Herr Said, ist der IS gefährlicher als al-Qaida?
Sowohl der IS als auch al-Qaida sind gefährliche Organisationen. Der Blick auf die eine Organisation darf den Blick auf die andere nicht verstellen.
Aber glauben Sie, dass der IS wie al-Qaida zu Anschlägen im Westen in der Lage ist?
Das erscheint durchaus möglich. Da der IS allerdings derzeit im Irak und in Syrien in schweren Kämpfen verwickelt ist, ist das aktuell wohl nicht oberste Priorität – aber der Wille ist durchaus vorhanden, die Gefahr bleibt natürlich bestehen. Die Anschläge in Kanada und zuletzt in Sydney haben gezeigt, dass Einzeltäter vom IS oder ähnlichen Gruppen inspiriert werden können und zur Tat schreiten, ohne einen direkten Auftrag erhalten zu haben. Die genauen Umstände sind hier allerdings noch zu klären.
Zur Person
Behnam T. Said ist Islamwissenschaftler am Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg. Er beobachtet seit Jahren salafistische und gewaltorientierte islamistische Bestrebungen in Deutschland und der arabischen Welt.
Bisher tötet der IS selbst lediglich in der arabischen Welt, die überwiegende Zahl der Opfer sind Muslime.
Nicht nur die meisten Opfer des IS – das ist auch bei anderen jihadistischen Organisationen so. Die meisten Getöteten sind Muslime und Menschen aus den betreffenden Ländern.
Der IS, aber auch andere Terror-Organisationen sind geprägt vom radikal-jihadistischen Gedankengut. Seit wann gibt es diese Ausprägung?
Theoretisch lässt sich der Jihad bis in die Zeit des Propheten Mohammed zurückverfolgen – also bis ins siebte Jahrhundert nach Christus. Die jihadistische Bewegung, die wir heute kennen – die den Jihad als Grundlage aller Glaubensvorstellungen sieht – entwickelte sich seit den Sechzigerjahren.
Wie kam es dazu?
Die Moslembruderschaft wurde in den Fünfzigerjahren in Ägypten verboten – darauf wanderten viele Mitglieder in die Golfstaaten aus. Hier kamen die politischen Ideen der Moslembrüder, insbesondere die radikalen Ideen Sayyid Qutbs, mit den puristischen Ideen des Wahabismus zusammen. Aus diesem Amalgam entstand ab den Sechzigerjahren das, was wir heute als Jihadismus bezeichnen.
Wann haben Sie das erste Mal von der Terrororganisation Islamischen Staat (IS) gehört?
Zum Ende meiner Studienzeit – das war im Jahr 2006. Damals war die konfessionelle Auseinandersetzung im Irak zwischen Sunniten und Schiiten auf ihrem Höhepunkt. Zu diesem Zeitpunkt hieß die Organisation noch Islamischer Staat im Irak.
Die Wurzeln des IS und seiner Vororganisationen lassen sich noch weiter zurückverfolgen.
Die Entwicklung des IS hängt eng mit dem Niedergang al-Qaidas zusammen. Nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center 2001 begannen die USA, al-Qaida-Stellungen in Pakistan und in Afghanistan zu bombardieren. Wie viele andere Jihadisten musste auch Abu Musab az-Zarqawi fliehen...
Kämpfe um eine syrische Grenzstadt - Warum Kobane so wichtig ist
Die syrischen Kurden haben den Bürgerkrieg im Land zum Aufbau eigener regionaler Machtstrukturen in den mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten genutzt. Nachdem sich die Truppen des Regimes von Baschar al-Assad 2012 zurückgezogen hatten, übernahmen sie die Kontrolle und gründeten später im Norden des Landes drei „autonome Kantone“. An der türkischen Grenze kontrollierten sie wichtige Enklaven: im Nordwesten um die Stadt Afrin, im Nordosten um die Städte Hasaka und Al-Kamischli sowie im Norden um Kobane. Eine Übernahme Kobanes durch die Terrormiliz IS wäre nicht nur der Verlust einer strategisch wichtigen Versorgungsroute, sondern auch psychologisch eine schwere Niederlage.
