Innere Sicherheit Rechtsstaat, ja sicher?

Gefährderhaft, Fußfessel und Moscheeschließungen – die neuen Vorstöße aus der Politik für mehr Sicherheit in Zeiten des Terrors haben es in sich. Doch rechtliche Hürden werden häufig außer Acht gelassen. Eine Analyse.

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) haben als Konsequenz aus dem Anschlag von Berlin ein härteres Vorgehen gegen Gefährder vereinbart. Quelle: dpa

Berlin Innerhalb weniger Wochen wollen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)  und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schärfere Gesetze gegen sogenannte Gefährder auf den Weg bringen. Der Vorstoß, den die Minister verkündet haben, ist eine Reaktion auf den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten. Gefährder sind Menschen, denen die Sicherheitsbehörden einen Anschlag zutrauen. Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen derzeit 548 Personen als Gefährder ein. Die Hälfte davon hält sich nicht in Deutschland auf. 62 islamistische Gefährder sind ausreisepflichtig.

In Abschiebehaft sollen künftig jene Personen genommen werden können, von denen eine erhebliche Gefahr für die Bundesrepublik, beziehungsweise eine Terrorgefahr ausgeht. Für die Gefährderhaft soll dementsprechend ein eigener Haftgrund geschaffen werden. Dabei soll die bislang geltende Drei-Monats-Frist fallen. Sie besagt, dass eine Abschiebehaft, die maximal 18 Monate betragen darf, unzulässig ist, wenn die Abschiebung nicht absehbar innerhalb der nächsten drei Monate vollzogen werden kann und die Schuld nicht bei dem Ausländer liegt. Künftig kann die Haft also länger als drei Monate dauern, etwa wenn die Herkunftsländer nötige Papiere nicht ausstellen.

Die Minister beschlossen außerdem eine stärkere Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer. Wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist oder eine Terrorgefahr vorliegt, soll eine Fußfessel eingeführt werden. Im BKA-Gesetz soll eine solche Fußfessel auch für Gefährder vorgesehen werden.

Sie können auch ohne eine Verurteilung einen solchen Apparat bekommen. Die Länder sollen in ihren Polizeigesetzen ebenfalls solche Regelungen für Fußfesseln vorsehen. Zudem soll es auch eine Fußfessel für verurteilte Straftäter geben.

Doch ist das wirklich alles so einfach? „Nein“, meint der bekannte Verfassungsrechtler Joachim Wieland, Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. „Es ist fraglich, ob allen Parteien die Verfassungsrechtslage bekannt ist“, sagte Wieland dem Handelsblatt. So sei es gar nicht so einfach, die Abschiebehaft auszuweiten.

„Die Haft  ist der schärfste Eingriff, den der Staat vornehmen kann“, erklärte Wieland. Darum müsse auch die  Abschiebehaft von Richtern gebilligt werden. Und obwohl der Gesetzgeber schon jetzt sehr  großzügige Regelungen vorgesehen habe, agierten die Gerichte sehr zurückhaltend. „Sie verweisen darauf, dass ein Freiheitsentzug nur möglich ist, wenn sich jemand etwas hat zuschulden kommen lassen“, betonte Wieland.

Doch selbst bei Gefährdern gebe es meist nichts strafrechtlich Vorzeigbares. In solchen Fällen hätten Gerichte bisher Abschiebehaft nur sehr kurz gebilligt. Etwas anderes sei im Rechtsstaat auch kaum möglich. „Natürlich kann der Gesetzgeber die Regelungen ein Stück weit verschärfen, aber nach meiner Einschätzung werden die Gerichte weiterhin sehr zurückhaltend agieren“, meint Staatsrechtler Wieland. „Jemanden 18 Monate festzuhalten, ohne ihm eine Straftat vorhalten zu können, da wird kaum ein Richter bereit sein, das mitzutragen.“  


Helgoland nicht zu Guantanamo machen

Der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, André Schulz, verwies zudem darauf, dass Abschiebehaft für Gefährder mit deutschem Pass gar nicht in Frage komme. Unklar sei deswegen, wie bei Gefährdern mit deutschem Pass oder Staatenlosen verfahren werden solle, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der Polizeigewerkschafter warnte aber zugleich vor übertriebenen Maßnahmen: „Wir wollen Helgoland nicht zu Guantanamo machen. Schließlich befinden wir uns in einem Rechtsstaat.“

Der  Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, wies darauf hin, dass es nach den Polizeigesetzen der Länder bereits die Möglichkeit gebe, in absoluten Ausnahmefällen Menschen präventiv in Gewahrsam zu nehmen, um Straftaten zu verhindern. Voraussetzung sei der konkrete Verdacht einer unmittelbar bevorstehenden Straftat. „Das ist aus guten Gründen eine sehr hohe Hürde. Haft ist der schwerstmögliche Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Freiheit des Einzelnen“, sagte er.

