Immer mehr Privatschulen Ein Misstrauensvotum der Eltern gegen den Staat

Privatschulen wie Schloss Salem am Bodensee erleben einen Boom. Quelle: imago images

Dieser Boom ist kein Grund zur Freude. Die wachsende Zahl der Privatschulen offenbart den Vertrauensverlust in staatliche Bildungsinstitutionen. Wer es sich leisten kann, erspart sie den eigenen Kindern.

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Hinter dieser kleinen Meldung des Statistischen Bundesamts steht ein vernichtendes Urteil über die deutsche Bildungspolitik der vergangenen drei Jahrzehnte: Seit 25 Jahren steigt die Zahl privater Schulen in Deutschland kontinuierlich an. Im Schuljahr 2017/2018 gab es 5839 allgemeinbildende und berufliche Privatschulen in Deutschland. Das entspricht einem Zuwachs von 81 Prozent gegenüber dem Schuljahr 1992/1993 (3232).

Besonders frappierend ist dieser Anstieg angesichts des Rückgangs der Gesamtzahl aller Schulen seit der Jahrtausendwende aufgrund der gesunkenen Geburtenzahlen. So hat sich die Zahl der Schulen insgesamt von 2000 bis 2017 um 19 Prozent verringert. Die Anzahl der Privatschulen stieg dagegen im selben Zeitraum um 43 Prozent. Mittlerweile sind 14 Prozent aller allgemein- oder berufsbildenden Schulen in privater Trägerschaft. Von den gut 10,8 Millionen Schülerinnen und Schülern in Deutschland im Schuljahr 2017/18 besuchte rund jeder 11. eine Privatschule.

Die Erklärung für dieses Phänomen kann nur lauten: Eltern und Schüler stimmen mit den Füßen über die Qualität der öffentlichen Schulen ab.

Es ist damit auch ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Bildungsreformpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Und angesichts der fundamentalen Bedeutung von Bildung in modernen Gesellschaften und Volkswirtschaften ist es ein Alarmzeichen für dieses Land. Offensichtlich verlieren immer mehr Eltern das Vertrauen in die Fähigkeit dieses Staates, ihren Kindern angemessene Bildungsinhalte und Kompetenzen vermitteln zu können.

Dieser Schluss wird sogar von den Statistikern selbst letztlich nahegelegt. „Mit dem Besuch von privaten Schulen werden häufig bessere Unterrichtsbedingungen und daraus eventuell resultierende höhere Qualifikation und/oder die Vermittlung von Werten, insbesondere durch kirchliche Schulträger, in Verbindung gebracht“, heißt es in der Auswertung des Statistischen Bundesamts.

Die Zahlen offenbaren zudem ein Gefälle: 5,9 Prozent aller ausländischen Schüler besuchten im Schuljahr 2017/18 private Schulen, gegenüber 9,6 Prozent der deutschen. „Die deutlich niedrigere Quote könnte zum Teil mit dem für die meisten privaten Schulen zu zahlenden Schulgeld zusammenhängen. In nahezu allen Schularten sind Ausländer in privaten Schulen seltener vertreten als in öffentlichen Schulen“, schreibt das Statistische Bundesamt.

Soziale Segregation zwischen privaten und öffentlichen Schulen

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels kommt außerdem zu dem Ergebnis: „Die soziale Segregation zwischen privaten und öffentlichen Schulen hat in den vergangenen 20 Jahren deutlich zugenommen“.

Laut Artikel 7 des Grundgesetzes erhalten Privatschulen eine Genehmigung, „wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“.

Der Boom der Privatschulen dürfte vor allem darauf beruhen, dass viele Privatschulen die erste Bedingung übererfüllen und die zweite allenfalls pro forma erfüllen. In Wirklichkeit sind viele Privatschulen nicht trotz des Schulgelds, das sie in gewissen Grenzen verlangen dürfen, so beliebt, sondern gerade deswegen: Weil es eine sozial unerwünschte Klientel abhält.

Der Boom der Privatschulen konfrontiert Bildungspolitiker mit den Trümmern ihrer eigenen Reform-Hybris: Während die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte meist von dem sozialdemokratisch inspirierten Wunsch nach mehr (Chancen-)Gleichheit und Integration getrieben war, führte sie in der Wirklichkeit eine wachsende Segregation herbei.

Das Kriterium ist nicht mehr wie einst im bewährten dreigegliederten System der Vergangenheit der Notenschnitt der Kinder, sondern zunehmend wieder wie in noch früheren, überwunden geglaubten Zeiten, die Zahlungsfähigkeit der Eltern.

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