Impfmüdigkeit in Deutschland „Die Bundesregierung verwaltet den Missstand, statt Anreize für die Impfkampagne zu setzen“

Quelle: dpa

Millionen Impfdosen droht in Deutschland die Vernichtung – dabei ist das Ziel der Herdenimmunität weit entfernt. Eine Prämie von 100 Euro oder mehr könnte helfen. Doch die Bundesregierung lehnt es ab, mit Geld zu locken.

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Die Infektionszahlen in Deutschland steigen spürbar, das Impftempo nimmt Woche für Woche ab – alles andere als eine gute Kombination. Dennoch will der Bund weder Geldprämien zahlen noch anderweitige Anreize zum Impfen setzen. „Nach Auffassung der Bundesregierung sollte Hauptanreiz für eine Impfung sein, sich und andere zu schützen“, heißt es in der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine entsprechende Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken, die der WirtschaftsWoche vorliegt. „Bundesweite verhaltensökonomische Anreize prüft die Bundesregierung nicht“, heißt es darin weiter. Gleichwohl begrüße man „kreative Ansätze“ in Ländern und Kommunen.

Tatsächlich werden Spritzen mittlerweile in Fußballstadien oder Einkaufszentren verabreicht, kann man sich in Unis oder Berufsschulen impfen lassen. Der Impfstoff muss mit viel Aufwand zu den Menschen gebracht werden. Der akute Mangel hat sich also in ein Überflussproblem verwandelt – das von vielen ersehnte Ziel der Herdenimmunität bleibt so noch in weiter Ferne.

Die schriftlich festgehaltene Untätigkeit der großen Koalition stößt deshalb in der Opposition auf Unverständnis: „Die Bundesregierung verwaltet den Missstand, statt Anreize für die Impfkampagne zu setzen“, kritisiert der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi gegenüber der WirtschaftsWoche. Der ökonomische und soziale Nutzen einer Impfung übersteige die Kosten einer Prämie bei Weitem. „Es gibt neben den harten Impfverweigerern unter den Ungeimpften viele Geringverdiener, die unentschlossen sind und über mobile Impfangebote und Anreize erreicht werden können.“

Eine solche Prämie, argumentiert der Parlamentarier weiter, ließe sich zudem so gestalten, dass sie den stationären Einzelhandel unterstütze. Es wäre auch denkbar, eine Impfprämie auf alle bis zu einem Stichtag Geimpften auszuweiten, um keine Anreize zu setzen, eine Impfung hinauszuzögern. „Als gezielter Konsumscheck für Geringverdiener würden jene unterstützt, die unter der Pandemie am schwersten gelitten haben“, wirbt De Masi, „und ein sinnvoller konjunktureller Impuls im Herbst gesetzt."

500 Euro für alle?

Auch aus Sicht von Ökonominnen wäre die Geldprämie ein wirkungsvolles Instrument. Nora Szech vom Karlsruhe Institute of Technology hat die Wirkungen untersucht: „Ab etwa 100 Euro steigern Kompensationen die Impfbereitschaft. Bei 100 Euro kommen wir auf 80 Prozent, bei 500 Euro geht es Richtung 90 Prozent“, sagt sie. Und sie unterstreicht ein weiteres Argument für die finanziellen Anschubser: Es bliebe dennoch ein gutes Geschäft für den Staat, denn der gesellschaftliche Gegenwert einer Impfung (etwa aufgrund sinkender Krankenstände und geringerer Lockdown-Risiken) beträgt Studien zufolge rund 1500 Euro.



Eine solche Prämie sollte jedoch erst nach der zweiten Dosis gezahlt werden, meint Szech. Eine Kombination aus vielen dezentralen mobilen Impfteams plus Geld wäre aus Szechs Sicht „eine ideale Kombination“, um dem Ziel der Herdenimmunität näher zu kommen. Nun gehe es darum, „die Impfbereiten abzuholen, denen der Aufwand bislang zu groß war“. Und um keine Zusatzdebatte um Ungleichbehandlung auszulösen, sollte die Prämie „natürlich an alle gegeben werden, die sich haben impfen lassen“, sagt sie. Auch nachträglich.

Mehr zum Thema: An Impfstoff gegen Covid-19 mangelt es längst nicht mehr, dafür offenbar an Impfbereitschaft. Ansätze, um mehr Menschen vom Impfen zu überzeugen, gibt es viele. Aussichtsreich aber sind Forschern zufolge nur wenige.

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