Insolvenzen Das Insolvenzrecht fördert die Zombiewirtschaft

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Noch mehr Schutz für Zombies 

Ausschlaggebend dafür sind die umfangreichen staatlichen Hilfen wie etwa das Kurzarbeitergeld. Sie kommen auch jenen Unternehmen zugute, die nicht oder nur wenig von der Coronapandemie betroffen sind. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht wegen der Coronapandemie zum 1. März dieses Jahres vorübergehend ausgesetzt hatte. Seit Anfang Oktober unterliegen Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, wieder der Pflicht zum Insolvenzantrag. Für überschuldete Unternehmen greift die Verpflichtung zum Insolvenzantrag jedoch erst wieder zu Beginn des nächsten Jahres. Das schützt auch jene Unternehmen, deren Geschäftsmodelle jenseits der Coronakrise strukturelle Schwächen aufweisen. 

Im Bundesjustizministerium hat man mit Hochdruck an der Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Insolvenzgesetzgebung gearbeitet, um die von vielen Experten befürchtete Insolvenzwelle zu Beginn des nächsten Jahres zu verhindern. Das Gesetz der Regierung zielt darauf ab, die Sanierung von Krisenunternehmen durch die Einführung eines „präventiven Restrukturierungsrahmens“ zu erleichtern. Das soll ihnen die Insolvenz ersparen. 

Schon heute sind Sanierungen zur Vermeidung einer Insolvenz möglich, sie können jedoch von einzelnen Gläubigern blockiert werden. In Zukunft sollen Sanierungen auch gegen einen Teil der Gläubiger durchsetzbar sein, also auch zu deren wirtschaftlichen Lasten. Das „eigensinnige Verhalten“ der Gläubiger, so heißt es im Referentenentwurf, soll zugunsten des sanierungswilligen Unternehmens unterbunden werden. 



Der im Oktober von der Bundesregierung verabschiedete Gesetzentwurf hat Experten alarmiert. Er stelle einen „Paradigmenwechsel im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht dar – weg von einer Gläubigerbefriedigung (Gläubigerinteresse) hin zu einer Entschuldung (Schuldnerinteresse)“, kritisierte Lucas F. Flöther, Fachanwalt für Insolvenzrecht in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf. Das neue Insolvenzgesetz gehe so weit, warnte Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes der Insolvenzverwalter (VID), dass es „das wechselseitige Vertrauen in die Vertragstreue nachträglich untergräbt“. Damit erodiere ein „wesentlicher Pfeiler des deutschen Rechts“. 

Ein wesentlicher Kritikpunkt wurde während des weiteren Gesetzgebungsverfahrens entschärft. Das Gesetz sieht nun nicht mehr vor, dass Krisenunternehmen in Zukunft außerhalb eines regulären Insolvenzverfahrens einseitig Verträge zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden ihrer Gläubiger annullieren können, um ihre Restrukturierungsziele zu erreichen. Das hätte die gesamte Wirtschaft und das Verbrauchervertrauen geschädigt. Durch die Vertragsbeendigung außerhalb eines Insolvenzverfahrens wäre „das Vertrauen in die Wirksamkeit und Beständigkeit von Verträgen massiv geschwächt“ worden, kritisierte Mechthild Greve, Fachanwältin für Insolvenzrecht. 

Das geplante Gesetz ist ein weiterer Baustein im steten Bemühen der Politik, marode Unternehmen vor dem endgültigen Aus zu bewahren. Sie existieren als Halbtote denen es nicht mehr gelingt, mittels Produktivitätssteigerungen einen Beitrag zur Entwicklung des gesellschaftlichen Wohlstands zu leisten. Auf lange Sicht zahlen dafür alle Bürger einen hohen Preis: weniger Wohlstand. 


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Die Bereinigung zulassen 

Eine funktionierende Marktwirtschaft braucht profitable Unternehmen, denen es gelingt, neue Produkte und effizientere Prozesse zu entwickeln und deren meist extrem risikoreiche und kapitalintensive Einführung zu stemmen. Indem jedoch unprofitable und obendrein eine große Masse wenig profitabler Unternehmen durch staatliche Protektion über lange Zeiträume durchgeschleppt werden, finden „von Zeit zu Zeit eintretende Liquidationsprozesse, die großen Reorganisationen des Wertesystems der Volkswirtschaft“ (Joseph Schumpeter) nicht mehr statt. Dadurch wird die Entwertung unprofitablen Kapitals verhindert. Dies vermindert die Profitabilität der Gesamtwirtschaft, denn die insgesamt erzielten Gewinne stehen im Verhältnis zu einer größeren Kapitalbasis. 

Die niedrige Gesamtrentabilität, an der die Unternehmen auch in Deutschland leiden, hemmt ihre Fähigkeit, umwälzende Investitionen zu realisieren, die wiederum Basis für Produktivitätssteigerungen sind. Insolvenzen ordnen die Verfügungsrechte über die Produktionsfaktoren neu, entziehen sie jenen Unternehmen, die Verluste einfahren und übertragen sie an jene, die besser damit zu wirtschaften wissen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind Insolvenzen daher keine Katastrophe. Sie legen das produktive Kapital in die Hände fähigerer Unternehmer. 

Statt den Strukturwandel rechtlich auszubremsen und dadurch die Zombifizierung der Wirtschaft zu fördern, sollte die Bundesregierung die Weichen in Richtung Wandel und Innovationen stellen. Nicht mehr überlebensfähige Unternehmen oder Unternehmensteile müssen aus dem Markt ausscheiden. Das Geld, das der Staat dann nicht mehr zu ihrem Erhalt aufwenden muss, kann er nutzen, um dem kreativen Teil der „kreativen Zerstörung“ (Schumpeter) zum Durchbruch zu verhelfen. Er könnte die Grundlagen verbessern, auf denen neues Wissen entsteht und neue technologische Entwicklungen gedeihen - auf dass findige Unternehmer auf dem so bereiteten Nährboden durch Innovationen den gesellschaftlichen Wohlstand mehren und erstklassige Arbeitsplätze schaffen.

Mehr zum Thema: Die Politik hält angeschlagene Unternehmen über Wasser. Doch lässt sich eine Pleitewelle wirklich verhindern?

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