IW-Studie Wenn Neubau in Kleinstädten zum Problem wird

IW-Studie Wohnungsnot Quelle: imago images

In einigen Kleinstädten wird viel zu viel gebaut, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft in einer aktuellen Studie. Vor welchen Herausforderungen die Städte auf dem Land stehen – und wie es besser geht.

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Wer das Wort Wohnungssuche hört, denkt womöglich an Besichtigungen in deutschen Metropolen mit dutzenden Interessenten. Oder an Demonstrationen in Berlin samt Transparenten an Hauswänden, die Ängste der Mieter skandieren, niedrigere Mieten oder gleich die Enteignung von Wohnungsgesellschaften fordern. Und das ist niemandem zu verübeln. In den großen Städten des Landes ist die Wohnungsnot nun mal am stärksten spürbar. Immerhin werden bis 2030 vor allem die Metropolen wie Berlin, Hamburg, München oder Köln mehr als fünf Prozent an Bevölkerung gewinnen. Verfügbarer und bezahlbarer Wohnraum ist hier bereits heute Mangelware.

Das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln hervor. Genau diese Studie mit dem Titel „Ist der Wohnungsbau auf dem richtigen Weg?“ lenkt den Blick allerdings zur Abwechslung auch mal auf das Land. Denn der Wohnungsbau in Klein- und Mittelstädten läuft keinesfalls problemlos ab. Jedoch sind die Nöte in der Provinz ganz andere als in den Metropolen: Es wird zu viel gebaut, zumindest mancherorts. Doch gerade die Devise „Bauen, bauen, bauen“ soll doch in Städten wie Berlin endlich zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt führen. Zu viel bauen – geht das überhaupt?

Das geht. Etwa in Sachsen-Anhalt, in Sachsen, im Saarland und in Randgebieten Bayerns, wie es in der Studie heißt. Eine Folge von zu viel Neubau kann ein stark verändertes Stadtbild sein. Denn durch Neubaugebiete außerhalb der Stadt- und Dorfzentren der kleinen Städte verlieren Innenstadt und Fußgängerzone an Bedeutung. Der Leerstand, der mancherorts gar bei um die zehn Prozent liegt, kann sich im Stadtzentrum zusätzlich verschärfen. Die Konsequenz daraus: Die Städte müssen sich etwas Neues einfallen lassen als bauen, bauen, bauen.

„Kommunen fernab der Metropolen sollten ein besseres Flächenmanagement betreiben, um attraktiv zu bleiben und Leerstände in der Ortsmitte zu vermeiden.“ Es gilt „Umbau statt Neubau“. In einem Drittel der deutschen Kreise sollte die Bautätigkeit im Neubau gebremst werden, um ein Überangebot zu vermeiden, heißt es in der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Die kompakte Kleinstadt

„Für Klein- und Mittelstädte ist es ganz entscheidend, die Stadt kompakt zu halten und Wohnflächen in fußläufiger Lage zur Innenstadt anzubieten“, erklärt auch Peter Dehne, Professor für Planungsrecht und Baurecht an der Hochschule Neubrandenburg. „Hier sind Wohnungen in den vergangenen Jahren deutlich attraktiver geworden, auch für jüngere Leute.“ Voraussetzung dafür: Die Stadt müsse lebendig sein. Dehne weiß, dass es für kleinere Städte ausgesprochen schwierig sei, „gegen den Wegfall von Einzelhandel oder Gastronomie anzukämpfen“.

Vielleicht gelingt das ja mit ausgefalleneren Wohnmodellen. „Auch in der Kleinstadt können Mietwohnungen äußerst attraktiv sein, vor allem, wenn man sie räumlich und gegebenenfalls auch organisatorisch verbindet mit Serviceeinrichtungen wie Kinder- oder Seniorenbetreuung oder sogar mit Mobilitäts- und Sharing-Angeboten“, sagt Professor Dehne. Dafür seien kleinere Städte mit ihrer sozialen und räumlichen Nähe fast schon prädestiniert. Die richtige Einschränkung liefert Dehne allerdings direkt mit: „Das müssten sich einfach mehr Unternehmen trauen, doch die Hürde dafür ist noch recht groß.“

Verständlicherweise. Denn „wer heute Wohnungen in Berlin baut, wird gewiss Mieter finden. Wer das im Zentrum einer Kleinstadt tut, kann sich da nicht ganz so sicher sein“. Hinzu kommt das geringere Mietniveau, das laut Dehne rentierliche Investitionen begrenzt.

Der Professor für Planungs- und Baurecht vermutet, dass viele Kommunen mittlerweile sensibler bei der Ausweisung von Bauland, das recht abgetrennt von der Innenstadt liegt, vorgehen. „Doch immer noch ist das freistehende Einfamilienhaus auf der grünen Wiese begehrt. Außerdem ist die Ausweisung dieses meist freien Baulands wesentlich einfacher, als in der Innenstadt zu verdichten.“

Dennoch geschehe das in den zentralen Lagen immer häufiger – so sollen auch ländliche Städte urban werden.

Wohnungsbau: Die kleine Stadt Ochtrup macht es besser

Auch in Ochtrup geschieht das. Der Definition nach ist Ochtrup mit etwa 20.000 Einwohnern so gerade noch eine Kleinstadt auf der Schwelle zur Mittelstadt. In manchen solcher Städte wird der IW-Studie nach zu viel gebaut. Ochtrup liegt im Münsterland, im Norden befindet sich die Grenze zu Niedersachsen, im Westen die zu den Niederlanden. Zwar werde in Ochtrup laut Bürgermeister Kai Hutzenlaub von der SPD auch „sehr viel“ gebaut. Doch einen Leerstand von Wohnhäusern oder Wohnungen gibt es in der Stadt fast nicht, die Bevölkerung wächst.

