Innere Sicherheit Die CDU erinnert sich ihrer verstaubten Kompetenz

Die Parteien, erst recht die Union, entdecken Kriminalitätsbekämpfung als entscheidendes Wahlkampfthema. Doch dieser Aktionismus könnte ihnen um die Ohren fliegen.

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Ein Kriminalbeamter demonstriert, wie ein ungesichertes Fenster mit einem Schraubenzieher aufgebrochen werden kann. Quelle: dpa

Volker Kauder macht gleich zu Anfang des „Tages der Inneren Sicherheit“ in der CDU/CSU-Fraktion klar, warum er und seine Chefin Angela Merkel diese Veranstaltung abhalten. Auf die Frage, was das wichtigste Thema für die meisten Menschen sei, wüssten die Meinungsforscher eine eindeutige Antwort: Innere Sicherheit. Mehr noch als um die Terrorgefahr sorgten sich die Menschen um Wohnungseinbrüche. Viele seien durch eigene Erlebnisse oder solche von Bekannten verunsichert, ob der Staat sie noch schützen könne.

Die Veranstaltung der Unionsfraktion war nur eines von vielen Ereignissen dieser Woche, die demonstrieren, dass die  Union und die gesamte politische Klasse Deutschlands den Schutz der Bürger vor Gewalt und Verbrechen als das entscheidende politische Thema der Gegenwart wiederentdeckt haben. Die Woche begann mit der Bekanntgabe der Kriminalstatistik, die deutlich mehr Aufmerksamkeit erfuhr als in den Vorjahren. Heute werden im Bundestag mehrere Gesetze verabschiedet, die der besseren Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung dienen sollen, während gleichzeitig in Schleswig-Holstein eine große Anti-Terror-Übung mit über 1500 Polizisten, Rettungskräften und „Opfer-Darstellern“ stattfindet, in der drei Anschlagsszenarien (darunter eine fiktive Geiselnahme in einem Verlag) durchgespielt werden. Und heute Abend lädt die Bayrische Landesvertretung zu einer Vortragsveranstaltung über „Sicherheit in Zeiten des Terrorismus“.

Für die Unionsparteien geht es ganz offensichtlich auch darum, einen lange vernachlässigten Markenkern wieder aufzupolieren, der unter der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel vernachlässigt wurde. Hektisch wird nun als Wahlkampfargument wieder hervorgekramt, was man jahrelang verstauben ließ: der Verweis auf die deutlich günstigere Kriminalitätsstatistik in unionsregierten Ländern. Besonders desaströs ist die Kriminalitätsbilanz der SPD-geführten Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Aber jahrelang war das für die CDU-Opposition kein großes Thema.

Das sind die Geheimcodes der Einbrecher
Am Fensterbrett, der Türklingel oder der Hauswand: Einbrecher, Betrüger oder Bettler benutzen gerade in Städten mit hohen Wohnungseinbruchzahlen häufig diese Art der Kommunikation. So teilen Diebesbanden ihresgleichen mit, wo etwa nichts zu holen ist, wo ein bissiger Hund das Grundstück bewacht oder wo nur Frauen im Haus sind. In den vergangenen Monaten werden vermehrt diese aus dem 12. Jahrhundert stammenden „Gaunerzinken“ in deutschen Städten, etwa Berlin entdeckt, teilt die Deutsche Polizeigewerkschaft mit. Quelle: dpa
„Hier gibt es Geld“ Quelle: Handelsblatt
„Achtung, bissiger Hund“ Quelle: Handelsblatt
„Abhauen“ Quelle: Handelsblatt
„Leute rufen Polizei“ Quelle: Handelsblatt
„Nur Männer im Haus“ Quelle: Handelsblatt
„Gefährlich; Hände weg“ Quelle: Handelsblatt

Nun hat der nicht gerade als harter Hund bekannte CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet – ein besonders treuer Merkel-Anhänger – angekündigt, dass er im Falle seines Wahlsieges den bei Merkel eher in Ungnade stehenden Innenpolitiker Wolfgang Bosbach zum Vorsitzenden einer Kommission machen werde, die die gesamte Sicherheitsarchitektur des Landes „einer Generalrevision“ unterziehen soll.

Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière beim Tag der Inneren Sicherheit verkündet, dass man „in dieser Legislaturperiode für die innere Sicherheit sehr viel erreicht habe“, und die Union in sicherheitspolitischen Fragen als Partei der „langen Linien“ bezeichnet, dann kann man das mit Blick auf die Entwicklung der letzten drei oder vier Jahre nur für eine gewagte Behauptung halten. Entspräche das nämlich der Realität, dann wäre Innere Sicherheit eben wohl gerade nicht die größte Sorge der Bürger in Deutschland. Die Zahl der Straftaten insgesamt war bis 2010 einige Jahre rückläufig, hat aber seither deutlich zugenommen, von etwa 5,9 Millionen auf 6,4 Millionen.

