Jamaika-Sondierungen Merkel fordert Kompromissbereitschaft aller Partner

Einigkeit sieht anders aus: Bei den Sondierungsgesprächen herrscht weiterhin Zwist bei den Themen Klima, Soli und Flucht. Grünen-Sondierer Kretschmann plädiert indes für mehr Pragmatismus in der Klimapolitik.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt am Sonntag zur einer weiteren Runde bei den Sondierungsverhandlungen. Quelle: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor Beginn der entscheidenden Jamaika-Sondierungswoche Kompromissbereitschaft von allen Seiten gefordert. "Aus meiner Sicht kann bei gutem Willen eine Lösung erzielt werden", sagte Merkel am Sonntag unmittelbar vor eine Abstimmungsrunde der Chefs von CDU, CSU, FDP und der beiden Chefunterhändler der Grünen in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin. "Ob das der Fall ist, wissen wir allerdings erst Ende der kommenden Woche", fügte sie mit Blick auf die am Donnerstag vorgesehene Schlussrunde der Sondierungen über die Bildung einer Koalition hinzu. Bei dem Gespräch am Abend sollte es nach Worten von FDP-Chef Christian Lindner auch um die Streitthemen Klimaschutz und Migration gehen.

Merkel sagte, nun gehe es in die dritte Phase der Sondierung. In der ersten Phase habe man eine Materialsammlung gemacht. In der zweiten Phase habe man die Themen "verdichtet" und festgestellt, wo Differenzen seien: "In der dritten Etappe heißt die Aufgabe, Kompromisse zu finden." Dies sei durchaus eine große Aufgabe.

Der Grünen-Unterhändler Winfried Kretschmann mahnte zuvor zu mehr Pragmatismus beim Streitthema Klimaschutz und zu Umsicht beim Setzen zeitlicher Ziele. "Quoten und Grenzwerte sind immer gute Instrumente, aber zeitliche Begrenzungen sind das radikalste Instrument, das wir haben. Sinnvoll ist das überhaupt nur bei Technologien, deren Ende absehbar ist", sagte der baden-württembergische Ministerpräsident der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Zuletzt hatten die Grünen ihre Forderung nach einem Verbot der Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor ab 2030 fallengelassen und sich auch beim Kohleausstieg kompromissbereit gezeigt. Sie forderten aber auch mehr Bewegung von Union und FDP.

Kretschmann äußerte er sich auch zum Kohleausstieg zurückhaltend. In der neuen Bundesregierung werde es zwar darauf ankommen, "einen Pfad des Kohleausstiegs zu beschreiben". Was jedoch feste Fristen angehe, erinnere er nur an den Atomausstieg: "Wenn man ein Enddatum verhandelt, dann muss man es hinterher auch einhalten können." Kretschmann verwies auch auf seine frühe Skepsis gegenüber der Entscheidung seiner Partei, für den Verbrennungsmotor ein Enddatum im Jahr 2030 zu setzen. Er sei nicht grundsätzlich gegen gesetzliche Vorgaben, nur der Zeitpunkt erschiene ihm viel zu früh.

Uneinigkeit über Soli-Abschaffung

Der CDU-Wirtschaftsrat hat vor der von FDP-Chef Christian Lindner ins Gespräch gebrachten stufenweisen Abschaffung des „Soli“ für zunächst geringe und mittlere Einkommen gewarnt. „Karlsruhe wird kaum eine willkürlich gezogene Grenze bei 50.000 Euro Jahreseinkommen oder bei einem anderen Betrag zulassen“, sagte Verbands-Generalsekretär Wolfgang Steiger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Der Solidaritätszuschlag ist eine zweckgebundene Zulage, die für alle auslaufen muss. Das hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgehalten.“

Die bürgerlichen Parteien hätten den „Soli“-Abbau in ihren Wahlprogrammen versprochen, sagte Steiger. „Dahinter zurückzufallen, würde der Mittelstand als gebrochenes Wahlversprechen verstehen.“

FDP-Chef Lindner hatte dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gesagt: „Wir erinnern an unser Modell von 2015, den „Soli“ im ersten Jahr für Einkommen bis 50.000 Euro entfallen zu lassen, im zweiten Jahr und noch vor der nächsten Wahl dann komplett.“ Die FDP will den „Soli“ möglichst sofort abschaffen, die Union in Stufen, die Grünen sind nicht grundsätzlich dagegen, zögern aber beim Wann und Wie.

Steiger sagte nun: „Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Solidaritätszuschlag ist es höchst zweifelhaft, ob eine Streichung nur für einen Teil der Steuerzahler verfassungsgemäß ist.“ Union und FDP würden Hunderttausende Personengesellschaften ohne Entlastung lassen, für die die Einkommensteuer plus Solidaritätszuschlag die eigentliche Unternehmenssteuer sei.

Laut Wirtschaftsrat liegt die „Soli“-Entlastung, die nur Einkommen bis 50.000 Euro einschließen würde, bei gerade einmal 1,3 Milliarden Euro im Jahr. Der vom damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgesehene Abbau in zehn Schritten hätte jeweils eine Entlastung von rund zwei Milliarden Euro vorgesehen, sagte Steiger. „Der Koalitionsvertrag muss alle Abbauschritte beinhalten, die im Bundestag allein ohne Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden könnten.“ Dann müsse das Gesamtpaket im Bundestag für diese Legislaturperiode bindend in einem Gesetz beschlossen werden.

Chefgespräch am Sonntag

Grünen-Chef Cem Özdemir fordert in den Jamaika-Sondierungen mehr Anstrengungen von Union und FDP. Die Ergebnisse genügten bei weitem nicht, sagte Özdemir der "Bild am Sonntag". "Bei der Europa-, Außen- und Innenpolitik, beim bezahlbaren Wohnen, bei guter Arbeit, der Verkehrs- und Agrarwende spüren wir keinerlei Entgegenkommen." Hinzu kämen die größten Baustellen Klimaschutz und Flucht. Es brauche eine deutliche Bewegung auf die Grünen zu. Die verbliebene Verhandlungszeit sollte von nun an konstruktiv genutzt werden.

Am Sonntag soll ein Chefgespräch Klarheit über den weiteren Verlauf der Sondierung bringen, die am Donnerstag beendet werden soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel bemüht sich einen Brückenschlag beim besonders strittigen Thema Klimaschutz. Optimistischer als die Grünen beurteilen CDU und CSU die Lage. "Wenn die Jamaika-Koalition zustande kommt, kann sie unser Land voranbringen", sagte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer ebenfalls der "BamS". Jamaika habe eine Chance wenn sich alle Beteiligten als Bündnis für ganz Deutschland verstehen", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Zeitung. Und auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki äußerte sich gegenüber dem Blatt optimistischer. "Mein Kopf sagt nach wie vor: Nein, das funktioniert nicht. Die Positionen sind zu unterschiedlich. Aber seit zwei Tagen sagt mir mein Gefühl plötzlich: Ja, es könnte was werden. Und mein Gefühl hat mich noch nie getäuscht."

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