Auch Staatsrechtler Wieland sieht harte präventive Maßnahmen kritisch: „Nach der deutschen Erfahrung des Nationalsozialismus, der mit Schutzhaft Konzentrationslager begründete, ist das ein ganz heikler Punkt.“  Die Gerichte seien deswegen bei präventiver Haft oder haftähnlichen Maßnahmen wie der Fußfessel sehr zurückhaltend.

„Auch das Bundesverfassungsgericht hat immer gesagt: Freiheitsentzug kann nur das letzte Mittel sein und das muss typischerweise schuldangemessen sein“, erklärte Wieland. Wenn nur ein Verdacht gegen jemanden bestehe, dann seien solche Maßnahmen rechtsstaatlich ein großes Problem - es sei denn, das Bundesverfassungsgericht verschärfe seine Rechtsprechung ganz deutlich. „Dafür sehe ich aber im Moment keinen Anhaltspunkt“, sagte Wieland.

Besonders bei der von der Politik vorgeschlagenen Fußfessel für Gefährder warnt der DAV vor Symbolpolitik. Eine solche Fessel schaffe nicht wirklich mehr Sicherheit. Attentate seien auch mit Fußfessel ohne weiteres möglich, wie im vergangenen Sommer ein Angriff auf einen Priester in Frankreich gezeigt habe. „Auch im Fall Amri hätte eine Fußfessel nur Auskunft darüber gegeben, dass er am Breitscheidplatz ist - die Tat wäre nicht verhindert worden“, sagte DAV-Präsident Schellenberg.


Religionsfreiheit wird sehr weit ausgelegt

Der Attentäter Anis Amri hatte am 19. Dezember auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen getötet und viele schwer verletzt. Er war als Gefährder eingestuft und ausreisepflichtig. Amri konnte aber nicht abgeschoben werden, weil sein Heimatland Tunesien ihm keine Papiere ausgestellt hatte. 

Seit 2011 gibt das Strafgesetzbuch die Möglichkeit, mit der Fußfessel rückfallgefährdete Gewalt- und Sexualverbrecher nach Verbüßung ihrer normalen Haftstrafe zu überwachen. Eine Überwachung von Islamisten durch einen solchen Apparat vor einer möglichen Verurteilung ist derzeit nicht möglich.

Nach Meinung der Juristen dürfte die Fußfessel für Gefährder auch verfassungsrechtlich bedenklich sein. „Bislang gilt das folgende Prinzip: Jemand hat sich strafbar gemacht und müsste eigentlich ins Gefängnis, aber als milderes Mittel wird eine Fußfessel angeordnet“, erklärt Staatsrechtler Wieland. Das sei unproblematisch, weil dem Betroffenen kein Unrecht geschehe, sondern er eine Erleichterung erfahre.  „Wird die Fußfessel beim Gefährder eingesetzt, bei dem es typischerweise keine Straftat gibt, dann ist die Fußfessel der Eingriff und nicht etwa das mildere Mittel“, betont Wieland. Das mache einen deutlichen Unterschied.

Neben den von Innenminister de Maizière und Justizminister Maas beschlossenen Maßnahmen, gibt es noch weitere Vorstöße zur Sicherheitspolitik, die es verfassungsrechtlich in sich haben. So forderte SPD-Chef Sigmar Gabriel in seinem Papier „Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit“ ein Verbot von salafistischen Moscheen. Doch ist das so einfach?

Der Speyerer Verfassungsrechtler Wieland verweist auf die Religionsfreiheit, die vom Bundesverfassungsgericht sehr weit ausgelegt werde –  natürlich mit Blick auf die christlichen Kirchen. Dadurch hätten die Kirchen insgesamt aber eine sehr starke Stellung.

„Der Staat kann eine Einrichtung einer Religionsgemeinschaft nur im Extremfall schließen. Es muss nachgewiesen werden, dass erheblich gegen Gesetze verstoßen wird“, betonte Wieland. „Selbst dann ist die Schließung immer nur das allerletzte Mittel. Da gibt es ganz hohe verfassungsrechtliche Hürden.“

Die von Gabriel geforderte verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz dürfte hingegen einfacher umzusetzen sein. „Hier gibt es nicht so strikte verfassungsrechtliche Grenzen“, sagte Wieland. „Das hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Strenge auch nie gefordert.“  Problematisch wäre es allerdings, den Verfassungsschutzbehörden polizeiliche Befugnisse zu geben.

Ein Informationsaustausch sei indes möglich. Der Datenschutz, dem Knackpunkt vieler Vorschläge, sei dabei immer unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu betreiben. „Die Politik kann hier durchaus argumentieren: Wenn sich die Gefahrenlage verschärft, dann kann auch etwas verhältnismäßig sein, was in ruhigeren Zeiten nicht möglich wäre“, meinte Wieland. Datenschutz müsse also zum Ausgleich gebracht werden mit Sicherheitsinteressen. Die Ausweitung der Videoüberwachung oder Speicherfristen wäre also im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gestaltbar.

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