Innenpolitik Sarrazin: Lohnabschluss kostet 30 Milliarden Euro

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Sarrazin will Fachärzte nur noch in Kliniken, Hire und Fire auf dem Arbeitsmarkt und Kindergeld erst ab dem dritten Kind

„Eine Haushaltskatastrophe mit unkontrolliert ausufernden Sozialausgaben“ fürchtet Thilo Sarrazin, wenn die Sozialversicherungen nicht von außen reformiert werden. „Diesen Job müssen die Finanzminister selbst erledigen.“ Laut Sarrazin entfallen von den für 2008 geplanten Bundesausgaben von 283 Milliarden Euro rund 140 Milliarden Euro auf Soziales. Im Gesundheitsbereich schlägt Sarrazin ein System vor, das „Ähnlichkeit mit den Polikliniken in der DDR hätte, wo die ärztliche Versorgung relativ effizient war.“ Sarrazin weiter: „Im Grunde bräuchten wir kaum niedergelassene Fachärzte. Die Fachversorgung könnten die Spezialisten in den Kliniken übernehmen, auch die ambulanten Fälle.“ Daneben seien nur noch niedergelassene Hausärzte nötig, die flächendeckend die Grund- und Erstversorgung übernehmen. „Diese können dann einheitliche Akten führen, Doppelbehandlungen vermeiden und bei Bedarf die Patienten gezielt an die Fachärzte in den Kliniken überweisen“, führt Sarrazin aus. Effekt: „Mit einem solchen System hätten wir auch keinen Ärztemangel, sondern einen erheblichen Ärzteüberschuss.“

Arbeitsmarktreformen nur ein "Doktern am siechen System"

Nicht radikal genug sind Sarrazin auch die bisherigen Arbeitsmarktreformen. Es gebe drei Kardinalprobleme, die von den Sozialpolitikern aber nicht angepackt würden: „Da ist zum einen das Arbeitsmarktrecht mit dem rigiden Kündigungsschutz, obwohl ein liberales System mit leichtem Hire und Fire zu mehr Beschäftigung führen würde. Zum zweiten haben wir schon eine Art Mindestlohn, nämlich das Hartz-IV-Niveau, das im unteren Lohnbereich die Bereitschaft bremst, eine Arbeitsstelle anzunehmen. Und drittens ist es doch nicht zielführend, wenn jemand eine Arbeit annimmt und ab dem ersten Euro gleich volle Sozialversicherungsbeiträge zahlen muss. Die Sozialversicherungsbelastung verteuert auch einfache Tätigkeiten ab dem ersten Euro.“ Sarrazin fordert stattdessen eine beitraglose staatliche Basisversicherung, die die Grundrisiken von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Altersarmut absichert. Finanziert werden könnte sie laut Sarrazin durch eine höhere Mehrwert- und Einkommensteuer. Wer eine bessere Absicherung wünsche, müsste privat vorsorgen. „Dann hätten wir die Arbeitskosten um rund ein Drittel gesenkt, und das Ziel einer Vollbeschäftigung wäre greifbar nahe. Am Ende würden die sozialen Sicherungssysteme entlastet und auch der Finanzminister“, so Sarrazin.

Auch in der Familienpolitik läuft nach Ansicht von Sarrazin einiges falsch. So lehnt er Kindergeldzahlungen ab dem ersten Kind ab. „Deswegen bekommen die Deutschen doch nicht mehr Nachwuchs“, sagt Sarrazin im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Sarrazin: „Wenn es also um die generative Steuerung  geht, dann sollten wir Kindergeld erst ab dem dritten Kind zahlen.“ Zumal es bei den ersten beiden Kindern ohnehin den Kinderfreibetrag gebe.

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