Industriepolitik Gefahr für den Standort Deutschland

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Schädigt Moral das Innovationsklima?

Geklonte menschliche Zellen, Designerbabys und Gentests mit weitreichenden Folgen: welche neuen Therapien die Forscher für Patienten heute schon parat haben – und worum sich die aufgeregten Debatten drehen.
von Susanne Kutter, Yvonne Esterházy

13 Jahre lang forschte BASF bei Mannheim an der genveränderten Kartoffel. Kaum war die Zulassung für Amflora 2010 erteilt, schloss der Konzern wenig später das Zentrum für Biotechnologie und zog in die USA, weil die Aussichten auf Akzeptanz dort besser sind. Für Ilse Aigner (CSU) ist die Kapitulation von BASF ein Erfolg. „Es gibt in Deutschland keinen einzigen Hektar mit gentechnisch veränderten Pflanzen mehr“, freut sich die Bundeslandwirtschaftsministerin heute. „Es ist kein Anbau genehmigt, einfach weil ich es verboten habe. Da hätte mich der Koalitionspartner fast gelyncht.“

Die grüne Gentechnik sorgt weltweit für Hoffnungen, in Deutschland produzierte sie vor allem eines: Aigners Zorn. Dabei kam die unabhängige Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2011 in einer Studie zum eindeutigen Schluss: „Mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung zeigen: Die von Kritikern postulierten negativen Folgen für Umwelt, Tier und Mensch sind in keinem Falle eingetreten.“ Zudem warnte die DFG: Die Blockade einer verantwortungsbewussten Erforschung grüner Gentechnik sei „ungerechtfertigt“ und werde „unsere Zukunftschancen verringern.“ Die Sätze verhallen ungehört.

Auch bei Nanotechnologie, Stammzellenforschung und Kerntechnik gibt es unverrückbare Gegensätze und Vorbehalte in Politik und Gesellschaft. „Forschungen wie die verbrauchende Embryonenforschung lehnen wir aus ethischen Gründen ab“, schreibt die Union in ihr Wahlprogramm.

Noch kann sich Deutschland solche moralischen Tabuzonen erlauben, weil allein die Wirtschaft, von Mittelständlern bis zum Dax-Konzern, in diesem Jahr 54 Milliarden Euro in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen steckte, schätzt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – neun Milliarden mehr als 2009. Auch Universitäten und Forschungsinstitute sind finanziell gut ausgestattet, weil der Bund Milliarden ins System pumpte. Die Grundlagenforschung der Max-Planck-Institute hat ebenso Weltruf wie die praxisnahe Arbeit der Helmholtz-Gemeinschaft oder Fraunhofer-Gesellschaft.

Industriepolitik: Die Pläne der FDP

Doch bei der Umsetzung der Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte hapert es noch immer in Deutschland. Die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung kritisiert, dass die Wagniskapitalfinanzierung junger Unternehmen zu wünschen übrig lasse. Und die von Schwarz-Gelb versprochene steuerliche Forschungsförderung müsse endlich auf den Weg gebracht werden.

Kritik kommt auch vom Chef des Pharmariesen Bayer. Deutschland sei zwar wirtschaftlich erfolgreich, sagt der Holländer Marijn Dekkers. „Aber wie gut könnte man erst leben, wenn man etwas offener wäre gegenüber neuen Technologien?“ Die Deutschen seien „da sehr, sehr konservativ. Man will Fortschritt, ohne etwas zu wagen, ohne etwas aufzugeben.“ Man müsse zwar immer alle Risiken genau analysieren. „Aber man darf nicht so lange nur über Risiken diskutieren, bis die Chancen vertan sind oder von anderen genutzt werden.“

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