Worte sind Schall und Rauch. Das müssen sich auch die Autoren der Wahlprogramme bei Union und SPD gedacht haben, als sie ihre Vision von der Modernisierung des Digitalstandorts Deutschland auf Papier brachten. Geht es um die Versorgung der Bundesbürger mit Glasfaseranschlüssen für den superschnellen Internetzugang, liegt Deutschland international weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen. Doch im Bundestagswahlkampf 2017 schenkten die Digitalpolitiker der beiden Volksparteien dem Glasfaserausbau wenig Beachtung. Das Wort „Glasfaser“ tauchte in dem Wahlprogramm der Union nur vier Mal auf, bei der SPD sogar nur zwei Mal.
Nun könnte man einwenden, dass die Wahlprogramme ohnehin Stoff des vorigen Jahres und damit überholt sind. Doch Union und SPD verhandeln diese Woche über eine mögliche Koalition. Die Parteien sind auf der Suche nach Schnittmengen und Gemeinsamkeiten. Das, was die Parteistrategen damals auf Papier gebracht haben, ist also Grundlage für weitere Gespräche.
Und leider verheißen die Ankündigungen wenig Revolutionäres. Reichlich unkonkret ist bei der SPD die Rede von „Gigabitnetzen“, steht dort geschrieben. „Bis 2025 sollen mehr als 90 Prozent aller Gebäude daran angeschlossen sein“. Doch „sollen“ ist kein „müssen“. Weiter heißt es: „Die hierfür notwendigen Investitionen werden wir fördern.“ Doch was ist schon wirklich „notwendig“?
Die Union steht der SPD in nichts nach. CDU und CSU wollen immerhin „den flächendeckenden Ausbau von modernsten Glasfasernetzen vorantreiben und bis 2025 realisieren“. Doch was ist schon „modern“? Die Union werde außerdem den „Glasfaserausbau zur Anbindung von 5G-Basisstationen" vorantreiben. Die notwendigen Funkfrequenzen würden rasch festgelegt und bereitgestellt. „Bei der Vergabe der Mobilfunkfrequenzen für 5G wollen wir die Ersten sein. Erlöse daraus werden wir in den Glasfaserausbau investieren.“
Doch damit wären Glasfasernetze nicht unbedingt bis an den Hauseingang verlegt. Gerade bei den „Fibre-to-the-building- und Fibre-to-the-Home-Anschlüssen (FTTB/H) liegt Deutschland weit hinten. In den Städten liegt der Anteil der Glasfaseranschlüsse bei elf Prozent, im halbstädtischen und ländlichen Bereich unter drei Prozent, so eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Der prozentuale Anteil der Glasfaseranschlüsse an den insgesamt genutzten Breitbandanschlüssen liegt in Deutschland damit bei unter fünf Prozent. Zum Vergleich: Japan und Südkorea kommen auf eine Quote von mehr als 70 Prozent. In Europa geben Lettland und Schweden mit einer Durchdringungsquote von mehr als 60 beziehungsweise 50 Prozent den Ton an.
Breitbandausbau
Dieses Kürzel steht für Fibre To The Curb, also Glasfaser bis an den Randstein. Das bedeutet in der Praxis, dass bis zu einem Verteilerkasten der Anbieter ein Glasfaserkabel legen kann, die verbleibende Strecke von dort bis zum Haus aber mit herkömmlichen Kabeln zurückgelegt wirde, die nicht die gleiche Leistungsfähigkeit haben. Sie können durch das sogenannte Vectoring etwas schneller gemacht werde.
Dieses Kürzel steht für Fibre To The Home - also Glasfaser vom Knotenpunkt bis hinein ins Haus. Das ist der derzeitige Goldstandard an Übertragungsbandbreite - aber in Deutschland noch die Ausnahme. Statt bestehende Leitungen zu nutzen, wie das bei FTTC möglich ist, müssen diese Leitungen in der Regel neu verlegt werden. Das ist der Knackpunkt für den Breitbandausbau in Deutschland.
