Jamaika-Sondierungen „Es wird zu Entscheidungen heute kommen“

Die Jamaika-Parteien haben mit den. entscheidenden Sondierungen begonnen. Bis zum Abend soll Klarheit herrschen. Bundespräsident Steinmeier mahnt auf den letzten Metern zur Besinnung.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt am 19.11.2017 in die Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin. Spitzenvertreter aus CDU, CSU, FDP und Grüne beraten bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung. Quelle: dpa

Berlin Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen sind am Sonntag zur entscheidenden Sondierungsrunde für eine Jamaika-Koalition zusammengekommen. Die vier Parteien hatten am Samstag Fortschritte erzielt. Bei den Themen Migration sowie Klimaschutz und Energie gibt es aber noch keine Einigung in den strittigsten Punkten.

Beide Bereiche sollten am Sonntagnachmittag erneut aufgerufen werden. In Teilnehmerkreisen hieß es, wenn das Thema Migration gelöst werde, käme man auch bei Klimaschutz und Energie zusammen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ging ohne Statement in die Gespräche.

CSU-Chef Horst Seehofer, sagte vor Beginn des Treffens, heute müssten wichtige Punkte für das Land und die Bevölkerung entschieden werden. Ob dies allerdings bis 18.00 Uhr möglich sei, bezweifelte Seehofer. Bei der Zuwanderung gehe es um Humanität, Ordnung und Begrenzung.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte ebenfalls: „Es wird zu Entscheidungen heute kommen“. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Er gehe mit Zuversicht in den Tag. Es sei „jetzt an der Zeit, dass wir Entscheidungen treffen“. Die FDP-Spitze zeigte sich ganz offensichtlich verärgert über den Grünen-Politiker Jürgen Trittin.

Trittin hatte in der „Bild am Sonntag“ gesagt, bei den Sondierungen hätten die Grünen beim Streitpunkt Migration die Kompromissgrenze erreicht. „Wir haben uns an vielen Stellen bewegt, sind bis an die Schmerzgrenze gegangen.“ Das betreffe Verfahren, aber auch Fristen und die Nennung von Zahlen. Nicht verhandelbar sei der Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios beinhaltet das Angebot der Grünen die Zahl von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr als atmender Rahmen. Die Grünen würden betonen, dass diese Zahl seit der Wiedervereinigung nur in fünf Jahren überschritten worden sei. Dieses Angebot gelte aber nur, wenn sich auch die CSU bewege. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus dürfe nicht - wie vor allem von der CSU gefordert - grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Verständigung habe es im Grundsatz bei Agrar und Wirtschaft gegeben, machte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt deutlich. Sie hob bei Agrar besonders hervor, dass künftig mit weniger Pestiziden gearbeitet werden soll. „Die Bienen werden es uns danken“, fügte sie hinzu. CDU-Vize Thomas Strobl sagte, für die Wirtschaft wolle man weniger Bürokratie umsetzen. Zudem strebe man Vollbeschäftigung an. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, offen sei noch eine Einigung über flexiblere Arbeitszeiten.

Zuvor hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier alle Seiten aufgerufen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es bestehe kein Anlass für „panische Neuwahldebatten“. Der „Welt am Sonntag“ sagte Steinmeier: „Wenn jetzt von den Jamaika-Verhändlern hart um große Fragen wie Migration und Klimaschutz gerungen wird, muss das kein Nachteil für die Demokratie sein.“ Über die Debatte zum Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern sagte er: „Wir werden diese Phase nicht überwinden, solange die Migrationsdebatte moralisches Kampfgebiet bleibt.“ Die Politik müsse jetzt Vorschläge für eine kontrollierte und gesteuerte Zuwanderung entwickeln.


Der Wille ist da

FDP-Chef Christian Lindner betonte die Bedeutung der Bildungspolitik für seine Partei. Die FDP sei besonders für ein Thema gewählt worden: „Das war nicht der Solidaritätszuschlag, sondern das war die Frage einer neuen, modernen zeitgemäßen Bildungspolitik.“ Er fügte hinzu: „Wir gehen jetzt in die entscheidende Schlussphase dieser als Sondierung getarnten Koalitionsverhandlungen.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: „Die Zeit des Schattenboxens ist vorbei.“ Der Wille aller sei groß, „zu zeigen, dass auch eine so komplizierte politische Aufgabe gelingen kann“. Dobrindt nannte ein gemeinsames Vorgehen gegen die AfD als einen Grund für die Bildung eines Jamaika-Bündnisses. Eine Rechtsaußenpartei dürfe sich in Deutschland nicht etablieren.

Dobrindt sagte weiter, es gehe nun darum, „ein Vertrauen zu schaffen, das dann in der Lage ist, auch vier Jahre Regierungsarbeit zu ermöglichen“. Auch Göring-Eckardt betonte, es gehe um eine stabile Regierung für die nächsten vier Jahre, „wo es nicht Freundschaft geben muss, aber gegenseitigen Respekt und Vertrauen“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) drückte ebenfalls aufs Tempo. „Es war jetzt genügend Zeit zum Sondieren. Die Menschen in unserem Land erwarten jetzt auch, dass es mal vorwärts geht.“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff forderte in der Klimadebatte den Erhalt von Arbeitsplätzen im Osten. „Bevor wir über die Braunkohle nachdenken, die ihren Strukturwandel schon hinter sich hat, ist erst mal die veraltete Steinkohle dran in den alten Bundesländern, da ist viel rauszuholen“, sagte der CDU-Politiker. Betriebsräte in der Lausitz befürchten den Wegfall von 20.000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen in der ostdeutschen Kohleregion, falls die Kohlestromproduktion wie von Merkel angeboten um sieben Gigawatt reduziert wird.

Nicht nur Klimaschützer demonstrieren in diesen Tagen regelmäßig am Rande der Jamaika-Sondierungen - auch die Gegner eines Kohleausstiegs sind sicht- und hörbar. Am Samstag begrüßten mehr als ein Dutzend von ihnen aus der Lausitz die Jamaika-Unterhändler an der Berliner CDU-Zentrale mit Pfiffen. „Wenn ihr heute den Kohleausstieg wollt, dann bekommt ihr morgen den Blackout“, stand auf einem Banner.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles geht davon aus, dass ein Jamaika-Bündnis zustandekommen wird. „Das wird eine Koalition des Misstrauens, in der ein permanentes Gegeneinander herrscht, jeder nur seine eigenen Karten spielt, ein Zusammenspiel nicht stattfindet“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der stellvertretende SPD-Chef und Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz bekräftigte die Oppositionsrolle seiner Partei im Bund. „Wir stehen nicht bereit“, sagte er bei einem SPD-Landesparteitag in Hamburg für den Fall eines Scheiterns der Jamaika-Verhandlungen.

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