Infektionsschutzgesetz Corona-Notbremse: Doch etwas weniger streng

In Köln gilt bereits eine nächtliche Ausgangssperre. Quelle: dpa

Die Fraktionen von SPD und Union haben an dem Entwurf für die sogenannte Bundes-Notbremse noch einige Änderungen vorgenommen. Die Details im Überblick.

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Schulen sollen im Kampf gegen die dritte Corona-Welle früher als bisher geplant auf Distanzunterricht umschalten. Spaziergänge alleine sollen abends dagegen auch in Regionen mit hohen Corona-Fallzahlen erlaubt bleiben. Das sieht eine Beschlussempfehlung des maßgeblichen Gesundheitsausschusses für die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes vor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Dem geplanten Gesetz zufolge soll für Schulen Distanzunterricht ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 verpflichtend sein. Im ursprünglichen Entwurf noch war ein Schwellenwert von 200 Neuinfektionen genannt. Betrachtet man die Bundesländer, lagen am Montag folgende oberhalb einer 165er-Inzidenz: Baden-Württemberg (173), Bayern (183), Bremen (170), Nordrhein-Westfalen (171), Sachsen (237), Sachsen-Anhalt (178) und Thüringen (246). Abschlussklassen und Förderschulen sollen vom Stopp des Schulbesuchs ausgenommen werden können. Die Inzidenz ist die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner. Epidemiologen sowie den Bildungsgewerkschaften war die 200er-Schwelle wegen der zuletzt zunehmenden Zahl an Infektionen in Schulen zu hoch.

Ausgangsbeschränkungen soll es nun von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr geben – sie sollen damit eine Stunde später beginnen als zunächst geplant. Joggen und Spaziergänge sollen bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur alleine. Die Notbremse soll am Mittwoch vom Bundestag beschlossen werden und nach einer Befassung der Länderkammer bald darauf in Kraft treten. Die Einschränkungen sollen gelten, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Stadt oder einem Landkreis drei Tage hintereinander über 100 liegt. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte: „Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren.“

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Fürs Einkaufen jenseits des Lebensmittel-, Buch- und Blumenhandels und anderen Bereichen soll gelten: Ladeninhaber können Kunden bei einer Inzidenz über 100 nur noch empfangen, wenn diese einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Steigt der Wert über 150, wäre nur noch das Abholen bestellter Waren (Click & Collect) erlaubt.

Für Kinder im Alter bis 14 Jahren ist Sport auch bei hohen Inzidenzen dem Entwurf zufolge zulässig „in Form von kontaktloser Ausübung im Freien in Gruppen von höchstens fünf Kindern“. Anleitungspersonen sollen ein negatives Testergebnis vorlegen müssen.

Die Außenbereiche von Zoos und botanische Gärten sollen für Besucher mit aktuellem Negativ-Test offen bleiben – das war im Entwurf zunächst nicht vorgesehen. Autokinos dürften weiter öffnen. Bei Beerdigungen sind statt nur 15 nun 30 erlaubte Personen vorgesehen.

Arbeitgeber müssen – wie bereits beschlossen – für Präsenzbeschäftigte zwei Corona-Tests pro Woche bereitstellen. Bietet der Arbeitgeber Homeoffice an, wozu er angehalten ist, sollen die Arbeitnehmer verpflichtet werden, dieses Angebot auch anzunehmen. Alle Regelungen sind erst einmal befristet bis zum 30. Juni.

Die Bundesregierung soll Menschen, „bei denen von einer Immunisierung (...) auszugehen ist oder die ein negatives Ergebnis eines Tests (...) vorlegen können, Erleichterungen oder Ausnahmen von Geboten und Verboten“ gewähren können – also für Geimpfte und Getestete. In derzeit 15.000 Teststationen gibt es kostenlose Bürgertests.

Binnen eines Tages gab es 11.437 Corona-Neuinfektionen. Es wurden innerhalb von 24 Stunden 92 neue Todesfälle verzeichnet. 165,3 beträgt bundesweit der aktuelle Inzidenzwert. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 162,3 angegeben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief angesichts der ständig steigenden Infektionszahlen die Länder abermals auf, zuvor schon Beschränkungen zu erlassen. „Niemand muss auf dieses Gesetz warten“, sagte er. „Es ist ja eine Notbremse. Idealerweise wurde vorher schon gebremst.“ Einige Ländern haben damit schon angefangen.

Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) sagte, der Kompromiss werde helfen, „die schwierigen Wochen bis maximal Ende Juni zu überbrücken“. Bis dahin sollen viel mehr Menschen geimpft sein als die derzeit rund 20 Prozent, die eine Erstimpfung haben.

Neu ist zudem, dass die Bundesregierung keine Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie am Bundestag vorbei erlassen kann. „Der Bundestag muss zustimmen. Ohne jedwede Vorbehalte oder Bedingungen“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Kritik kam von seinem Fraktionskollegen Karl Lauterbach in der „Welt“. „Mit den Aufweichungen der Kontaktbeschränkungen würden sie etwa 50 Prozent ihrer Wirkung verlieren im Vergleich zu einer Ausgangsbeschränkung ab 20 Uhr“. Damit werde es auch „vermeidbare“ Todesopfer geben.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht davon aus, dass Klagen gegen die Bundes-Notbremse durch die Entschärfung der Pläne für Ausgangsbeschränkungen kaum Chancen haben. Die FDP hat weiterhin grundlegende Einwände. „So, wie jetzt das Gesetz geändert wird, werden wir trotz leichter Verbesserungen noch nicht zustimmen können“, sagte FDP-Chef Christian Lindner.

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Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken wies darauf hin, dass die eingeschränkten Bildungsangebote insbesondere benachteiligten Schülerinnen und Schülern zu schaffen machen. Abhilfe solle ein „Corona-Aufholpaket“ im Umfang von zwei Milliarden Euro bringen, das nicht nur das Nachholen von Lernrückständen, sondern auch weitere Förderung ermöglichen solle.

Mehr zum Thema: Die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist eine Attacke auf die Freiheit und den Föderalismus. Der Bundestag sollte das Gesetz ablehnen. Ein Kommentar.

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