Internationale Energieagentur „So einfach, wie es die Russen darstellen, ist es dann doch nicht“

Der 64-jährige Fatih Birol leitet die IEA. Früher arbeitete er bei der OPEC. Quelle: REUTERS

Der Direktor der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, befürwortet ein Ölembargo gegen Russland und betont die Bereitschaft der IEA, mögliche Engpässe in der Ölversorgung zu bekämpfen. Damit Europa auf Dauer nicht mehr auf Putins Energie angewiesen sei, müsse sich vor allem Deutschland von russischem Gas und Öl lösen.

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Fatih Birol, 64, leitet die Internationale Energieagentur (IEA). Die IEA wurde kurz nach der ersten Ölkrise in den 1970er-Jahren gegründet. Seitdem verwaltet sie die Ölreserven ihrer 31 Mitgliedsstaaten. Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gab die IEA die größte Menge an Erdöl in ihrer fast 50-jährigen Geschichten aus den Reserven frei. Die Preise für Erdöl stabilisierten sich daraufhin.

WirtschaftsWoche: Herr Birol, die Europäische Kommission hat vor einigen Tagen auf ein Ölembargo gegen Russland gedrängt. Die EU-Mitgliedsstaaten verhandeln nun über Details, Ungarn weigert sich bislang einem Embargo zuzustimmen. Würden die Ölpreise durch ein Embargo explodieren?
Fatih Birol: Der Vorschlag der Kommission ist gerechtfertigt und durchdacht. Allerdings kann diese Entscheidung den globalen Ölpreis steigen lassen. Was genau geschehen wird, wird davon abhängen, ob andere Erzeuger mehr Öl in den Markt pumpen, um den Ausfall des russischen Öls zu kompensieren. Diese Entscheidung wird ein wichtiger Faktor werden, wenn es darum geht, die Preise weiter nach oben zu drücken oder zu stabilisieren.

Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine entschied die Internationale Energieagentur (IEA) den Markt mit mehr als 180 Millionen Barrell Öl aus ihren strategischen Reserven zu fluten. Jetzt kommt das Ölembargo gegen Russland. Legt die IEA dieses Jahr noch mehr Öl nach?
Die IEA handelte, weil ein ein echter Ausfall in der Versorgung herrschte. Obwohl wir die größte Freigabe von Erdöl aus unseren Reserven anordneten, machten die 180 Millionen Barrell nur etwa neun Prozent unserer Reserven aus...

Die IEA besitzt also noch genügend Stoff. Gibt es nun Pläne Öl nachzuschießen?
Wir beobachten die Lage auf dem Markt ganz genau und bleiben mit unseren Mitgliedsstaaten sowie mit den Produktionsländern in Kontakt. Wenn der Bedarf da ist, werden wir definitiv handeln.

Wladimir Putin hat angekündigt, das boykottierte Erdöl einfach nach Indien anstatt nach Europa zu verkaufen. Sind die EU-Sanktionen nur ein zahnloser Papiertiger?
So einfach, wie es die Russen darstellen, ist es dann doch nicht. Die Nachfrage nach Erdöl ist auch in Asien begrenzt. Und viele Länder haben schon Langzeitverträge mit den Erdöllieferanten des Mittleren und Nahen Ostens abgeschlossen. Außerdem dauert es wesentlich länger, Öl von Russland nach Asien zu transportieren. Nach Europa braucht das russische Öl etwa drei bis vier Tage - bis russisches Öl Häfen in Asien erreicht, dauert es einen Monat. Wenn Russland Öl nach Asien verkauft - dann nur mit einem signifikanten Abschlag beim Preis. Das Embargo der EU bewirkt, dass Russland substanzielle Einbußen seines Einkommens hinnehmen muss. Europa war der wichtigste Käufer russischen Erdöls. Das werden die Russen spüren.

