Jamaika-Koalition Grüne und CDU mahnen zu Kompromissbereitschaft

Erst Ende dieser Woche wollen sich CDU und CSU zusammensetzen und ihre Verhandlungslinie festzurren. Heikel ist die CSU-Forderung nach einer verschärften Flüchtlingspolitik. Was halten FDP und Grüne davon?

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Was vor einigen Jahren im Saarland nicht klappte, soll nun auf Bundesebene funktionieren: Ein Bündnis zwischen CDU, FDP und Grünen. Quelle: dapd

Berlin Politiker von Grünen und CDU mahnen zu Ernsthaftigkeit und Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. Der Chef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Montag): „Gespräche können auch scheitern. Aber erst einmal ist es unsere Verantwortung, sie ernsthaft und konstruktiv zu führen.“ Zugleich sollten die Grünen entschieden in der Sache sein, riet er. „Es darf nicht nur beim Regierungswechsel bleiben, die Politik muss sich verändern.“

Auf Widerstand bei Union und FDP dürfte die Ökopartei etwa mit Forderungen nach einem Ende für Verbrennungsmotoren und Kohlekraftwerke oder der Eindämmung der Massentierhaltung stoßen.

CDU-Vizechef Thomas Strobl äußerte sich dennoch zuversichtlich zu den Gesprächen: „Alles ist möglich, auch in sehr schwieriger Lage, wenn man ernsthaft und zielorientiert zusammenarbeitet.“ Dabei bezog er sich auf Erfahrungen in der grün-schwarzen Regierung in Stuttgart, der er als Vize-Regierungschef angehört. Mit „roten Linien“ dürfe niemand in die Koalitionsverhandlungen gehen, sagte er der „Rhein-Neckar-Zeitung“.

Hofreiter äußerte Verständnis dafür, dass sich CDU und CSU nach den historisch großen Einbußen bei der Bundestagswahl zunächst ordnen müssten. „Allein aus taktischen Gründen sollten sie den Beginn von Sondierungen aber nicht extra hinauszögern“, warnte Hofreiter. Die Grünen seien indes zu Gesprächen bereits bereit. Überlegungen in der Union, besonders in der Asyl- und Zuwanderungspolitik einen Rechtsschwenk einzuleiten, kritisierte Hofreiter. „Es war noch nie von Erfolg gekrönt, Rechtspopulisten zu bekämpfen, indem man sie rechts überholt und ihre Parolen übernimmt.“

Die Union war bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden, hatte aber nur 32,9 Prozent erreicht – ihr schwächstes Ergebnis seit 1949.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte im „Bericht aus Berlin“ der ARD, eine Lehre aus dem Wahlergebnis laute, dass sich CDU und CSU um die Themen Zuwanderung, Integration und Sicherheit kümmern müssten. Dabei gehe es nicht nur um die Gefahr von Terroranschlägen hierzulande, sondern vor allem auch um die Sicherheit auf öffentlichen Plätzen und Straßen. Gestärkt werden müsse das „Sicherheitsgefühl, das wir als Konservative und Bürgerliche immer auch stark vertreten haben“.


„Lassen uns von keinem drängen“

Er bekräftigte, dass die Sondierungen über eine Koalition mit Grünen und FDP nicht schon kommende Woche starten können. Erst werde man am 8. Oktober innerhalb der Union reden. „Und dann werden wir Sondierungen aufnehmen. So ist der Fahrplan. Und da lassen wir uns auch von keinem drängen.“ Kritiker unterstellen der Union, dass sie erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober ernsthaft verhandeln will.

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete über Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer „in kleiner Runde“, wonach CDU und CSU vor ihren schwierigsten Gesprächen seit Kreuth 1976 stünden. Damals hatte CSU-Chef Franz Josef Strauß bei einer Klausurtagung die Trennung von der CDU angekündigt. Erst Wochen später und nach massiven Drohungen aus der CDU rückte er wieder davon ab. Seehofer hat laut „SZ“ für die nächsten Tage alle öffentlichen Termine abgesagt. Er arbeite an einer Strategie für die Gespräche mit CDU-Chefin Angela Merkel.

Als heikler Punkt gilt die CSU-Forderung nach einer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Seehofer hält daran fest, Merkel lehnt sie ab. Seehofer steht intern unter Druck: In der CSU wurden Stimmen laut, die seinen Abgang forderten.

Am Wochenende hatte auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) von Merkel eine schärfere Asyl- und Einwanderungspolitik verlangt. „Wir haben Platz gelassen rechts von der Mitte. Viele unserer Anhänger haben uns nicht mehr für wählbar gehalten“, sagte Tillich der Funke-Mediengruppe. Merkels Flüchtlingspolitik sei für das starke Abschneiden der AfD mitverantwortlich. Die Union müsse wieder Recht und Ordnung durchsetzen. „Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt. Sie wollen keine Parallelgesellschaften und keinen Anstieg der Kriminalität.“ In Sachsen wurde die AfD bei der Bundestagswahl mit fast 30 Prozent stärkste Kraft.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte, Deutschland könne nicht unbegrenzt Flüchtlinge integrieren. FDP und Grüne müssten in dem angestrebten Jamaika-Regierungsbündnis deshalb eine „Integrationsgrenze“ akzeptieren, sagte er der „Welt“.

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