Innovationsgeist Unser Land braucht kreative Erneuerung – in sechs Disziplinen

Deutschland braucht eine kreative Erneuerung. Quelle: imago images

Die Coronakrise wirkte wie Adrenalin für unsere Innovationsfähigkeit, und diese Dynamik müssen wir jetzt nutzen. Gerade die Jüngeren in diesem Land sind bereit für umfassenden Wandel. Ein Gastbeitrag.

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Die soziale Marktwirtschaft war über Jahrzehnte Deutschlands Erfolgsmodell: Unser durchschnittliches Pro-Kopf-Wachstum liegt auf dem Niveau der USA, wobei unsere Einkommensverteilung ausgeglichener, der CO2-Ausstoß pro Kopf geringer und der soziale Fortschritt höher ist. Doch die Demografie hat einen Wendepunkt erreicht und verändert den Arbeitsmarkt radikal. Die Klimawende erfordert den grundlegenden Umbau unseres Wirtschaftens, Wohnens, Arbeitens sowie unserer Mobilität. Und die Digitalisierung beschleunigt den Wandel exponentiell.

Um diese Umbrüche zu bewältigen und die darin liegenden Chancen zu nutzen, müssen wir neue Antworten finden. Deutschland braucht eine kreative Erneuerung. In der Covid-19-Pandemie hat sich gezeigt, zu welchen Veränderungen wir in der Lage sind. Die Krise war Adrenalin für Innovationen, und diese Dynamik müssen wir erhalten.

Die Menschen sind bereit für den Wandel: Die Aufbruchsstimmung ist vergleichsweise groß – vor allem bei den Jüngeren. Das zeigt eine repräsentative Befragung von McKinsey. Mehr als zwei Drittel der 20- bis 40-Jährigen erwarten bis 2030 einen deutlichen bis radikalen Wandel. Ihre Ziele sind eine hochwertige Gesundheitsversorgung, eine gesunde Umwelt, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen und ein modernes Bildungssystem. Besonders zuversichtlich sind die 20- bis 29-Jährigen. Fast jede(r) Zweite von ihnen ist überzeugt, dass Deutschland 2030 wirtschaftlich und gesellschaftlich besser dastehen wird als heute. Und sie sind mehrheitlich bereit, diese Zukunft zu gestalten: 62 Prozent der unter 30-Jährigen wollen selbst unternehmerisch tätig werden.

Ein optimales Momentum, um Deutschland kreativ zu erneuern. Sechs Handlungsfelder können dazu beitragen: Drei betreffen die Transformation aller Wirtschaftssegmente und drei die Weiterentwicklung zentraler Rahmenbedingungen, des Betriebssystems sozusagen.

1. Wachstumsfokus Spitzenunternehmen: Deutschlands führende Unternehmen können das Wachstum vorantreiben, indem sie ihre Portfolios und Geschäftsmodelle auf Segmente mit mehr Momentum ausrichten oder über industrieübergreifende Geschäftsmodelle und die Bildung von Ökosystemen neues Momentum schaffen. Bei der Nachhaltigkeitstransformation müssen sie das Tempo vorgeben. Schon heute sind sie der Anker für Wertschöpfungsketten mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen.

2. Transformation Mittelstand: Über 90 Prozent der führenden Mittelständler kommen aus der Hardwareproduktion. Viele müssen sich vom Komponenten- zum Systemlieferanten entwickeln, um auch künftig eine wesentliche Rolle im Gesamtsystem zu spielen. Dafür ist der Aufbau neuer Fähigkeiten unabdingbar, insbesondere in Bereichen wie Software, IoT oder Datenanalytik. Die Vernetzung mit Start-ups und Forschung sowie eine enge Einbindung in die relevanten Ökosysteme können dabei eine wichtige Rolle spielen.

3. Gründungen „scaled from Europe“: Deutschlands Gründungsszene hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Die Anzahl der Unicorns steigt, es fließt mehr Kapital nach Deutschland, und die Gründungsbereitschaft insbesondere bei den Jüngeren wächst. Die Bildung von Clustern wie in Berlin oder München, die weitere Förderung der Gründerkultur und die Verzahnung von (B2B-)Start-ups mit etablierten Industriezweigen für eine schnelle Skalierung können den Unterschied machen.

4. Technologieführerschaft: In Forschung zu Automatisierung, nachhaltiger Energie, Materialien 2.0 und der Biorevolution sind wir stark – in Feldern wie angewandter künstlicher Intelligenz und Next-Generation Computing müssen wir dagegen aufholen. Das zeigt eine McKinsey-Analyse von über 40 Technologien. Gezielte private und öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien sowie der Ausbau der (digitalen) Infrastruktur werden entscheidend für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sein.

5. Zukunft der Arbeit: Der Arbeitsmarkt ist durch den demografischen Wandel geprägt – langfristig werden uns Arbeitskräfte fehlen. Gleichzeitig ändern sich für über zehn Millionen Beschäftigte die Berufsbilder. 69 Prozent der Deutschen wissen bereits, welche Fähigkeiten ihr Job künftig erfordert, und zwei Drittel sind grundsätzlich bereit, in einem Techberuf zu arbeiten. Ein neues, auf lebenslanges Lernen ausgerichtetes (Weiter-)Bildungssystem ist eine notwendige Voraussetzung für die Arbeitswelt der Zukunft.

6. Ergebnisorientierter Staat: Der Staat spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, in kritische Infrastrukturen und Basistechnologien zu investieren und den Rahmen für eine beschleunigte Dynamik der Wirtschaft zu setzen. Dazu gehören die ganzheitliche Regulierung, um etwa Planungssicherheit für Themen wie die Energiewende zu schaffen, und eine ergebnisorientierte Verwaltung, um Transformationen zu ermöglichen.

Deutschland hat eine einzigartige Chance, seinen langjährigen Erfolgskurs neu zu beleben und sein Momentum sogar zu erhöhen. Wachstum ist nicht das einzige Ziel. Aber es wird eine wichtige Voraussetzung sein und uns die Kraft geben, die gewaltigen Umbrüche in Demografie, Technologie und Nachhaltigkeit zu bewältigen.

Mehr zum Thema: Mit einem 25-Punkte-Plan wollen Armin Laschet und Dorothee Bär Deutschland zum digitalen „Vorreiter“ machen. Wie soll nun aber plötzlich das gelingen, was zuletzt versäumt worden ist?

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