Impfpflicht im Gesundheitswesen „Ich habe dem gesagt, hau den Dreck einfach rein“

Ab März muss jeder Beschäftigte im Gesundheitswesen geimpft sein. Sonst droht Hausverbot. Quelle: imago images/photothek

Markus Söder laviert bei der Umsetzung der Impfpflicht für medizinisches Personal. Mehrere Betroffene in Bayern lehnen die verpflichtende Impfung ab. Eine Kündigungswelle droht vermutlich nicht, aber Behörden fürchten mögliche Lücken in der Pflege.

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Als der Anruf kommt, der über seine berufliche Zukunft entscheidet, arbeitet Michael Obermaier (Name von der Redaktion geändert) in seinem Gemüsegarten. Obermaiers Chef meldet sich. Er möchte reden. Seit einigen Wochen steht fest, dass eine Impfpflicht für Mitarbeiter des Gesundheitswesens kommen wird – auch Obermaier muss sich impfen lassen, wenn er seine Arbeit als Notfallsanitäter behalten will. Sein Chef stellt ihn Anfang Januar vor die Wahl: Ja oder nein? Obermaier muss sich entscheiden – entweder impfen oder seine Zukunft im Rettungsdienst steht auf dem Spiel.

Obermaier versorgt in seiner Arbeit kranke Menschen und fährt Unfallopfer in die Krankenhäuser Niederbayerns. Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen kann er kaum vermeiden.

Bund und Länder haben aus diesem Grund eine Impfpflicht für Ärztinnen, Pfleger oder Notfallsanitäter beschlossen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte im vergangenen Jahr besonders laut für den verpflichtenden Stich im Gesundheitswesen getrommelt. Anfang Februar vollzog Söder aber die Kehrtwende, man könne die beschlossene Impfpflicht nicht kontrollieren, meinte der bayerische Ministerpräsident. Wenige Tage später schlug Söder die nächste Volte: Bayern wird die Impfpflicht nun doch fristgerecht umsetzen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer lehnt indes eine Impfpflicht weiter ab, obwohl auch Sachsen im Bundesrat dem Gesetz zustimmte. „Die Bedenken aus dem Gesundheits-, aus dem Pflegebereich müssen ernst genommen werden“, sagte Kretschmer dem MDR.

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„Insbesondere im Bereich der Pflegeeinrichtungen warnen die betroffenen Verbände davor, dass eine angemessene Versorgung zum Teil nicht mehr gewährleistet werden könne“, teilt das bayerische Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Etwa elf Prozent der Beschäftigten in der Langzeitpflege seien nicht geimpft, würden alle Ungeimpften aufhören zu arbeiten, „könnten viele Einrichtungen dies nicht kompensieren“.

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In Krankenhäuser bestehen laut Ministerium hingegen keine nennenswerten Impflücken. Die Ergebnisse einer Befragung des Personals deutscher Krankenhäuser durch das Robert-Koch-Institut lassen ähnliche Schlüsse zu. Bereits im Sommer 2021 waren 95 Prozent der Angestellten geimpft. Die Impfpflicht betrifft in diesem Bereich nur einen kleinen, aber harten Kern der Impfverweigerer.

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Obermaier kann man vermutlich zu diesem harten Kern zählen. Die Wirkung der Corona-Impfstoffe sei eine Lüge, die Politik und Medien der Bevölkerung vorgaukelten, da ist sich Obermaier sicher. Während er die Donau entlang schlendert, äußert er Überzeugungen, die ansonsten selbsternannte Spaziergänger in Dresden oder Düsseldorf an vielen Wochenenden skandieren. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD schimpft Obermaier einen Klabautermann. Impfungen gegen Corona können angeblich „wegen der vermehrten Zellteilung“ Krebs und Ausschlag an den Armen verursachen. Wieso hört man davon nichts in der Öffentlichkeit? „Im Krankenhaus wird alles unter den Tisch gekehrt“, meint der Notfallsanitäter. Die Wissenschaft widerspricht Obermaiers Thesen. Corona-Impfungen sind sicher und schützen vor schweren Verläufen und Tod.

Mit der Impfung gegen Corona hat sich Obermaier nach wie vor nicht angefreundet. Im Januar hatte Obermaier überlegt, seine Arbeit hinzuschmeißen. Das Telefonat mit seinem Chef und die Impfpflicht zeigten aber Wirkung: Obermaier ließ sich von seinem Hausarzt Moderna spritzen, um seine Arbeit zu behalten. „Ich habe dem gesagt, hau den Dreck einfach rein.“

Dreck? So weit wie ihr Kollege Obermaier würde Walburga Kirchner (Name von der Redaktion geändert) nicht gehen. Sie arbeitet ebenfalls im bayerischen Rettungsdienst. Kirchner steht Impfungen skeptisch gegenüber, trotzdem ließ sie sich im Herbst 2021 – vor der Impfpflicht – immunisieren. Eine Impfpflicht für das medizinische Personal lehnt sie aber ab. „Mit Kontrolle agieren ist der falsche Ansatz“, sagt sie.



Etwa fünf Prozent der Pflegekräfte an seinem Klinikum wollen sich nicht impfen lassen, schätzt ein Arzt, der an einem der größten kommunalen Krankenhäuser Niederbayerns arbeitet. Auch die Impfpflicht werde die Impfunwilligen vermutlich nicht überzeugen können. „Von einer Kündigungswelle zu sprechen, ist übertrieben, aber fünf Prozent weniger Personal würde uns definitiv wehtun“, sagt der Mediziner.

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