Innovationen in Deutschland Buzzword-Bingo statt Beschleunigung: Die Ampel steckt im Agenturchaos

Viele Buzzwords, wenig Konkretes: Kann eine weitere Agentur Deutschland wirklich auf die Sprünge helfen? Quelle: imago images

Deutschland soll innovativer werden, deshalb gründet die Regierung eine dritte Innovationsagentur. Damit wächst der Apparat, aber wohl nicht die Agilität. Dass ausgerechnet die FDP das will, ist bemerkenswert.

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Wie Beschleunigung funktioniert, will sich Bettina Stark-Watzinger selbst ansehen. Die Forschungs- und Bildungsministerin besuchte kürzlich das DESY, das Deutsche Elektronen-Synchrotron. Auf dem Hamburger Campus geht es um kleinste Materien und größte Kräfte: Auf fast 300.000 Kilometer pro Sekunde werden Teilchen in den Maschinen gebracht, das ist fast Lichtgeschwindigkeit – ein Tempo, das auch die FDP-Politikerin gut gebrauchen kann. Sie will Deutschland zu einem Innovationsvorreiter machen, doch nun droht sich die Ampel-Koalition mit ihren Plänen zu verzetteln.

Ausgerechnet eine neue Behörde soll zum Beschleuniger werden. DATI heißt sie, Deutsche Agentur für Innovation und Transfer. Sie soll dafür sorgen, dass in Deutschland nicht nur Millionen für Forschung ausgegeben, sondern mit den Ergebnissen auch Millionen über ausgegründete Firmen verdient werden. Doch dafür gibt es bereits zwei Agenturen: die Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) und die Agentur für Innovationen in der Cybersicherheit. Sie wurden bereits 2018 von der großen Koalition beschlossen, haben seither aber kaum die gewünschten Erfolge erreicht, vor allem, weil sie ausgebremst werden durch bürokratische Verfahren und strikte Vorgaben. Und nun sollen alle guten Dinge plötzlich drei sein? Wohl kaum. 

Wer ist für welche Innovation zuständig?

Denn Deutschland wird nicht innovativer, je mehr Agenturen es gibt. Im Gegenteil. Das Koordinationschaos dürfte nur noch größer werden – auch in der Frage, wer sich künftig um welche Innovation kümmern darf. Am Ende dürfte eher der Apparat wachsen als die Agilität. Dass ausgerechnet die FDP das fördert, ist bemerkenswert, schließlich will sie stets einen schlanken Staat.

Dass Deutschland innovativer werden muss, ist unbestritten. Insbesondere bei den digitalen Schlüsseltechnologien kann die Bundesrepublik nicht mit Ländern wie China mithalten, kritisierten die so genannten „Innovationsweisen“, die Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), kürzlich in ihrem Gutachten. Die Abhängigkeit im  Zukunftsfeld Digitalisierung wächst, aus Sicht der EFI ist das eine „Gefahr“ – die Agenturlandschaft immer weiter aufzublasen, wird darauf allerdings keine Antwort sein.

Skepsis im Finanzministerium 

Aus Sicht der Ampel-Koalition werden freilich alle drei Agenturen gebraucht. Die Cyberagentur für Forschungstransfer in der inneren und äußeren Sicherheit. Die SprinD für radikale Innovationen, etwa in der Alzheimerforschung. Und die DATI für schneller nutzbare Innovationen. Mit der DATI sollen insbesondere an kleineren Hochschulen mehr Start-ups ausgegründet und die regionale Zusammenarbeit mit Mittelständlern gestärkt werden. Neue „Innovationsdynamiken“ will Ministerin Stark-Watzinger damit entfachen. Ein „Leuchtturmprojekt“ nennt Forschungsstaatssekretär Thomas Sattelberger (FDP) die DATI, deren Eckpunkte vergangene Woche vorgestellt wurden.    

Doch selbst ihren Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, haben Stark-Watzinger und Sattelberger offensichtlich noch nicht überzeugt. Zwar sind für die DATI im Haushaltsentwurf 15 Millionen Euro fürs Jahr 2022 eingeplant – allerdings sind die Mittel gesperrt, bis es ein „schlüssiges Konzept“ gibt. 

Während es daran offensichtlich noch mangelt, fehlt es nicht an schillernden Umschreibungen: Über „Hackathons“ sollen Projekte ausgewählt werden, „Regionalcoaches“ sind als Mittler gefragt. „Community Building“ ist ebenso erwünscht wie „Smart Specialization“ – das DATI-Konzept bietet ein Buzzword-Bingo, in dem eigentlich nur noch die Blockchain fehlt.

