Berlin Mühsam sollen die Gespräche der Jamaika-Unterhändler gewesen sein. Lange Zeit ging es bei Union, FDP und Grünen am Dienstagabend in der Parlamentarischen Gesellschaft nicht voran. Immer wieder gab es Rückschläge. Doch nach gut vier Stunden, gegen 22.30 Uhr, gab es dann doch eine Einigung. Die möglichen Koalitionspartner vereinbarten Leitlinien für die Finanzpolitik, die sie auf einem Blatt Papier festhielten.
„Es war ein langer Abend, aber er hat sich gelohnt“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Auch sein CSU-Kollege Andreas Scheuer war zufrieden. Das Papier zeige, dass man konzentriert gearbeitet habe. „Solche Sondierungen sind ja auch kein Wünsch-dir-Was, sondern ein Finden von gemeinsamen Schnittmengen“, so Scheuer. Das Zwischenergebnis könne „eine finanzpolitische Trendwende“ einleiten, sagte FDP-Chef Christian Lindner.
So viel Selbstzufriedenheit der möglichen Jamaika-Partner macht misstrauisch. Schließlich liegen die Parteien in der Finanzpolitik weit auseinander. Und nun soll nach wenigen Stunden der Streit entschärft sein? Nicht wirklich. Das Papier, auf das sich die Unterhändler geeinigt haben, ist einfach hinreichend vage, damit sich jeder darin wiederfinden kann.
Am deutlichsten wird das beim Thema Steuerentlastungen. So versprechen die Jamaika-Partner den „Abbau des Solidaritätszuschlags“. Was das aber genau bedeutet, lassen sie offen. Aus gutem Grund. Denn während die FDP den Soli in dieser Legislaturperiode am liebsten ganz abschaffen würde, will die CDU ihn schrittweise ab 2020 auslaufen lassen. Ansonsten, fürchtet man bei den Christdemokraten, würden die Einnahmeverluste im Bundeshaushalt zu groß. Immerhin geht es um jährlich rund 20 Milliarden Euro.
Schon am nächsten Morgen, wenige Stunden nach der Einigung, interpretieren die Parteien das Ergebnis sehr unterschiedlich. Aus Sicht von FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat man sich am Dienstagabend darauf verständigt, dass der Solidaritätszuschlag „in dieser Legislaturperiode komplett abgebaut“ wird. Das sorgte für Empörung bei den Grünen. „Ich bin sehr pessimistisch, was einen kompletten Abbau des Solis unter diesen Bedingungen angeht“, sagte Grünen-Finanzexperte Jürgen Trittin.
Die Grünen verweisen darauf, dass man sich auch verständigt hat, die schwarze Null zu halten und keine neuen Schulden zu machen. Das begrenzt den Spielraum für mögliche Steuerentlastungen und neue Ausgaben. Das Bundesfinanzministerium beziffert ihn für die komplette Legislaturperiode auf insgesamt 30 Milliarden Euro. Das dürfte konservativ gerechnet sein. Aber selbst wenn es 40 Milliarden Euro sind, wird die vollständige Streichung des Solis schwierig – zumal Jamaika noch weitere Wünsche hat.
Einige tauchen auch bereits in dem Papier von Dienstagabend auf. So verspricht Jamaika die „Entlastung von Familien mit Kindern“. In diesem Punkt finden sich alle Parteien wieder. Die Union hat etwa versprochen, Kindergeld und Kinderfreibetrag anzuheben. Auch die Grünen wollen die Familien entlasten. Auch hier könnten schnell einige Milliarden Euro zusammenkommen.
Und dann werden in dem Papier noch weitere Anliegen aufgelistet wie eine Förderung des Mietwohnungsbaus oder eine steuerliche Forschungsförderung für die Wirtschaft. Auch hierfür braucht eine mögliche Jamaika-Koalition also finanzielle Spielräume. Zumal man gleichzeitig die Investitionen hochfahren will. Um wie viel und in welchen Bereichen, das soll in weiteren Sondierungsrunden geklärt werden.
Deshalb stellen die Grünen auch die Einigung auf den schuldenfreien Haushalt wieder infrage. Während Union und FDP das Papier als Verständigung auf die schwarze Null deuten, ist Trittin zurückhaltender. „Das steht unter dem Vorbehalt, dass wir eine Finanzplanung bekommen, und dass das finanzierbar ist.“
Klarheit über die Spielräume wird die neue Steuerschätzung Anfang November bringen. Danach können die Jamaika-Partner in möglichen Koalitionsverhandlungen die sehr vagen Beschlüsse von Dienstagabend konkretisieren. Angesichts der noch weit auseinanderliegenden Positionen in der Steuer- und Haushaltspolitik dürfte das weitere Nachtsitzungen erfordern.