Vectoring nennt sich eine Technik, die die klassischen Kupferkabel, die in Deutschland in der Regel das Telefonsignal in die Wohnung bringen, technisch hochrüsten. Damit ist es möglich, eine Bandbreite von bis zu 100 Megabit pro Sekunde in den Haushalt zu bringen. Derzeit sind es für viele Anschlüsse in Deutschland gerade einmal 16 Megabit pro Sekunde, das Ziel der Bundesregierung sind 50 Megabit in allen deutschen Haushalten bis 2018. Unternehmen oder Haushalte mit großem Datenhunger könnten damit wiederum schnell an ihre Grenzen kommen. Die derzeit höchstmögliche Bandbreite sind 1000 Megabit pro Sekunde, die jedoch nicht mit Kupferkabel zu erreichen sind.
5G ist nach LTE der nächste Schritt beim Mobilfunk, dessen Standards derzeit noch nicht fest stehen. Auf den ersten Blick hat Mobilfunk wenig zu tun mit der Verlegung von Glasfaserkabeln. Dennoch verweisen Experten daraufhin, dass für die Versorgung mit 5G in allen Regionen und überall, das Glasfasernetz ausgebaut sein muss.
Die Wirtschaft ist angesichts solcher Zahlen nervös. „Der Ausbau digitaler Infrastrukturen in Deutschland muss in dieser Legislaturperiode höchste Priorität haben“, fordert Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco Verbands der Internetwirtschaft. Das Ziel müssten Gigabitnetze sein und „die erhalten wir nur durch einen flächendeckenden Ausbau der Glasfaser-Infrastruktur“. Dafür müsse die künftige Bundesregierung auf jeden Fall weitere Haushaltsmittel bereitstellen. „Ich erwarte von allen möglichen Koalitionspartnern dies auch entsprechend in einem nächsten Koalitionsvertrag in Form konkreter Ziele und Finanzierungsstrategien festzuschreiben“, so Süme.
Hat die große Koalition die Kraft, Deutschland bei der Digitalisierung voran zu bringen? Die Digitalpolitik dürfte in den Sondierungsgesprächen viel Raum einnehmen. Deshalb lohnt ein Blick, wer denn die entscheidende Rolle bei den Gesprächen spielen wird. Die großen Visionäre sind nicht darunter.
Die Union schickt den Ex-Digitalminister Alexander Dobrindt ins Rennen. Der CSU-Politiker pflegt eine Nähe zur Deutschen Telekom und dessen Chef Timotheus Höttges. Unter Dobrindts Ägide hat der langsame Vectoring-Anschluss, den vor allem die Telekom wegen ihrer Kupferleitungen forciert hat, ein merkwürdiges Revival erlebt.
Unklar ist, inwieweit Dobrindt bei den Gesprächen in den kommenden Tagen Milliarden an Subventionen plötzlich ausschließlich in Richtung Glasfaserausbau schieben will oder ob die Telekom weiterhin ihre Vectoring-Technik aus Kupferkabeln wird vergolden dürfen.
Mehr Wettbewerb auf lokaler Ebene
Immerhin gehört auch Carsten Linnemann zum Sondierungsteam der Union. Der Mittelstandsbeauftragte der CDU gilt als vehementer Befürworter einer auf Glasfaser ausgerichteten Breitbandpolitik. Er will sogar am liebsten die Anteile des Bundes an der Deutschen Telekom verkaufen, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
Doch damit steht er innerhalb der Union auf einsamem Posten. Die anderen Unions-Verhandler Thomas Strobl aus Baden-Württemberg sowie Ilse Aigner und Peter Ramsauer aus Bayern dürften eher auf der pro-Telekom-Linie Dobrindts liegen.
Die Hoffnung dürfte damit auf den Verhandlern der SPD liegen. Doch leider führt Thorsten Schäfer-Gümbel das sozialdemokratische Sondierungsteam für die Arbeitsgruppe Wirtschaft, Verkehr, Infrastruktur, Digitalisierung und Bürokratie an. Der hessische SPD-Chef ist kein anerkannter Digitalexperte. Auf Twitter ist @tsghessen vor allem dafür bekannt, dass er seinen Followern regelmäßig einen „Guten Morgen“ wünscht und verkündet, wenn er mal wieder irgendwo hinfährt, wie am Sonntag:
Guten Morgen, jetzt geht es nach Berlin zu den Sondierungsgesprächen. Bin sehr gespannt, ob große Räder gedreht werden können.
