Fragt man CDU-Mitglieder wenige Tage vor dem Parteitag in Essen nach der Stimmung, ist die Antwort meist ähnlich: Es brodelt. Nicht so sehr in der Bundestagsfraktion in Berlin oder in den Landtagen. Aber an der Basis, also bei den hunderttausenden Parteimitgliedern, die nicht mit Politik ihr Geld verdienen, sondern – im Gegenteil – die Partei mit Mitgliedsbeiträgen finanzieren und in Wahlkämpfen als treue Parteisoldaten Plakate kleben oder an unwillige Passanten Flyer verteilen sollen.
Und die wenigen Abgeordneten, die offene Worte über den Zustand ihrer Partei nicht scheuen, machen daraus auch keinen Hehl: „Es gibt derzeit unbestreitbar eine große Unruhe an der Parteibasis“, sagt der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, direkt gewählter Bundestagabgeordneter – und bekannt geworden als einer der wenigen, die gegen die Griechenland-Rettungspakete stimmten.
In seiner Fraktion und in der Kaste der Mandats- und Funktionsträger seiner Partei ist Willsch ein Sonderfall. Er gehört zu den ganz wenigen, die öffentlich Kritik üben am Kurs der Bundesregierung und der Parteiführung. Er kritisiert nicht nur das unbedingte Festhalten an der Euro-Rettung, die de facto eine Umwandlung der Währungsunion in eine Transferunion bedeutet, sondern auch die Flüchtlingspolitik. Er schert sich nicht um den Graben, der sich auftut zwischen denen, die Angela Merkel auf dem Parteitag von Karlsruhe zehn Minuten lang beklatschten, und den vielen langjährigen Parteimitgliedern, die an ihrer Führung allmählich verzweifeln. Die die Partei, in die sie einst zu Helmut Kohls Zeiten eingetreten sind, kaum mehr wiedererkennen.
Natürlich gibt es die Unzufriedenen und Enttäuschten auch in anderen Parteien. Es gibt altgediente Sozialdemokraten, die zur Linken überliefen, wie Oskar Lafontaine, und andere, die ihr rotes Parteibuch behielten, aber die aktuelle Parteiführung kritisieren, wo es nur geht, wie Albrecht Müller mit seinen „Nachdenkseiten“.
Tiefgreifende Verunsicherung
Auch bei SPD und Grünen hat die totale Willkommenseuphorie des Jahres 2015 zu Widerspruch geführt, wie beim grünen Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der dafür von vielen Parteifreunden angefeindet wurde. Guido Reil, der mal der Inbegriff eines hemdsärmeligen Sozis in der Lokalpolitik des Ruhrgebiets war, lief mit der Parole „Wir schaffen das nicht“ zur AfD über. Alle etablierten Parteien verlieren seit vielen Jahren kontinuierlich Mitglieder. In CDU und SPD sind es derzeit je rund 440 000, Tendenz weiter fallend.
Aber in keiner etablierten Partei ist die Verunsicherung so tief- und umgreifend wie in der CDU. Immer wieder hört man von aktiven, in ihren Orts- und Kreisverbänden bisher sehr engagierten Mitgliedern, die austreten. Maximilian Krah, Rechtsanwalt und ehemaliger Ortsvereinsvorsitzender in Dresden, der auch einmal Ambitionen auf ein Bundestagsmandat hatte, ist im September ausgetreten. Sein Schreiben fasst vermutlich treffend zusammen, was sehr viele Konservative in der Union umtreibt: „Niemand ist der CDU beigetreten für eine Politik der unbegrenzten Zuwanderung. Niemand für eine Finanzierung der italienischen Staatsschulden durch die Europäische Zentralbank. Niemand für eine Energiewende, die über die Pläne von Rot-Grün hinausläuft. Niemand hat je einen CDU-Aufnahmeantrag gestellt, damit die Türkei EU-Mitglied wird. Und erst recht hätte sich niemand, der vor 2005 CDU-Mitglied wurde, je träumen lassen, dass die Partei, der er angehört, das alles aktiv betreiben würde.“ Mit der Website www.cdu-austritt.de ermuntert Krah andere, ihm zu folgen.