Der sicherheitspolitische Aktionismus der Regierungsparteien offenbart vielmehr, dass man eben jahrelang das Thema vernachlässigt hat.

Erst unter dem Druck der wachsenden Beunruhigung der potentiellen Wähler will die Bundesregierung nun noch vor den Bundestagswahlen auch endlich eine von Polizisten seit Jahren beklagte Schwachstelle für die Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen beseitigen.

Bisher gehört zur Qualifikation eines deutschen Polizisten im Kampf gegen Einbrecher eine hohe Frustrationstoleranz. Die wird zum Beispiel auf die Probe gestellt, wenn er einen Übeltäter beim Versuch erwischt hat, in eine fremde Wohnung einzubrechen. In vielen Fällen kann solch ein Täter selbst bei „dringendem Tatverdacht“ nach der Vernehmung die Polizeiwache verlassen und friedlich nach Hause gehen – oder den nächsten Einbruch begehen.

Strafmaßerhöhung für Wohnungseinbruchdiebstahl

Denn um den Verdächtigen in Untersuchungshaft zu nehmen, muss die Polizei vor Gericht einen Haftgrund angeben - Verdunkelungsgefahr oder Fluchtgefahr. Bei eindeutiger Beweislage entfällt erstere. Und letztere zu begründen, fällt meist schwer, erst recht, wenn der Beschuldigte einen festen Wohnsitz vorweisen kann. Nur bei „Schwerkriminalität“, also Verbrechen, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bestraft werden, gehen deutsche Gerichte generell von Fluchtgefahr aus. Versuchter Einbruch ist nach aktueller Rechtslage aber kein schweres Verbrechen.

Das soll die geplante Gesetzesverschärfung demnächst ändern, die das Strafmaß für „Wohnungseinbruchdiebstahl“ auf mindestens ein Jahr Freiheitsentzug anheben und zur schweren Kriminalität befördern wird. Fluchtgefahr müssten Polizisten dann nicht mehr besonders begründen, und erwischte Einbrecher könnten in Untersuchungshaft genommen werden.

Die Gesetzesverschärfung ist nach Ansicht von Polizeigewerkschaftschef (und CDU-Mitglied) Rainer Wendt „seit längerer Zeit überfällig“. Dass sie nun doch kommt, hat zweifellos mit der besonderen Brisanz des Themas Innere Sicherheit im Superwahljahr 2017 zu tun. Aber ähnliche Schwachstellen bleiben. Zum Beispiel: Selbst schwer straffällige Ausländer müssen oft freigelassen werden, weil Abschiebehaftplätze fehlen (in Berlin gibt es keinen einzigen!). Und: Die für kleine Delikte vorgesehenen Geldstrafen oder Sozialauflagen haben nicht die geringste Abschreckungswirkung auf kriminelle Asylbewerber, weil diese meist kein einziehbares Geld haben.

Taschendiebstahl ist für Nordafrikaner in Deutschland daher de facto ein fast risikoloses Geschäft. Der deutsche Staat sei hier „recht machtlos“, sagt der Kriminologe Rudolf Egg – zumindest solange, wie die Gesetzeslage keine anderen, spürbaren Sanktionen zulasse. Bisher ist von den Parteien hier nichts zu hören.

Risiko für Parteien

Der Fokus auf Innere Sicherheit als Wahlkampfthema könnte einen für alle etablierten Parteien – inklusive CDU - riskanten Nebeneffekt haben: nämlich den in der aktuellen Kriminalitätsstatistik offenbar werdenden und von vielen Bürgern empfundenen kausalen Zusammenhang zwischen dem Anstieg von Zuwanderung und Kriminalität. Die Zahl der Straftaten von Flüchtlingen ist 2016 gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte gestiegen. „Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagte de Maizière bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik. Nicht zu verleugnen ist auch das starke Anwachsen der „politisch motivierten Ausländerkriminalität“.

Polizeigewerkschaftschef Wendt, selbst CDU-Mitglied, kann verstehen, wenn viele Bürger angesichts der offenen Grenzen im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 zum Schluss kommen: „Jetzt versuchen die Politiker die Probleme zu lösen, die sie selbst zugelassen haben.“ Der Eindruck vieler Wähler, dass der deutsche Staat und seine verantwortlichen Politiker über Monate hinweg bewusst einen Kontrollverlust hinnahmen, ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Er ist ein Kernthema der aufgeheizten Politisierung weiter Bevölkerungsschichten in Deutschland.

Der sicherheitspolitische Aktionismus des Superwahljahres 2017 ist einerseits der Versuch, diesen Eindruck des Kontrollverlustes wieder zu revidieren. Andererseits bringt er, auch wenn Politiker aller Parteien außer der AfD dies zu verhindern suchen, immer wieder diesen unbequemen Zusammenhang von Einwanderungs- und Innerer Sicherheitspolitik ins Bewusstsein.

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