Russisches Öl wird durch das Embargo fehlen, die Staaten der Opec produzieren aber zurzeit nicht wesentlich mehr Öl und profitieren dadurch vom hohen Preis. Sieht so internationale Solidarität mit der Ukraine aus?
Die Entscheidung obliegt der Opec. Unsere Analysen zeigen, dass der globale Markt zusätzliches Öl braucht, um den Ausfall russischen Öls zu kompensieren. Wenn die Förderländer mehr Öl bereitstellen würden, wäre das in der Tat hilfreich.

Lesen Sie auch: „Die Opec kann sich ein Zerwürfnis mit Russland nicht leisten“

Lassen Sie uns über Deutschland reden. Die Bundesrepublik hängt am Tropf russischer Energie, vor allem beim Gas. Müssen sich die nun also Deutschen entscheiden: Entweder frieren im nächsten Winter oder mehr tote Ukrainer im Sommer?
Die Reaktion der Bundesregierung auf den russischen Überfall der Ukraine war absolut richtig. Sie kümmert sich aktuell sehr gut darum, genug Energievorräte für den kommenden Winter zu organisieren und Russland zugleich den Geldhahn beim Öl und Gas zuzudrehen. Leicht wird das zwar sicher nicht, aber ich glaube, was die Bundesregierung gerade macht, führt zum richtigen Ziel.

Hat Deutschland in der Vergangenheit nicht viele Fehler in seiner Energiepolitik begangen?
Leider ja. Die IEA und ich persönlich haben mehrfach darauf hingewiesen, dass Deutschland seine Energieversorgung diversifizieren muss und nicht nur auf russisches Gas setzen kann. Leider hat man nicht auf uns gehört. Das hat sich aber zum Glück nun geändert. Sobald sich der Staub gelegt hat, sollte Deutschland selbstkritisch sein und seine energiepolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre aufarbeiten.

Hätte Nord Stream 2 nach der russischen Annexion der Krim 2014 sofort gestoppt werden müssen?
Die IEA und ich haben mehrfach auf die zunehmende Abhängigkeit wegen des Baus einer zweiten Pipeline hingewiesen.

Und? Wie reagierte die deutsche Bundesregierung auf Ihre Bedenken?
Wir haben den Deutschen viele Vorschläge unterbreitet, immer und immer wieder. Aber ich bin sehr froh, dass die deutsche Regierung jetzt deutlich handelt und die Einfuhr russischer Energie reduziert oder sogar komplett unterbindet: Besser spät als nie.

Ein Einfuhrstopp für russisches Öl wird vermutlich kommen. Kann Europa auch ohne russisches Gas überleben?
Erdöl ist schon eine Herausforderung, ein Embargo auf russisches Gas wird noch wesentlich schwieriger. Es gibt bei der Versorgung mit Gas einfach weniger Alternativen als beim Erdöl. Auf kurze Sicht wird es schwierig aus der Abhängigkeit von Russland zu entkommen. Trotzdem muss unser Ziel sein, die Abhängigkeit von Russland so schnell wie möglich zu verringern. Das Augenmerk sollten wir dabei darauf richten, Energie einzusparen, saubere Energiequellen voranzubringen und die Energieeffizienz zu steigern. Das sind die Lösungen. Auch unangenehme Schritte müssen wohl sein: Ein Tempolimit in Deutschland wäre sehr zu begrüßen.

Die IEA hat hierfür ja einen Zehn-Punkte-Plan ausgetüftelt...
Wenn wir den Verbrauch nicht senken, werden wir wohl in einigen Ländern Europas Energie im kommenden Winter rationieren müssen. Wir befinden uns gerade in einer globalen Energiekrise. Und die Klimakrise gibt es ja auch noch.

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Kann die derzeitige Situation auch als eine energiepolitische Chance gelten? Bis wann wird Europa denn komplett auf Erdöl verzichten können?
Ich hoffe, dass das bis zum Jahr 2050 klappt. Die Maßnahmen, die wir jetzt treffen, um die Ukraine gegen Russland zu unterstützen, können uns auch im Kampf gegen den Klimawandel helfen.

Lesen Sie auch: Bei einem kommenden Ölembargo wird es Ostdeutschland am schwersten treffen.

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