Intelligente Videoüberwachung „Neue Gefahren für die Grundrechte“

Deutschland will mit intelligenter Videoüberwachung Terrorverdächtige aufspüren. Ob das gelingen kann, sollen Tests zeigen. Die Grünen sind überzeugt, dass solche Maßnahmen mit dem geltenden Recht nicht vereinbar sind.

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Gesichtserkennung per Videotechnik? Das Innenministerium erwägt nach einer Erprobung den Einsatz dieser Überwachungsmaßnahme. Quelle: dpa

Berlin Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware an Bahnhöfen und Flughäfen zur Fahndung nach Terrorverdächtigen in einem Pilotprojekt erproben. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. Dort heißt es: Das Innenministerium, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) befänden sich derzeit mit der Deutschen Bahn AG „in Abstimmung, um den Nutzen intelligenter Videoanalysetechnik an einem Pilotbahnhof zu testen“.

De Maizière hatte im August angekündigt die Möglichkeit zu schaffen, Terrorverdächtige künftig per Software automatisch zu erkennen. Wann solche „Videosysteme mit algorithmischer Mustererkennung“, sogenannte intelligente Videoüberwachung, tatsächlich genutzt werden können, ist jedoch noch offen. „Aussagen zur Einführung dieser Systeme im Echtbetrieb können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden“, erklärte das Innenministerium in seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage. Und: „Aussagen zu den Einsatzmöglichkeiten dieser Systeme sind abhängig vom Ergebnis der pilotartigen Erprobung.“

Das Ministerium deutet auch etwaige rechtliche Probleme bei der Nutzung dieser Technik an: „Inwieweit der mögliche Einsatz intelligenter Videoüberwachungssysteme eine verfassungsrechtliche Neubewertung erfordert, hängt nach Auffassung der Bundesregierung von der Ausgestaltung und tatsächlichen Nutzung dieser Technik ab.“

De Maizière hatte seinerzeit mit Blick auf Gesichtserkennungssoftware der „Bild am Sonntag“ gesagt: „Es gibt für Privatpersonen die Möglichkeit, jemanden zu fotografieren und mit einer Gesichtserkennungssoftware im Internet herauszufinden, ob es sich um einen Prominenten oder einen Politiker handelt, den man gerade gesehen hat. Ich möchte eine solche Gesichtserkennungssoftware an den Videokameras an Flughäfen und Bahnhöfen einsetzen.“ Wenn ein Verdächtiger auftauche, zeige das System das an. „Die Behörden müssen technisch können, was ihnen rechtlich erlaubt ist“, fügte er hinzu.

De Maizière ging damit über die zuvor verabschiedete Erklärung der Unions-Innenminister von Bund und Ländern hinaus, in der von Gesichtserkennung nicht die Rede ist. In seinem eigenen Sicherheitskatalog, den der Minister am 11. August vorgelegt hat, plädiert de Maizière für den "Einsatz intelligenter Videotechnik". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) liebäugelt auch mit moderner Technik im Anti-Terror-Kampf. Im August hatte sie bei einem Wahlkampfauftritt davon gesprochen, dass die Sicherheitsmaßnahmen dem technischen Fortschritt ständig angepasst werden müssten. "Das, was früher Videoüberwachung war, das wird in Kürze zum Beispiel auch Gesichtserkennung sein", so Merkel damals in Neustrelitz.


Grüne bezweifeln sicherheitspolitischen Nutzen

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf indes de Maizière vor, am Ausbau der Videoüberwachung „unbeirrt“ festzuhalten, obwohl der sicherheitspolitische Nutzen in Frage stehe. „Stellt die Überwachung des öffentlichen Raums mit herkömmlichen Kameras bereits eine Gefährdung für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger dar, ist dies bei sogenannter intelligenter Videotechnik umso mehr der Fall“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Eine Ausweitung der Videoüberwachung stelle „keinen Mehrwert“ für die Sicherheit dar, sondern schaffe vielmehr „neue Gefahren für die Grundrechte“.

Bei der Gesichtserkennung gleicht das System automatisch Gesichter, die per Videoüberwachung erfasst werden, mit Aufnahmen in Gesichtsdatenbanken ab. In Deutschland leben fast 500 sogenannte Gefährder, denen die Polizei grundsätzlich zutraut, dass sie einen Terrorakt begehen.

Die Bundesregierung schließt nicht aus, solche Gesichtsdatenbanken einzurichten. „Bundesbehörden können auf der Grundlage der geltenden gesetzlichen Bestimmungen Bilddatensammlungen führen“, heißt es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage. Einschränkend heißt es allerdings, dass eine Aussage zur technischen Machbarkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen werden könne.

Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hatte damals den Einsatz intelligenter Videotechnik als rechtlich unproblematisch bezeichnet und bereits Zustimmung signalisiert. „Ich würde mich dagegen nicht sperren“, sagte er. Wichtiger als die Schaffung kleiner „High-Tech-Inseln“ sei aber eine flächendeckende Ausstattung der Bundespolizei mit moderner Technik. „Wenn man diese Software, die wahrscheinlich erst in einigen Jahren ausgereift sein wird, jetzt punktuell einsetzt, während viele Beamte weiterhin mit 15 Jahre alten PCs arbeiten müssen, dann ist das so als wolle man ein Sahnehäubchen auf einem Kuchen setzen, der noch gar nicht gebacken ist“, erklärte Lischka mit Blick auf die Gesichtserkennungssoftware.


Bundespolizei hat Zugriff auf über 6.000 Kameras der Deutschen Bahn

Gleichwohl betont das Innenministerium in seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage, dass zehn Jahre nach der Erprobung der Gesichtserkennungssoftware durch das BKA sowohl die Industrie als auch die Forschung auf diesem Gebiet inzwischen „signifikante Verbesserungen“ erzielt hätten. „Hier vorliegende Informationen zu Tests von ausländischen Behörden lassen vermuten, dass die Erkennungsgenauigkeit aktueller Systeme deutlich gestiegen ist“, fügt das Ministerium unter Verweis auf US-Studien zur Leistungsfähigkeit entsprechender Algorithmen hinzu.

Aktuell greifen deutsche Sicherheitsbehörden im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung in großen Umfang auf Videomaterial der Deutschen Bahn und deutscher Flughäfen zurück. Die Bundespolizei hat, wie das Innenministerium auf die Grünen-Anfrage mitteilt, derzeit Zugriff auf rund 6.400 Videokameras der Deutschen Bahn. Insgesamt hat Bahn nach Angaben des Unternehmens vom August etwa 5000 Kameras an 700 Bahnhöfen im Einsatz. In Zügen sind etwa 27.000 Kameras verbaut.

An Flughäfen hat die Bundespolizei den Angaben zufolge generell sowohl auf eigene Kameras als auch auf Kameras der Flughafenbetreiber und der Deutschen Bahn AG Zugriff. „Die Anzahl der Videokameras, auf die die BPOL (Bundespolizei) an den fünf größten bundesdeutschen Flughäfen zugreifen kann, beträgt rund 1.730 Kameras.“

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