— T. Schäfer-Gümbel (@tsghessen) 7. Januar 2018
Die Hoffnung ruht dennoch auf der SPD. Zwar unterstützen Schäfer-Gümbel bei den Gesprächen Anke Rehlinger aus dem Saarland der Fraktionsvize Sören Bartol. Beide haben zwar oft ein höheres Tempo beim Glasfaserausbau angemahnt, aber gleichzeitig die Ziele der bisherigen Bundesregierung von 50 Megabit pro Sekunden bis 2018 unterstützt. Experten galt das 2013 formulierte Ziel schon damals als unambitioniert.
Die SPD hat aber selbst schon mal mehr Druck beim Breitbandausbau eingefordert. Und zwar im SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium.
Die SPD schlingert Richtung GroKo
Das hängt vor allem davon ab, ob Schulz genug herausholen kann in den Sondierungen in den ersten beiden Januarwochen, so dass er beim Sonderparteitag - wahrscheinlich am 14. Januar - das Ok der Basis für konkrete Koalitionsverhandlungen bekommt. Bisher sind nach Schätzungen in einzelnen SPD-Landesverbänden bis zu zwei Drittel der Delegierten gegen eine neue GroKo. Schulz will bei den Sondierungen mit der Union für einen „anderen Stil“ sorgen als bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen. „Bei uns wird es keine Balkonbilder geben, auch kein Winken.“ Intensives Twittern von Zwischenständen will er auch unterbinden.
Merkel weiß, dass Schulz ein paar „Leuchtturmprojekte“ braucht, um den Parteitag zu überstehen. Und wenn es zum Koalitionsvertrag kommt, auch noch das abschließende Votum der rund 440 000 Mitglieder. Doch CDU und CSU wollen nur über eine große Koalition reden. Schulz dagegen will auch andere Modelle „ergebnisoffen“ verhandeln - wie eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung oder eine „Kooperationskoalition“, bei der die SPD zwar Minister in die Regierung schickt, aber nur bei Kernprojekten wie dem Haushalt und Auslandseinsätzen mit der Union kooperiert. Bei anderen Themen könnten sich beide Seiten hier auch mit anderen Parteien verbünden. Als Beispiel gilt die gegen die Union durchgesetzte „Ehe für alle“.
Gerade die Jusos sammeln Verbündete für ihre Kampagne #NoGroKo. Sie argwöhnen, die Parteispitze habe sich längst auf GroKo-Verhandlungen eingestellt und nähre nur noch die Illusion von anderen Optionen, um sie ruhigzustellen. Schulz hat in sein zwölfköpfiges Sondierungsteam auch den Landeschef der SPD in Nordrhein-Westfalen, Michael Groscheck, geholt. Im größten Landesverband, der fast ein Viertel der Delegierten bei dem Sonderparteitag stellt, gibt es große Ablehnung; hier wird eine Minderheitsregierung favorisiert. Hat Schulz zu wenig zu bieten, droht eine Ablehnung, dann wäre auch er als Parteichef kaum zu halten. Er argumentiert, dass die SPD auch dringend gebraucht wird, um Reformideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für „mehr Europa“ zügig umzusetzen.
Zum Beispiel bei einem SPD-Herzensthema, dem Rückkehrrecht von Teilzeitbeschäftigten auf Vollzeitstellen, was vor allem hunderttausende Frauen betrifft. Ziel der Partei ist es, das Leben der Menschen zu verbessern, wieder Kümmerer-Partei zu werden. „Bei gutem Willen auf beiden Seiten halte ich das für lösbar“, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) dem „Spiegel“. Schon in der letzten Koalition sei das nur an der Frage gescheitert, ab welcher Betriebsgröße das Rückkehrrecht gelten soll. Interessant: Schulz redet auch nicht mehr über eine einheitliche Krankenkasse; viele in der SPD wollen die Flucht von Beamten und Besserverdienern in die private Versicherung stoppen. Hier könnte die Union der SPD mit Änderungen bei den Beiträgen für Arbeitnehmer entgegenkommen.