Die etwa 5000 Milizionäre gehören vor allem den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) an. Sie sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Volksschutzeinheiten und PYD stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in der Türkei verboten ist. Im Kampf gegen den IS werden offenbar auch Selbstmordattentäter eingesetzt: Kurdische Aktivisten meldeten am Wochenende, dass eine Kämpferin mit einem Selbstmordanschlag Dutzende Extremisten getötet habe. Experten gehen davon aus, dass PKK-Kämpfer die syrischen Kurden unterstützen. Die kurdischen Milizionäre in Syrien sind nicht zu verwechseln mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die im Irak gegen den IS im Einsatz sind.
Nach kurdischen Angaben ist die überwiegende Mehrheit der verbliebenen Zivilisten an die türkischen Grenze in Sicherheit gebracht worden. Kobane wurde von den Volksschutzeinheiten zur „Militärzone“ erklärt. Laut türkischer Regierung sind mehr als 185 000 Menschen in die Türkei geflohen.
Die türkische Regierung hat den Kurden in Kobane Unterstützung zugesagt, zugleich aber klargemacht, dass sie damit in unmittelbarer Zukunft keinen Einsatz von Bodentruppen meint. Zwar hat das Parlament der Regierung ein Mandat für Militäreinsätze in Syrien und im Irak für ein Jahr erteilt. Allerdings verlangt Ankara für einen Einsatz von Bodentruppen eine umfassende internationale Strategie, die auch den Sturz des Assad-Regimes in Damaskus beinhaltet. Zugleich befürchtet Ankara, dass die Kurden an der türkischen Südgrenze die Keimzelle für einen eigenen Kurden-Staat legen könnten, sollte es ihnen gelingen, die Terrormiliz IS zurückzuschlagen.
Die IS-Kämpfer passen sich schnell und geschickt an die Luftschläge an. Sie verlassen Ziele, die von den USA ins Visier genommen werden und bringen Waffen und Geiseln an neue Stützpunkte. Zudem mischen sich die Kämpfer unter die Zivilbevölkerung und lassen auch viele ihrer schwarzen Flaggen wieder verschwinden. Weil Angriffe auf die IS-Infrastruktur schwieriger werden, hat sich auch das Tempo der Luftschläge verlangsamt, sagt David Schenker vom Washington Institute for Near East Policy. Die US-Regierung hat mehrfach betont, dass der IS nicht allein aus der Luft besiegt werden kann. Dem unabhängigen US-Instituts CSBA zufolge hat der Kampf bereits zwischen 780 und 930 Millionen Dollar (620 bis 740 Millionen Euro) verschlungen.
Der später der erste Führer des IS wurde...
Er setzte sich mit seinen Männern zuerst in Richtung Iran und dann in den Irak ab, später bereiste er Syrien und den Libanon. In dieser Zeit baute er ein Netzwerk auf. Im Nordirak nahm er 2002 Kontakt zu den Vertretern von Ansar al-Islam auf – einer kurdisch-islamistischen Organisation im Irak. Aus dieser Situation heraus gründete er anschließend das Netzwerk at-Tauhid wa-l-Dschihad, das 2004 zu al-Qaida im Irak und 2006 zu IS im Irak umbenannt wurde.
„Der IS könnte den Tod al-Baghdadis kompensieren“
Der IS begann als einer von vielen al-Qaida-Ablegern, emanzipierte sich aber. Mittlerweile scheint er weitaus mächtiger als al-Qaida. Warum?
Der Zeitpunkt des Niedergangs von al-Qaida war zugleich der Höhepunkt der Organisation – die Anschläge vom 11. September 2001. Damit wurde al-Qaida zum Ziel sämtlicher westlicher Staaten im Krieg gegen den Terrorismus. Neben Osama Bin Laden wurden viele weitere wichtige Funktionäre getötet und der finanzielle Nährboden wurde trockengelegt. Parallel dazu begann der Irak-Krieg, der Jihadisten aus aller Welt anzog. Für sie war es eine unheimliche Attraktion, die Amerikaner in einem arabischen Kernland zu bekämpfen.
