Impfstoff gegen Corona „Wir dürfen jetzt nicht unvorsichtig werden“

Der neue Impfstoff ist mit konjunktureller Euphorie und Leichtsinn verbunden. Quelle: Karl-Josef Hildenbrand dpa/lby

Wird alles gut, wenn der Impfstoff kommt? Der langjährige Wirtschaftsweise Christoph Schmidt warnt vor konjunktureller Euphorie – und vor einem neuen Leichtsinn in der Bevölkerung.

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Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Bis Februar dieses Jahres war er Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

WirtschaftsWoche: Professor Schmidt, wie beeinflusst der womöglich bald verfügbare Corona-Impfstoff die Konjunktur 2021?
Christoph Schmidt: Um die Coronakrise zu überwinden, ist eine nachhaltige Reduzierung der Neuinfektionen oder zumindest der schweren Krankheitsverläufe eine zentrale Voraussetzung. Ein wirksamer Impfstoff kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Wenn sich die bisherigen Erkenntnisse bestätigen, steigt die Chance, dass sich im Verlauf des nächsten Jahres die konjunkturelle Erholung verstärkt – und zwar weltweit. 

von Jacqueline Goebel, Daniel Goffart, Rüdiger Kiani-Kreß, Hannah Krolle, Jürgen Salz, Heike Schwerdtfeger, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Konkret: Ist der Impfstoff ein „Game Changer“ für die Konjunktur, wie viele Ökonomen behaupten?
Ein wirksamer Corona-Impfstoff ist sicher ein wichtiger Baustein in einer Gesamtstrategie zur Überwindung der Pandemie, reicht aber für sich allein nicht aus. Vielmehr wird es zunächst weiterhin auf das Verhalten der Bevölkerung ankommen. Die Aktienmärkte haben einen möglichen Impfstoff ja schon gefeiert! Diese Erleichterung kann aber schnell wieder verfliegen. Der Weg bis zu einer weltweiten Verfügbarkeit von Corona-Impfstoffen ist noch lang. Damit sich die konjunkturelle Erholung fortsetzen kann, müssen die Fallzahlen in den kommenden Wochen deutlich sinken, da hilft der Impfstoff zunächst wenig. Keinesfalls darf man jetzt in Erwartung eines Impfstoffes leichtsinnig werden und die Abstands- und Hygieneregeln vernachlässigen. 

Kann die Chance auf einen Impfstoff die Kauflust der Konsumenten erhöhen?
Die Aussicht auf einen wirksamen Impfstoff kann die Stimmung der Verbraucher, die sich durch den erneuten Anstieg der Infektionszahlen verschlechtert hatte, sicher aufhellen. Aber wir dürfen jetzt nicht unvorsichtig werden. Die Ankündigung eines Impfstoffes könnte sogar zunächst kontraproduktiv sein, wenn Menschen dadurch jetzt wieder Abstands- und Hygieneregeln vernachlässigen.



Müssen die Konjunkturprognostiker ihre Vorhersagen revidieren, die sie vor dem Forschungserfolg von Pfizer und Biontech aufgestellt haben?  
In unserer Prognose für das kommende Jahr sind wir davon ausgegangen, dass es im Laufe des Jahres gelingt, die Infektionszahlen deutlich zu reduzieren. Dies kann durch einen Impfstoff, aber auch durch andere Maßnahmen gelingen. Unsere Prognose muss daher nicht revidiert werden. Vielmehr erhöht die Ankündigung eines wirksamen Impfstoffes die Wahrscheinlichkeit, dass dieses optimistische Szenario eintritt.

Was meinen Sie: Wann erreicht die deutsche Wirtschaft wieder ihr Vorkrisenniveau?
Nach unserer Prognose Ende des kommenden Jahres. Voraussetzung dafür ist, dass der Dämpfer durch den derzeitigen Anstieg der Neuinfektionen nicht zu stark ausfällt.

Mehr zum Thema: Ein Impfstoff gegen das Coronavirus scheint gefunden Doch zu viele Fragen sind noch ungeklärt.

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