Nach der letzten GroKo landete die SPD bei der Bundestagswahl bei katastrophalen 20,5 Prozent. Seit dem rot-grünen Wahlsieg mit Gerhard Schröder 1998 hat die SPD zehn Millionen Wähler verloren. Die AfD sitzt der ältesten demokratischen Partei im Nacken. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel lag die SPD bei der Landtagswahl bei 10,6 Prozent, die AfD bei 24,3 Prozent. Als ein Grund wird der Verlust von Profil in einer Koalition mit Merkels Union angesehen - und ein Verlust des Kontaktes zu den „kleinen Leuten“. Kaum jemand weiß, wofür die SPD heute steht - das Wahlprogramm war ein Sammelsurium vieler Vorschläge, ohne klare Idee für die Zukunft Deutschlands in Krisenzeiten. Viele Genossen fürchten auch, als Regierungspartei bleibe zu wenig Zeit für die nötige Erneuerung.
Natürlich Parteichef Schulz, dem aber nach seinem mehrfachen Nein zu einer großen Koalition Misstrauen entgegen schlägt. Wichtig dürfte sein, ob Groschek die NRW-SPD auf GroKo-Kurs bringt, und wie viel Überzeugungsarbeit die Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles im linken Flügel übernimmt. Eine gewichtige Rolle kommt aber auch dem neuen „Parteiliebling“ Malu Dreyer zu - sie wurde gerade erst mit famosen 97,5 Prozent zur neuen SPD-Vizechefin gewählt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin erinnert in ihrer Rolle an Hannelore Kraft 2013 vor der letzten GroKo: erst große Skeptikerin, die dann die Partei davon überzeugte, dass man es angesichts durchgesetzter Forderungen - wie 8,50 Euro Mindestlohn - machen müsse. Dreyer betont nun: „Man wird am Ende dann sehen, wie weit man mit den Inhalten kommt, darum geht es, was man bewegen kann in unserem Land. (...).“ Senkt sie am Ende den Daumen, dürfte es schwierig werden. Für Schulz beginnt die wohl schwierigste Weihnachtszeit in seiner politischen Karriere.
„Brückentechnologien wie Vectoring (macht das Internet über die bestehenden Kupfernetze im Mbit/s-Bereich schneller) haben für eine gewisse Übergangszeit ihre Berechtigung – wir halten es allerdings für geboten, rasch in die Welt der gigabitfähigen Technologien einzutreten“, hieß es in einem Weißbuch über die Digitalpolitik schon Anfang 2017.
Des Weiteren forderte das Bundeswirtschaftsministerium in ihrem Weißbuch mehr Wettbewerb auf lokaler Ebene. Breitbandausbau führe in ländlichen Räumen zu vielen kleineren Gemeindenetzen, heißt es dort. Diese Netze seien aufgrund ihrer geringen Größe für international tätige Telekommunikationsunternehmen sowohl als Nachfrager nach Netzzugangsprodukten wie auch als Anbieter von Telekommunikationsdiensten unattraktiv. „Mit einem virtuellen Verbund dieser Netze (gegebenenfalls mit Beteiligung des Bundes) können in Deutschland unter anderem vermehrt homogene Vorleistungen (...) zentral angeboten werden.“ Damit werde die Auslastung und indirekt die Finanzierung von lokalen Gigabitnetzen in ländlichen Räumen verbessert.
Und auch ein weiterer interessanter Vorschlag findet sich in dem Weißbuch. Neue Gigabitnetze sollten „von sämtlichen Vorabverpflichtungen freigestellt werden, wenn sie für Ko-Investitionen und den Zugang durch ko-investierende Wettbewerber offenstehen“, heißt es darin. „Schließen sich Marktakteure zusammen, um gemeinsam den Ausbau von Gigabitnetzen voranzubringen, dann müssen wir das belohnen.“
Das SPD-geführte BMWI hat damit schon sehr konkrete und sinnvolle Ideen eingebracht. Berücksichtigt wurden sie bislang nicht. Aber erinnern sich die Sondierer aus dem SPD-Team an die selbst entwickelte Expertise, könnte Deutschland einen klugen Schritt nach vorne machen.