Die Führer des IS
az-Zarqawi wurde 1966 geboren und 2006 getötet. Auf seinem Kopf hatten die USA ein Kopfgeld von 25 Millionen US-Dollar ausgesetzt – das entspricht dem Kopfgeld, das auf Saddam Hussein ausgesetzt war. Er galt als Experte für chemische und biologische Kampfstoffe.
Während des Irak-Kriegs gründete er al-Qaida im Irak – der Organisation aus der heute der Islamische Staat (IS) hervorgegangen ist. Er ist für mehrere Terroranschläge und die Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg verantwortlich.
Am 7. Juni 2006 töteten ihn US-Spezialkräfte nördlich von Bagdad. Nachdem zu einem Gefecht zwischen US-Militärs und Anhängern az-Zarqawis kam, forderten die US-Soldaten einen gezielten Luftschlag auf sein Lager an. Infolge dieses Luftschlags soll az-Zarqawi gestorben sein.
Die Person hinter dem Pseudonym Abu Umar al-Baghdadi ist immer schattenhaft geblieben. Nach irakischen Angaben war er ein ehemaliger irakischer Armeeoffizier. 1985 soll er in dem Widerstand gegen Saddam Hussein beigetreten sein.
1987 floh er nach Afghanistan, um erst 1991 zurück in den Irak zu kommen. Seine Festnahme wie sein Tod wurden mehrfach gemeldet. Beobachter äußerten immer wieder die Vermutung, hinter dem Kampfnamen existiere keine reale Person – oder er wäre nacheinander von unterschiedlichen Kämpfern verkörpert worden.
Seit 2010 sind keine Ankündigungen von ihm mehr in die Öffentlichkeit gelangt, weshalb man ihn für tot hält.
Al-Baghdadi wurde 1971 im Irak geboren. Seit 2010 ist er der Anführer des IS. Seitdem er Mitte 2014 in Teilen Syriens und des Iraks das Kalifat ausgerufen hat, nennt er sich Kalif Ibrahim.
In Bagdad soll er ab seinem 19. Lebensjahr zehn Jahre lang in einem privaten Moscheegebäude gelebt und Religion studiert haben. Sein Studium soll er zu Beginn der 2000er Jahre mit einer Promotion in Islamischen Recht beendet haben.
Als die USA 2003 im Irak einmarschierten, gründete al-Baghdadi eine militante Islamistengruppe. 2004 soll er von US-Streitkräften im Irak interniert worden sein.
Seitdem er 2014 das Kalifat auf syrischem und irakischem Boden ausgerufen hat, ist er nach Ansicht seiner Anhänger oberster Führer der Muslime.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Führungsstruktur des IS werfen. Abu Bakr al-Baghdadi ist bereits der dritte Kopf der Organisation – seine drei Vorgänger wurden allesamt getötet. Auch über seinen Tod gab es jüngst Spekulationen. Wie wichtig ist er für den IS?
Er ist eines der Aushängeschilder der Organisation. Gerade al-Baghdadi, der das Kalifat ausgerufen hat, vereint vieles auf sich: Zahlreiche Personen, die sich dem IS anschließen, tun das sicher auch wegen seines Charismas und der mit ihm zusammenhängenden „Erfolgsgeschichte“ der Organisation.
Aber ist er unabkömmlich?
Der IS hat lange Erfahrung, was die Ausschaltung von Führungsmitgliedern betrifft und er hatte jahrelang Zeit, sich auf Fall des Todes al-Baghdadis vorzubereiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er diesen Rückschlag zumindest mittelfristig kompensieren könnte.
Chronik der IS-Krise
IS-Rebellen besetzen Falludscha in der irakischen Provinz Anbar. Hunderttausende fliehen.
IS-Kämpfer nehmen die Millionenstadt Mossul ein und überrennen anschließend weitere Teile des Iraks.
US-Präsident Barack Obama deutet erstmals ein Eingreifen an, allerdings nicht mit Bodentruppen.
IS ruft ein grenzübergreifendes Kalifat aus.
Der IS-Vormarsch nahe Mossul treibt Hunderttausende in die Flucht, vor allem Jesiden.
Die USA fliegen erste Angriffe und werfen Nahrung für die Flüchtlinge ab.
