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Damit droht die Bildungsteilzeit zum entscheidenden Knackpunkt der Tarifrunde zu werden – weitere Eskalation nicht ausgeschlossen. Schon unmittelbar nach Ende der Friedenspflicht Ende Januar will die IG Metall die Republik mit massiven Warnstreiks überziehen. Dass die zwei im Januar terminierten regionalen Verhandlungsrunden einen Durchbruch bringen, gilt sowohl bei der IG Metall als auch im Arbeitgeberlager als unwahrscheinlich. Am 10. Februar will die Gewerkschaft auf einer Vorstandssitzung in Frankfurt entscheiden, ob und wie sie den Druck auf die Arbeitgeber erhöht.

Warum Arbeitgeber betriebliche Weiterbildung anbieten

Wofür genau die Unternehmen künftig ihr Personal freistellen sollen, ist jedoch noch nicht ausgemacht. Die IG Metall fordert „Ansprüche der Beschäftigten jenseits der kurzfristigen Verwertungsinteressen der Arbeitgeber“ – was große Interpretationsspielräume lässt. Kann sich ein Bandarbeiter künftig auf Kosten des Arbeitgebers zum Industriekaufmann umschulen lassen? Oder sich ein Mechatroniker für Rhetorikseminare wochenweise aus dem Betrieb verabschieden?

Sprachkurse auf den Malediven oder die Subventionierung persönlicher Hobbys seien nicht gemeint, versichert die IG Metall. Doch die Fortbildungsmaßnahmen eng an Beruf, Arbeitsplatz oder gar betriebliche Erfordernisse anbinden will die Gewerkschaft auch nicht. „Weiterbildung darf nicht allein auf Anpassungsqualifizierung verengt werden“, sagt Funktionär Giesler. „Die Beschäftigten brauchen die Chance, sich auf den weiteren industriellen Wandel frühzeitig einzustellen. Da darf es keinen Nasenfaktor geben, nach dem allein der Arbeitgeber auswählt, wer welches Angebot zur Weiterbildung bekommt.“

Heftige Gegenwehr

Bei den Arbeitgebern stößt die IG Metall damit auf heftige Gegenwehr. „Die Forderung der IG Metall nach einem tarifrechtlichen Weiterbildungsanspruch ist überzogen. Unternehmen, die wirtschaftlich nicht stabil dastehen, könnten dadurch Probleme bekommen“, sagt Phoenix-Contact-Manager Olesch. Arndt Kirchhoff, Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber in Nordrhein-Westfalen, sieht sogar die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. „Was passiert denn, wenn künftig Mitarbeiter ihren Meister machen, obwohl ihr Unternehmen dafür keine adäquaten Stellen hat? Die Gefahr ist groß, dass sie sich die Fortbildung finanzieren lassen – und danach zu einem Wettbewerber wechseln.“

Weiterbildungsausgaben der deutschen Wirtschaft

Über Kreuz liegen die Kontrahenten auch in der Frage, wie umfangreich schon jetzt die Weiterbildungsaktivitäten der Unternehmen sind. Eine im Dezember präsentierte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu dem Schluss, dass neun von zehn Unternehmen in der Weiterbildung aktiv sind. Damit habe das Engagement in der betrieblichen Weiterbildung einen neuen Höchststand erreicht. Laut IW-Studie sind die Ausgaben von 2010 bis 2013 um 16 Prozent gestiegen – auf insgesamt 33,5 Milliarden Euro. Für jeden einzelnen Mitarbeiter gibt die deutsche Wirtschaft demnach rund 1.130 Euro pro Jahr für betriebliche Weiterbildung aus (siehe oben), und die Kosten für Azubis sind darin noch nicht enthalten. Verbrachten die Arbeitnehmer 2010 im Schnitt 29,4 Stunden in Lehr- und Informationsveranstaltungen, waren es 2013 bereits 32,7 Stunden.

Die IG Metall beeindruckt das wenig. Von den acht Milliarden Euro, die die Metall- und Elektroindustrie in die Köpfe ihrer Mitarbeiter investiert, fließe die Hälfte in die klassische Ausbildung, rechnen die Arbeitnehmervertreter vor. In Relation zum Umsatz der Branche von rund einer Billion Euro seien die verbleibenden Weiterbildungsausgaben mit einem Anteil von 0,4 Prozent arg gering.

Detlef Wetzel, Vorsitzender der IG-Metall. Quelle: dpa

Bei ihrem Vorstoß geht es der Gewerkschaft indes nicht nur um den Bildungshorizont der Arbeitnehmerschaft, sondern auch um die eigene Position. Die Angst der Gewerkschaft: Ohne massive und ständige Fortbildung könnten angesichts der Digitalisierung und des rasanten technologischen Wandels gerade solche Arbeitnehmer ihren Job verlieren, die heute zur Kernklientel der IG Metall zählen. Hinzu kommt: Wo es einen tariflichen Anspruch gibt, sind immer auch Funktionsträger nötig, die dessen Einhaltung kontrollieren. Betriebsräte-Umfragen in Metall- und Elektrobetrieben zeigen, dass derzeit in vielen Fällen die (meist von der IG Metall dominierten) Betriebsräte bei der Entscheidung über Qualifizierungsmaßnahmen nicht beteiligt werden. Das würde die IG-Metall-Spitze gern ändern.

Die nächste Quote

Hinter den Kulissen hat derweil die Suche nach einem Kompromiss begonnen. Die IG Metall würde gern einen Teil der ausgehandelten Lohnerhöhung in einen Fonds stecken, aus dem anschließend die Bildungsteilzeit finanziert wird. Zudem ist die Gewerkschaft bereit, eine Obergrenze einzuziehen, damit sich nicht zu viele Mitarbeiter gleichzeitig in Seminaren tummeln und die Betriebsabläufe durcheinandergeraten. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel schlägt vor, einen bestimmten Anteil an der Belegschaft zu vereinbaren, der sich fortbilden kann. Welche Beschäftigten das konkret seien, müsse „in den Betrieben nach neuen Kriterienkatalogen vereinbart werden“. Das sei „weit besser, als die Entscheidung allein den Arbeitgebern zu überlassen, die oft nur einzelne Beschäftige und die kurzfristigen Interessen des eigenen Betriebs im Blick haben“. Ein ähnliches Procedere gibt es bereits bei der Altersteilzeit: Dort gilt in der Metallindustrie eine tarifliche Obergrenze von vier Prozent der Belegschaft.

Insgeheim hoffen viele Arbeitgeber noch, dass der IG-Metall-Basis am Ende mehr Geld auf dem Konto wichtiger ist als ein Grundrecht auf Seminare. Doch Metaller Giesler hält dagegen. „Je länger das Thema diskutiert wird, umso höher ist das Interesse der Belegschaften.“ Es gebe „eine hohe Bereitschaft an der Basis, auch für das Thema Bildungsteilzeit notfalls in einen Arbeitskampf zu ziehen“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%