Der IS begann als einer von vielen al-Qaida-Ablegern, emanzipierte sich aber. Mittlerweile scheint er weitaus mächtiger als al-Qaida. Warum?
Der Zeitpunkt des Niedergangs von al-Qaida war zugleich der Höhepunkt der Organisation – die Anschläge vom 11. September 2001. Damit wurde al-Qaida zum Ziel sämtlicher westlicher Staaten im Krieg gegen den Terrorismus. Neben Osama Bin Laden wurden viele weitere wichtige Funktionäre getötet und der finanzielle Nährboden wurde trockengelegt. Parallel dazu begann der Irak-Krieg, der Jihadisten aus aller Welt anzog. Für sie war es eine unheimliche Attraktion, die Amerikaner in einem arabischen Kernland zu bekämpfen.
Die Führer des IS
az-Zarqawi wurde 1966 geboren und 2006 getötet. Auf seinem Kopf hatten die USA ein Kopfgeld von 25 Millionen US-Dollar ausgesetzt – das entspricht dem Kopfgeld, das auf Saddam Hussein ausgesetzt war. Er galt als Experte für chemische und biologische Kampfstoffe.
Während des Irak-Kriegs gründete er al-Qaida im Irak – der Organisation aus der heute der Islamische Staat (IS) hervorgegangen ist. Er ist für mehrere Terroranschläge und die Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg verantwortlich.
Am 7. Juni 2006 töteten ihn US-Spezialkräfte nördlich von Bagdad. Nachdem zu einem Gefecht zwischen US-Militärs und Anhängern az-Zarqawis kam, forderten die US-Soldaten einen gezielten Luftschlag auf sein Lager an. Infolge dieses Luftschlags soll az-Zarqawi gestorben sein.
Die Person hinter dem Pseudonym Abu Umar al-Baghdadi ist immer schattenhaft geblieben. Nach irakischen Angaben war er ein ehemaliger irakischer Armeeoffizier. 1985 soll er in dem Widerstand gegen Saddam Hussein beigetreten sein.
1987 floh er nach Afghanistan, um erst 1991 zurück in den Irak zu kommen. Seine Festnahme wie sein Tod wurden mehrfach gemeldet. Beobachter äußerten immer wieder die Vermutung, hinter dem Kampfnamen existiere keine reale Person – oder er wäre nacheinander von unterschiedlichen Kämpfern verkörpert worden.
Seit 2010 sind keine Ankündigungen von ihm mehr in die Öffentlichkeit gelangt, weshalb man ihn für tot hält.
Al-Baghdadi wurde 1971 im Irak geboren. Seit 2010 ist er der Anführer des IS. Seitdem er Mitte 2014 in Teilen Syriens und des Iraks das Kalifat ausgerufen hat, nennt er sich Kalif Ibrahim.
In Bagdad soll er ab seinem 19. Lebensjahr zehn Jahre lang in einem privaten Moscheegebäude gelebt und Religion studiert haben. Sein Studium soll er zu Beginn der 2000er Jahre mit einer Promotion in Islamischen Recht beendet haben.
Als die USA 2003 im Irak einmarschierten, gründete al-Baghdadi eine militante Islamistengruppe. 2004 soll er von US-Streitkräften im Irak interniert worden sein.
Seitdem er 2014 das Kalifat auf syrischem und irakischem Boden ausgerufen hat, ist er nach Ansicht seiner Anhänger oberster Führer der Muslime.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Führungsstruktur des IS werfen. Abu Bakr al-Baghdadi ist bereits der dritte Kopf der Organisation – seine drei Vorgänger wurden allesamt getötet. Auch über seinen Tod gab es jüngst Spekulationen. Wie wichtig ist er für den IS?
Er ist eines der Aushängeschilder der Organisation. Gerade al-Baghdadi, der das Kalifat ausgerufen hat, vereint vieles auf sich: Zahlreiche Personen, die sich dem IS anschließen, tun das sicher auch wegen seines Charismas und der mit ihm zusammenhängenden „Erfolgsgeschichte“ der Organisation.
Aber ist er unabkömmlich?
Der IS hat lange Erfahrung, was die Ausschaltung von Führungsmitgliedern betrifft und er hatte jahrelang Zeit, sich auf Fall des Todes al-Baghdadis vorzubereiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er diesen Rückschlag zumindest mittelfristig kompensieren könnte.
Chronik der IS-Krise
IS-Rebellen besetzen Falludscha in der irakischen Provinz Anbar. Hunderttausende fliehen.
IS-Kämpfer nehmen die Millionenstadt Mossul ein und überrennen anschließend weitere Teile des Iraks.
US-Präsident Barack Obama deutet erstmals ein Eingreifen an, allerdings nicht mit Bodentruppen.
IS ruft ein grenzübergreifendes Kalifat aus.
Der IS-Vormarsch nahe Mossul treibt Hunderttausende in die Flucht, vor allem Jesiden.
Die USA fliegen erste Angriffe und werfen Nahrung für die Flüchtlinge ab.
Deutschland bringt erstmals Hilfsgüter ins Krisengebiet.
Die Enthauptung eines US-Journalisten schockt die Welt.
Zehn Länder schließen Anti-IS-Koalition.
Deutschland liefert erste Waffen an kurdische Kämpfer.
Ministertreffen der rund 60 Länder der Anti-IS-Koalition in Brüssel.
Der IS ist nicht die einzige islamistische Organisation, die aus der von Ihnen geschilderten Gemengelage erwuchs. Allerdings ist er die mächtigste. Was hat er besser gemacht als andere Organisationen?
Der IS hat unter der Führung von al-Zarqawi und später unter der al-Baghdadis die Macht konsequent weiter ausgebaut. Das Netzwerk, auf das der IS heute zurückgreift – zwischen Syrien, dem Irak, Jordanien und Libanon – wurde seit Anfang der 2000er Jahre aufgebaut. Zudem hat er sich früh selbst finanziert – durch Banküberfälle, Erpressung, Schutzgeld und Geiselnahmen.
Darauf ist er heute nicht mehr angewiesen. Jetzt sichern Einnahmen aus Öl, Spenden und Steuern die IS-Finanzen.
Ein weiterer Aspekt ist die erfolgreiche Medienarbeit – insbesondere in den sozialen Netzwerken sind sie sehr gut aufgestellt.
Was macht der IS hier anders als die sonstigen jihadistischen Organisationen?
Zum einen hat der IS sehr früh auf die neuen Medien gesetzt. Er war die erste Terror-Organisation, die Twitter in einem derart massiven Umfang genutzt hat.