Integration auf dem Arbeitsmarkt „Sind die Flüchtlinge da, wo die Arbeit ist?“

Knapp jeder zehnte der in Deutschland registrierten Arbeitsuchenden ist ein Flüchtling. 400.000 Asylbewerber sind bereits im Hartz-IV-System angekommen. Arbeitsministerin Nahles und die OECD ziehen eine Zwischenbilanz.

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Die Fachkräfte von morgen und übermorgen. Quelle: dpa

Berlin Afzal Awan hat es geschafft. Der 20-Jährige aus Pakistan ist im August 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen und hat jetzt einen regulären Technik-Ausbildungsplatz bei der Deutschen Bahn gefunden. „Alles läuft“, sagt er im S-Bahn-Betriebshof Schöneweide im Südosten der Hauptstadt und freut sich.

Freuen kann sich auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die sich am Dienstag mit ihrer Amtskollegin aus Schweden und Kanadas Einwanderungsminister ein Bild von der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge macht. Nicht nur Afzal, auch die anderen jungen Männer aus Somalia, Guinea, Afghanistan oder Syrien, die bei der Bahn noch im Vorbereitungsprogramm „Chance plus“ stecken, sprechen schon gut Deutsch. „Sogar mit Berliner Dialekt“, lobt Nahles.

Der Arbeitsministerin ist aber auch klar, dass sie es hier mit einem Vorzeigebetrieb zu tun hat. 120 Flüchtlinge qualifiziert die Bahn derzeit für eine spätere Ausbildung oder Berufstätigkeit, in diesem und im kommenden Jahr sollen noch einmal 150 Plätze hinzukommen. Gerade dass in den vergangenen zwei Jahren so viele junge Leute gekommen sind – 82 Prozent sind unter 35 Jahre alt – macht der Arbeitsministerin Hoffnung. In ihre Ausbildung zu investieren, sei eine gute Investition, auch wenn es nur um die Fachkräfte von morgen oder übermorgen gehe.

Das sieht auch die OECD so. Die Industrieländerorganisation hat einen neuen Bericht zur deutschen Flüchtlingspolitik erstellt, den Nahles vor ihrem Besuch im S-Bahn-Werk vorstellt. Die Arbeitsmarktintegration sei noch lange nicht geschafft, sagt die Ministerin: „Im Gegenteil, da sind wir gerade erst am Anfang.“ Vor welcher Aufgabe die deutsche Wirtschaft noch steht, illustriert eine schlichte Zahl: Knapp jeder zehnte der in Deutschland registrierten Arbeitsuchenden ist ein Flüchtling. Und 400.000 Asylbewerber, deren Verfahren beendet ist, sind bereits im Hartz-IV-System angekommen, die meisten suchen händeringend Arbeit.

Diejenigen, die bereits einen Job gefunden haben, kommen durchaus gut klar. Das Arbeitsministerium, die OECD und die Industrie- und Handelskammern haben rund 2200 Unternehmen nach ihren Erfahrungen mit Flüchtlingen befragt. 85 Prozent erlebten nur wenige oder keine Schwierigkeiten im Arbeitsalltag, mehr als 80 Prozent sind auch mit der Arbeitsleistung zufrieden. Wenn es Probleme gab, dann waren sie meistens mangelnden Sprachkenntnissen geschuldet. Allerdings gilt auch: Zwei von drei Flüchtlingen arbeiten derzeit auf Stellen für Geringqualifizierte. Künftige Beschäftigungschancen sehen die Arbeitgeber aber eher für Facharbeiter oder gar Hochqualifizierte.

Laut OECD hat die Bundesregierung schon viele Hausaufgaben gemacht, etwa die Arbeitsverbote gelockert oder mehr Integrationskurse angeboten. Nun gehe es darum, eine langfristige Strategie für die Integration zu erarbeiten und die Angebote noch passgenauer zu gestalten. Die Industrieländerorganisation mahnt eine bessere Kooperation der beteiligten Akteure an, also etwa des Flüchtlingsamtes BAMF, der Jobcenter und Ausländerbehörden. Außerdem rät die OECD, die Verteilung der Flüchtlinge auf Länder und Kommunen stärker an der jeweiligen Arbeitsmarktlage auszurichten. Und viele Unternehmen vermissten Rechtssicherheit, was das Bleiberecht eines Flüchtlings angehe.