Deutschland bringt erstmals Hilfsgüter ins Krisengebiet.
Die Enthauptung eines US-Journalisten schockt die Welt.
Zehn Länder schließen Anti-IS-Koalition.
Deutschland liefert erste Waffen an kurdische Kämpfer.
Ministertreffen der rund 60 Länder der Anti-IS-Koalition in Brüssel.
Der IS ist nicht die einzige islamistische Organisation, die aus der von Ihnen geschilderten Gemengelage erwuchs. Allerdings ist er die mächtigste. Was hat er besser gemacht als andere Organisationen?
Der IS hat unter der Führung von al-Zarqawi und später unter der al-Baghdadis die Macht konsequent weiter ausgebaut. Das Netzwerk, auf das der IS heute zurückgreift – zwischen Syrien, dem Irak, Jordanien und Libanon – wurde seit Anfang der 2000er Jahre aufgebaut. Zudem hat er sich früh selbst finanziert – durch Banküberfälle, Erpressung, Schutzgeld und Geiselnahmen.
Darauf ist er heute nicht mehr angewiesen. Jetzt sichern Einnahmen aus Öl, Spenden und Steuern die IS-Finanzen.
Ein weiterer Aspekt ist die erfolgreiche Medienarbeit – insbesondere in den sozialen Netzwerken sind sie sehr gut aufgestellt.
Was macht der IS hier anders als die sonstigen jihadistischen Organisationen?
Zum einen hat der IS sehr früh auf die neuen Medien gesetzt. Er war die erste Terror-Organisation, die Twitter in einem derart massiven Umfang genutzt hat.
Der IS auf Twitter
Wie sehen die Twitter-Aktivitäten aus?
Der IS nutzt Twitter sehr vielfältig. Teilweise wird in Nahzeit von bestimmten Kampfvorgängen berichtet. Sie verbreiten die Anzahl der Opfer und zeigen eingesetzte Waffensysteme. Es werden auch kürzere Traktate aus dem IS-Gedankengut verbreitet – das geschieht meist auf Arabisch, teilweise aber auch auf Englisch, Deutsch oder Französisch. Ebenso werden religiöse Gedanken geteilt. Zudem berichten die Twitter-Aktivisten aus dem Inneren des Islamischen Staats.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Wie kann ich mir das vorstellen?
Sie schreiben über die dort durchgeführten Strafen – genauso wie über die Neueröffnungen von quasistaatlichen Einrichtungen wie etwa Schulen oder Krankenhäusern.
Was macht Twitter zu so einem effizienten Instrument?
Twitter lässt Hierarchien verflachen. Es gibt nicht – wie etwa in klassischen jihadistischen Internetforen – einen geheimen Kreis, der ausschließlich über den Zugang zu Informationen bestimmt. Bei Twitter können Menschen in unterschiedlichen Hierarchieebenen miteinander in Kontakt treten – und dementsprechend schnell in diesem Netzwerk aufsteigen.
Wer waren die Personen, die aufgestiegen sind?
Es waren vor allem Personen aus den hinteren Reihen der jihadistischen Prediger und Ideologen wie Turki al-Bin´ali alias Abu Sufyan as-Sulami, die durch den Anschluss an IS eine Aufwertung erfuhren. Diese Personen gehörten oftmals der jüngeren Generation an, im Gegensatz zur „alten Garde“ der pro al-Qaida Denker.
Was auffällig ist: Der IS hat nicht nur seine eigenen „Medienarbeiter“, sondern auch viele freie Propagandisten.
Der IS hat seine Medienarbeit dezentralisiert. Es gibt immer noch einzelne Medieneinheiten, die man offiziell nennen könnte. Dazu gibt es eine Heerschar von Einzelpersonen, die ebenfalls wertvolle Medienarbeit für den IS leistet. Er hat also ein Stück weit die Verantwortung für die Propaganda an seine Mitglieder abgegeben. Diese veröffentlichen Informationen im Namen des IS – aber in Eigenregie.
