IG Metall „Weiße Flecken im Mittelstand“

Knut Giesler Quelle: imago images

Von Sonntag an trifft sich die IG Metall in Nürnberg zu ihrem großen Gewerkschaftskongress. NRW-Bezirkschef Knut Giesler warnt im Interview vor einer Erosion der Gewerkschaftsmacht – und beschreibt den schwierigen Versuch, AfD-Leute von der IG Metall fernzuhalten.

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Knut Giesler, 55, ist seit sieben Jahren Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, dem mitgliederstärksten Bezirk der Gewerkschaft.

WirtschaftsWoche: Herr Giesler, auf dem Gewerkschaftstag in Nürnberg will die IG Metall ihre Strategie für die kommenden vier Jahre festklopfen. Wohin geht die Reise?
Knut Giesler: Im Zentrum der Debatten werden vor allem die Digitalisierung und die Frage stehen, wie wir als Gewerkschaft mit der Transformation der Industrie umgehen. Eine sehr emotionale Debatte dürfte es auch bei der Frage geben, ob wir AfD-Leuten den Eintritt in unsere Gewerkschaft verbieten können. Dazu gibt es auf dem Gewerkschaftstag mehrere Anträge. Wir wollen mit rechtspopulistischen Hetzern nichts zu tun haben, allerdings ist es vereins- und satzungsrechtlich kaum möglich, den Aufnahmeantrag eines Metallers wegen AfD-Mitgliedschaft abzulehnen. Ich glaube, da wird die Stimmung hochkochen.

Die Digitalisierung führt dazu, dass Jobs in Bereichen wegbrechen, wo viele Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert sind. Neue Stellen hingegen entstehen häufig dort, wo sich kaum jemand für Gewerkschaften interessiert. Erodiert die Macht der IG Metall?
Wenn wir nicht intensiv gegensteuern: ja. Bei Thyssenkrupp Steel haben wir selbst bei den Angestellten einen Organisationsgrad von 70 Prozent. Beim Autozulieferer Apitiv/Delphi in Wuppertal, einem Entwicklungsstandort mit 800 Ingenieuren und Technikern, kommen wir insgesamt und nach großen Anstrengungen auf rund 20 Prozent. Gerade im Mittelstand gibt es für uns noch viele weiße Flecken.

Braucht vielleicht auch die IG Metall mehr Disruption?
In gewisser Weise ja. Zum einen organisatorisch. In NRW hat mittlerweile jede der 39 IG-Metall-Geschäftsstellen einen Transformationsbeauftragen, es gibt eine Reihe von Erschließungsprojekten für neue Mitglieder. Wir brauchen aber auch eine neue Art der Ansprache. Veränderung heißt: Es verändern sich auch die Menschen, die bei der IG Metall arbeiten. Wir stellen zum Beispiel immer mehr Akademiker ein, um neue Zielgruppen wie Softwarenentwickler, Ingenieure, den kaufmännischen Bereich zu erreichen. Unsere Funktionäre brauchen einen anderen Habitus, um diese Klientel erfolgreich ansprechen zu können. Da hilft uns ein geschätzter Kollege, auf dessen Lieblings-T-Shirt der Satz „Hier kommt Ärger“ steht, nicht immer weiter.



Industrielle Disruption ist das eine. Parallel gibt es dazu nun aber auch noch einen konjunkturellen Abschwung, der die Jobs ihrer Mitglieder bedroht...
Es ist noch nicht ganz klar, ob wir es mit einer Delle zu tun haben oder mit den Vorboten einer echten Krise. Fakt ist, dass die Zahl der Kurzarbeiter in unserer Branche steigt. Im Juni und Juli waren knapp zehn Prozent der Beschäftigten in geplanter oder tatsächlicher Kurzarbeit, Ende September bereits 15 Prozent. Eine Befragung unserer Betriebsräte hat zudem ergeben, dass vielerorts die Auftragseingänge sinken. Daher brauchen wir für die Beschäftigten eine funktionierende Kaskade beim Krisenschutz.

Was meinen Sie damit?
Wenn es schlechter läuft, sollten als erstes die Arbeitszeitkonten heruntergefahren werden. Solche Konten sind weit verbreitet und ermöglichen in der Praxis Schwankungsbreiten bis zu 250 Stunden. Wenn man nur zehn Stunden pro Woche abbaut, kommt man gut 24 Wochen über die Runden. Reicht das nicht, kommt die Kurzarbeit ins Spiel. Hier sollte die Politik sicherheitshalber die maximale Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld von 12 auf 24 Monate erhöhen. Reicht auch das nicht, können wir in NRW auf unseren Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung zurückgreifen, der – zeitlich begrenzt – eine sinkende Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erlaubt. Rechnet man das alles zusammen, können die Arbeitgeber eine Krise für zwei bis drei Jahre überstehen, ohne Leute entlassen zu müssen.

Die nächste Metall-Tarifrunde gibt es 2020 – und könnte mitten in eine Rezession fallen. Stimmt das die IG Metall bei ihren Forderungen milder?
Für Milde besteht kein Anlass, wir werden die konjunkturelle Entwicklung aber natürlich genau verfolgen. Die interne Vorbereitung auf die Tarifrunde beginnt bei uns gerade, im Februar wird die Forderung beschlossen. Diese orientiert sich traditionell an der Produktivitätsentwicklung, der Inflation und einer Umverteilungskomponente. Dabei gilt: Je besser die wirtschaftliche Lage, umso höher der Umverteilungsfaktor – und umgekehrt.

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