Mit dem im August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetz habe die Regierung schon gute Arbeit geleistet, sagt dazu Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Allerdings reichten die Bemühungen noch nicht aus oder sie „laufen in der Verwaltungspraxis ins Leere“.


Erfolge in Bayern

So sei etwa die 3+2-Regelung, die Flüchtlingen für die Dauer einer dreijährigen Ausbildung und eine anschließende zweijährige Beschäftigung ein Bleiberecht sichern soll,  „flächendeckend nicht ganz einheitlich geregelt in Deutschland“. Unternehmen müssen demnach also durchaus noch fürchten, dass ihre Auszubildenden aus der Lehre heraus abgeschoben werden. Auch dass ein Flüchtling, der im Alter von 17 Jahren und elf Monaten nach Deutschland komme, noch die Schule besuchen dürfe, sein zwei Monate älterer Leidensgenosse aber nicht, sei ein Fehler im System, meint Kramer.

Denn es gebe keine Investition, die eine höhere Rendite bringe als die Investition in Bildung. Und wolle die Regierung wirklich die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen beschleunigen, dürfe sie auch nicht aus „ideologischen Gründen“ am Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit festhalten.

Nahles nimmt aus den OECD-Bericht vor allem zwei Empfehlungen mit. Man werde künftig mehr spezielle Programme brauchen, die auf den unterschiedlichen Fähigkeiten der Flüchtlinge aufsetzen. So mache es keinen Sinn, jemanden mit relativ guten Deutschkenntnissen in eine Anfängerklasse zu setzen. Dort werde er nur ausgebremst. Aus den Unternehmen habe sie zudem gehört, dass Sprachkurse meist zu Zeiten angeboten werden, in denen die Flüchtlinge eigentlich im Betrieb gebraucht würden. Hier anzusetzen sei sinnvoller, als immer nur nach mehr Geld für zusätzliche Kurse zu rufen. Auch der Frage, ob die Flüchtlinge wirklich da sind, wo die Arbeit ist, will sich die Ministerin annehmen. Über den Verteilschlüssel werde sie mit den Ländern und dem Innenminister noch reden müssen, kündigte sie an.

Einig sind sich OECD, Arbeitgeberpräsident Kramer und die Ministerin, dass es zur Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt keine Alternative gibt – auch wenn sie Zeit braucht und teuer ist. Man dürfe nicht nur die kurzfristigen Kosten sehen, sondern müsse den langfristigen Ertrag betrachten, sagt Nahles. Populisten, die jetzt gegen die Flüchtlingspolitik zu Felde zögen, wollten keine Probleme lösen: „Denn nur Misserfolg garantiert ihren Erfolg.“ Die Aufnahme Schutzbedürftiger sei ein „Grundrecht unserer Gesellschaft“, das nicht Kosten-Nutzen-Berechnungen geopfert werden dürfe, betonte Kramer.  Und die OECD schreibt: „Angesichts der Tatsache, dass die meisten international Schutzberechtigten voraussichtlich nicht in naher Zukunft in ihre Herkunftsländer zurückkehren werden, sollte ihre Integration generell als Investition betrachtet werden.“

Dass es durchaus Erfolge gibt, zeigt etwa das Beispiel Bayern. Im Rahmen der Initiative „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ hat das Bundesland im vergangenen Jahr 60.500 Flüchtlinge in Praktika, Ausbildung und Arbeit gebracht – drei Mal mehr als ursprünglich erhofft. Gut 35.000 Flüchtlinge haben mittlerweile einen sozialversicherungspflichtigen Job, davon rund 5.000 in Ausbildung. „Die Integrationszahlen sind eine sehr erfreuliche und motivierende Zwischenbilanz“, sagt der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal. Rund 30 Prozent der Teilnehmer, die ein von den bayerischen Unternehmen angebotenes Projekt besucht haben, konnten erfolgreich in eine Einstiegsqualifizierung, eine Ausbildung oder einen Beschäftigung vermittelt werden.

Auch der pakistanische Flüchtling Afzal hat es über eine Einstiegsqualifizierung zur Lehrstelle bei der Bahn gebracht. Nun wünscht er sich, dass sein Ausbildungsbetrieb ihn am Ende auch übernimmt. „Das“, sagt die Arbeitsministerin, „will ich doch wohl hoffen.“

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