Die kurdischen Kämpfer im Überblick
Im Irak stellt sich vor allem die Peschmerga den Dschihadisten entgegen, um die kurdische Autonomieregion im Norden zu schützen. Der Name der Armee bedeutet in etwa „Jene, die dem Tod ins Auge sehen“. Die Streitkräfte gingen aus bewaffneten Einheiten insbesondere der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) im Nordirak hervor. Experten gehen von etwa 130.000 bis 200.000 Kämpfern aus. Viele unterstehen der kurdischen Regionalregierung.
In Nordsyrien kämpfen derzeit insbesondere die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) gegen die IS-Extremisten. Sie sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden und wollen ihre drei „autonomen Kantone“ schützen, die nach dem Rückzug der syrischen Regierungstruppen in den überwiegend von Kurden bewohnten Regionen errichtet wurden.
Volksschutzeinheiten und PYD stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in der Türkei verboten ist und auch in europäischen Ländern und den USA auf der Terrorliste steht. Experten gehen davon aus, dass PKK-Kämpfer die syrischen Kurden unterstützen.
Gibt es hierbei bestimmte Zuständigkeiten? Veröffentlichen die offiziellen IS-Twitterer andere Informationen als die inoffiziellen?
Über die offiziellen Kanäle werden insbesondere die höherwertigen oder aufwendigeren Produktionen verbreitet – zum Beispiel lange vorbereitete Videos. Auch offizielle Erklärungen vom IS-Sprecher al-Adnani werden dort publiziert oder von al-Baghdadi, wenn er sich einmal zu Wort meldet. Über die inoffiziellen erfährt man viel über das Kampfgeschehen vor Ort.
Großes Aufsehen erregt der IS mit seinen Videos. Vor allem die Enthauptungsvideos finden immer wieder ihren Platz in der Berichterstattung. Welche Rolle spielen diese Videos in der IS-Propaganda?
Die Videos verdeutlichen die zwei Gesichter, die der IS nach außen zeigt. Da gibt es das äußerst brutale Gesicht, das er sich selbst generiert hat, indem er immer wieder Enthauptungsvideos veröffentlicht, die sich an Radikalität weiter steigern. Zum anderen produziert der IS zahlreiche Videos, die sich an das syrisch-irakische Publikum richten – also an die Menschen, die unter dem IS leben oder bald leben könnten, aber auch an Sympathisanten. Hier präsentiert der IS sich als Staat, der Dienstleistungen für seine Bürger anbietet – etwa den Ausbau von Straßen, die Errichtung von Krankenhäusern, Schulen und den Ausbau elektrischer Leitungen.
Deso Doggs Aufstieg in den Reihen des IS
Warum braucht der IS zwei Gesichter?
Der IS schafft es, durch die äußerst brutalen Videos seine Gegner einzuschüchtern – im Westen und im Nahen Osten. Auf der anderen Seite sammelt er mit den Videos für das syrisch-irakische Publikum und die Unterstützer Sympathien und gibt vor, ein tatsächlicher Staat zu sein, der sich um die Interessen seiner Bürger kümmert.
Dieses Bild wird immer wieder entlarvt durch Videos, die Aktivisten aus dem Inneren der IS-Städte hochladen. Sie zeigen, wie schlecht die Zustände dort sind. Sind solche Videos eine Gefahr für den IS?
Der IS versucht mit aller Macht, die Veröffentlichung solcher Videos zu verhindern. Das wird deutlich anhand der wenigen Aktivisten aus Raqqa, die unter Lebensgefahr versuchen, von dort zu berichten. Einzelne werden immer wieder gefasst und hingerichtet. Der IS will Herr über die Bilder sein, die aus seinem Herrschaftsgebiet heraus entstehen.
Das bekannteste Gesicht der IS-Medienarbeit in Deutschland ist Denis Cuspert, früher bekannt als Deso Dogg. Er hat es geschafft, in die Führungsriege des IS aufzusteigen. Wie das?
Er stand schon in Deutschland mit Mohamed Mahmoud in Kontakt – einem radikalen Prediger aus Wien. Gemeinsam bauten sie in Deutschland die jihadistische Organisation Millatu-Ibrahim (Die Gemeinschaft Abrahams) auf. Mahmoud war jemand, der gut in der militanten Szene der arabischen Welt vernetzt war – wahrscheinlich hatte er auch Kontakt zu al-Qaida im Irak – der Vororganisation des IS.