„Agenturen sind kein Allheilmittel“

Die Innovationsweisen der EFI-Kommission sind alles andere als begeistert von der DATI-Idee. „Agenturen sind kein Allheilmittel“, warnen die Mitglieder um den Vorsitzenden Uwe Cantner, Ökonomie-Professor an der Universität Jena. Die Aufgaben der Agentur würden sich „in weiten Teilen“ mit denen Aufgaben decken, für die bereits die rund 15 Projektträger des BMBF zuständig seien. Zielführender wäre es aus Sicht der EFI, diese Projektträger effizienter und agiler zu machen als eine neue Agentur zu gründen.

Auch Tom Brökel glaubt nicht, dass die DATI Deutschland innovativer macht. Die Agentur überschneide sich „sehr stark mit den Aufgaben der klassischen regionalen Wirtschaftsförderung“, es sei unklar, ob es dort überhaupt große Defizite gibt – und erst recht, ob eine neue Behörde auf Bundesebene sie beheben könnte, kritisiert Brökel, Professor für regionale Innovation an der Universität von Stavanger und Mitglied des Zentrums für Regional- und Innovationsökonomie der Universität Bremen: „Es wirkt, als wird hier mehr mit wolkigen Buzzwords gearbeitet, als auf wissenschaftlich fundierten Ideen aufgebaut.“

„Völlig überladene“ Förderlandschaft

Schon jetzt sei die Innovationsförderung in Deutschland „völlig überladen mit Akteuren zwischen denen kaum Koordination stattfindet“, erklärt Brökel. Es gebe Programme von Bund, Ländern, der EU und den Kommunen. „Das überblickt keiner“, kritisiert Brökel: „Und inwieweit die einzelnen Programme und Initiativen wirklich etwas bringen, ob sie sich ergänzen oder eventuell sogar negativ beeinflussen, ist bestenfalls nur für einzelne Fallbeispiele untersucht.“ Statt neue Redundanzen aufzubauen, sollten erstmal die bestehenden abgebaut werden.

Brökel fordert deshalb eine Entschlackung: weniger aufwendige End- und Zwischenberichte an Projektträger, vereinfachte Antrags- und Auswahlverfahren, weniger Einzelprojekt- und mehr Verbundförderung. Der Standort müsse für internationale Spitzenforscher attraktiver werden. Dazu gehöre auch, die (Neben-)Verdienst- und Beteiligungsmöglichkeiten für Wissenschaftler auszubauen – um, zum Beispiel, universitäre Ausgründung anzuregen für den Wissenstransfer in die Wirtschaft.

Thomas Jarzombek (CDU) hat sich in der vergangenen Legislaturperiode als Start-up-Beauftragter im Wirtschaftsministerium mit Innovationstransfer beschäftigt. Dass die DATI Top-Unis aus ihrer Förderung ausschließen will, kann er nicht nachvollziehen. „Wir brauchen keine Gießkanne über 100 Hochschulen, sondern ein gezieltes und großes Programm für die wirklich vielversprechenden Gründungen“, erklärt er. Innovationszentren müssten an Top-Unis angegliedert und mit Wagniskapital unterlegt werden. Denn gerade im Deep-Tech-Bereich gehe es darum, teils „zehn Jahre und mehr Entwicklungsarbeit zu finanzieren“.

„One in, one out“ will die FDP nicht

Statt „neue Problemkinder zu schaffen“, sollten die bestehenden Agenturen „nach vorn gebracht werden“, sagt Jarzombek, der „one in, one out“ fordert: „Für jede neue Agentur wird eine alte abgeschafft. Absurderweise lehnt aber gerade die FDP das ausdrücklich ab“.

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Zwar soll die SprinD mit einem „Freiheitsgesetz“ entfesselt werden, aber wann, ist unklar. Ein Referentenentwurf, der unter anderem einen „Globalhaushalt“ vorsieht, wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt.

Auch bei der DATI gibt es viele Fragen: Nicht nur zum konkreten Konzept, sondern auch zur rechtlichen Form und wer in den drei geplanten Gremien für Leitung, Aufsicht und Beratung sitzt. Das Ministerium will nun einen „Stakeholder-Dialog“ über die weitere Ausgestaltung führen – „Lichtgeschwindigkeit“, wie im Hamburger DESY, ist für Deutschlands Innovationsförderung vorerst nicht in Sicht.

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