Bürgermeister Hutzenlaub ist darauf bedacht, die Stadt beieinander zu halten. „Sobald wir Bauland ausweisen, finden wir meist sofort Bauwillige. Dabei nutzen wir nicht einmal alle Flächen aus, die vorhanden sind.“ Zwar werden auch in Wohnbaugebieten neue Einfamilienhäuser gebaut. „Diese sind allerdings in unmittelbarer Nähe der Innenstadt – so halten wir Ochtrup kompakt und die Fuß- oder Fahrradwege kurz. Gerade hier im Münsterland sind die Leute ja gerne mit Fahrrad unterwegs“, sagt Hutzenlaub.

Doch vor allem in der Innenstadt, vor deren Verlust an Bedeutung die Forscher vom Institut der deutschen Wirtschaft warnen, wird verdichtet: „Flächen, die noch bis vor wenigen Jahren komplett frei waren, werden derzeit von privaten Bauunternehmen bebaut“, erläutert Hutzenlaub. „Im ursprünglichen und historischen Ochtruper Stadtkern sind in den letzten Jahren viele Grundstücke von Investoren aufgekauft worden, um diese zu sanieren.“ In den unteren Etagen sollen neue Gastronomie und Dienstleistungen errichtet werden und darüber neue Wohnungen entstehen. Das ist auch bitter nötig, eine Mietwohnung in Ochtrup zu finden, sei laut dem Bürgermeister „durchaus problematisch“.

Durch diesen Geschosswohnungsbau „hoffen wir auch alleinwohnende Personen aus großen Häusern zum Umzug in eine Wohnung zu bewegen. So soll mehr Fläche frei werden“, sagt Karin Korten, Leiterin des Fachbereichs Planen, Bauen und Umwelt in der Ochtruper Stadtverwaltung. Der einzige Leerstand, den Ochtrup zurzeit zu verzeichnen hat, ist gewerblicher Natur. Doch dieser sei notwendig: „Die Leerstände befinden sich vor allem derzeit im nördlichen Bereich der Fußgängerzone. Ein großer Teil dieser Leerstände gehört zu der über 1500 Quadratmeter großen Fläche, auf der ein ortsansässiger Investor die Gebäude sanieren will. Dass Gebäude nun leer stehen, ist also notwendig, um eine Entwicklung zu ermöglichen. Die anderen Teile der Fußgängerzone erneuern wir Zug um Zug, sodass diese zukunftstauglich sind.“

Zwar wird in Ochtrup also nicht zu viel gebaut und auch die Innenstadt soll lebendig bleiben. Doch es darf zumindest hinterfragt werden, wie gesund diese Wohnungsbaupolitik in der Stadt, die im Wahlkreis von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn liegt, ist: „Fünf Prozent Leerstand sind angemessen. Eine Stadt braucht einfach einen gewissen Anteil an freien Wohnflächen, um flexibel zu sein. Sei es für Zu- oder Umzüge – das ist die sogenannte Fluktuationsreserve“, erklärt Planungs- und Baurechtsprofessor Dehne. „Meiner Meinung nach ist auch eine Leerstandsquote von sieben Prozent noch moderat.“

Outlet-Center als Aushängeschild

Mittlerweile ist das aber auch in der Umgebung von Dehnes Hochschule in Neubrandenburg nicht immer der Fall: „Hier in Mecklenburg-Vorpommern stellen wir fest, dass auch die Preise in Mittelstädten wie Rostock und Greifswald anziehen.“ Selbst in einer Kleinstadt wie Waren sei der Wohnungsmarkt angespannt.

Und auch Ochtrup ist weit von fünf Prozent Leerstand entfernt. Warum der Wohnbedarf hier so hoch ist? Das Outlet-Center Ochtrup der Londoner McArthurGlen Group samt Marken wie Adidas, Lacoste oder Nike lockt Besucher aus entfernten Städten und den Niederlanden. Und die Beschäftigten des Outlets „müssen schließlich irgendwo unterkommen“, sagt Bürgermeister Hutzenlaub. „Demnächst steht die nächste Erweiterung des Outlets an, dadurch sollen 400 neue Arbeitsplätze entstehen.“ Außerdem verlaufen die A31 und 30 in der Nähe der Stadt, eine Regionalbahn fährt Münster oder Enschede ohne Umstieg an.

Das macht die Stadt attraktiv. Und damit die wachsende Ochtruper Bevölkerung nicht nur außerhalb des Stadtzentrums in neugebauten Einfamilienhäusern wohnt, wurde 2017 die Förderinitiative „Jung kauft Alt“ auf den Weg gebracht. Wer sich für den Kauf eines Altbaus – von denen es im historischen Ortskern mehr als genug gibt – entscheidet, wird von der Stadt durch Beratung und finanzielle Zuschüsse dabei unterstützt. So soll auch die Innenstadt lebhaft gehalten werden. Und Ochtrup käme dem Wunsch nach einer kompakten Stadt nach.

Eine solche Initiative nutzen auch andere kleine Städte schon länger. Etwa Hiddenhausen, Bad Bentheim oder Heek. In Ochtrup scheint sie zu fruchten. „Erfreulicherweise stellen wir mittlerweile mehr Nachfrage für die Altbauten fest“, sagt Kai Hutzenlaub. Wenn das in Ochtrup so weitergeht, dann muss hier hoffentlich nicht wie anderswo gegen die Wohnungspolitik in der Stadt protestiert werden.

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