Millatu-Ibrahim
Mohamed Mahmoud wurde 1985 in Wien als Sohn ägyptischer Eltern geboren. Sein Vater war bereits Mitglied einer islamistischen Organisation in Ägypten und gab das Gedankengut an seinen Sohn weiter.
2003 war er laut eigener Aussage Teil eines al-Qaida Trainingscamps im Irak. Danach sei er Schüler eines radikalen Imams gewesen.
2008 wurde er für das Bilden und Fördern einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Nachdem seine Strafe 2011 verbüßt war, wurde er aus der Haft entlassen. Wenige Tage später veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Abu Usama Al-Gharib“ mehrere Videos, in denen er zum Kampf gegen Ungläubige aufrief.
Denis Cuspert wurde 1975 in Berlin geboren. Er wuchs in zerrütteten familiären und sozialen Verhältnissen auf. Er wurde mehrfach inhaftiert, unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes. In seiner Jugend wandte er sich zudem dem Islam zu.
Parallel dazu machte er sich ab 2002 innerhalb der Berliner Szene einen Namen als Rapper – der erhoffte Durchbruch blieb aber aus. Nachdem er Anfang 2010 in Kontakt mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel kam, beendete er seine Rapper-Karriere und orientierte sich am Salafismus.
Nachdem er weiteren Ärger mit den Behörden wegen Volksverhetzung hatte, setzte sich Cuspert 2012 nach Ägypten ab. 2014 schwor er Abu Bakr al-Baghdadi die Treue und schloss sich dem IS an.
Millatu-Ibrahim ist eine salafistische Organisation, die 2011 in Solingen von Mohamed Mahmoud gegründet wurde. Wegen „Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung“ wurde die Organisation 2012 von dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verboten.
Sie hatte ihren Sitz in einer „Hinterhofmoschee“ in Solingen. Bekannt wurde Millatu-Ibrahim vor allem wegen der gewaltsamen Ausschreitungen 2012 in Solingen und Bonn. Als Mitglieder der rechtsextremen Partei pro NRW vor den dortigen Moscheen Salafisten mit Mohammed-Karikaturen provozierten, griffen die Salafisten sie an.
Später legitimierte Millatu-Ibrahim in Videos die Angriffe und kündigte weitere Gewalttaten an.
Bis zu seinem Anschluss an den IS soll Denis Cuspert Millatu-Ibrahim als militante salafistische Organisation in Mossul angeführt haben.
Also hat Cuspert seinem Aufstieg Mahmoud zu verdanken?
Mahmoud genießt in der internationalen jihadistischen Szene Wertschätzung. Als sein Protegé wurde Cuspert natürlich schneller aufgenommen und stieg schneller auf als ein unbekanntes Gesicht, das an der türkisch-syrischen Grenze aufkreuzt. In solchen Fällen wird erst einmal geprüft, wie stark und zuverlässig diese Person wirklich ist.
Glauben Sie, dass der IS zu schlagen ist?
Ja, aber damit wäre nur eine jihadistische Organisation besiegt. Daneben gibt es in der ganzen arabischen Welt Organisationen und Netzwerke, die aktuell an Kraft gewinnen. Die Bewegung erlebt im Moment einen enormen Vormarsch und glaubt tatsächlich, dass sie bald einen Islamischen Staat auf dem Gebiet der alten Kalifate errichten kann.
Die alten Kalifate umfassten nahezu die gesamte arabische Welt, aber auch Spanien und Sizilien. Wie wahrscheinlich ist es, dass der IS sich ernsthaft bis dorthin ausbreiten will?
Der alte Kalifats-Gedanke spielt eine große Rolle. Der IS will das Kalifat in der historisch größtmöglichen Ausdehnung wieder auferstehen lassen. Das würde auch Spanien mit einschließen. Da muss man allerdings realistisch bleiben: Im Moment ist der IS in Syrien und im Irak in großen Schwierigkeiten, weswegen er sich erst einmal damit beschäftigt, sich dort zu stabilisieren und vielleicht in andere arabische Staaten wie Libyen oder Ägypten zu expandieren.