Jens Spahn Laschet als Aktie? „Damit setzt man auf die Zukunft – gerade ist sie noch leicht unterbewertet“

Jens Spahn, Gesundheitsminister (CDU) im Interview mit Chefredakteur Beat Balzli von der WirtschaftsWoche auf dem „Weltmarktführer Innovation Day“. Quelle: Stefanie Hergenröder für WirtschaftsWoche

In Erlangen findet der zweite „Weltmarktführer Innovation Day“ statt und Chefredakteur Beat Balzli sprach dort mit Gesundheitsminister Jens Spahn über den Kanzlerkandidaten Armin Laschet, die Pandemie und die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ein Interview.

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Wenige Tage vor der Bundestagswahl sieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet noch nicht abgeschrieben. „Auf die Umfragen gebe ich doch gar nichts“, sagt Spahn im Gespräch mit Wiwo-Chefredakteur Beat Balzli beim zweiten „Weltmarktführer Innovation Day“ der WirtschaftsWoche. In Erlangen treffen sich die Entscheider des Mittelstands wie unter anderen Bern Montag, CEO von Siemens Healthineers, und Jan Mrosik, Vorstandsvorsitzender von Knorr-Bremse.

Vor den 250 Gästen spricht Spahn dann auch lieber über seine Erfolge bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, warum er gegen eine Vermögenssteuer ist und was Deutschland von Nigeria lernen kann.

WirtschaftsWoche: Herr Spahn, Sie sind ja ausgebildeter Bankkaufmann. Wenn Armin Laschet eine Aktie wäre, wie würden Sie die den Kunden verkaufen?
Jens Spahn: Ich würde sagen, dass man damit auf die Zukunft setzt. Im Zweifel kann man, wenn man heute kauft, am Sonntag dann wahrscheinlich ziemlich gut abschneiden. Gerade ist sie noch leicht unterbewertet, aber das wird jetzt besser. Das Spannende ist, dass 40 Prozent der Wähler noch unentschieden sind. Man kann also jetzt einsteigen und durch die Wahlentscheidung mithelfen, dass es hochgeht.

War Armin Laschet aus ihrer Sicht im letzten TV-Triell überzeugend?
Ja, weil er am Ende des Tages der Einzige ist, der gelegentlich auch darauf hinweist, dass alles Versprochene auch noch erwirtschaftet werden muss. Als Minister für Pflege und Gesundheit weiß ich eines ziemlich gut: Wir werden älter. Und wenn wir in unserem alternden Land Rente, Gesundheit und Pflege noch 2030 finanzieren wollen, müssen wir noch ein paar Autos in die Welt verkaufen. Wir müssen eine starke, innovative Exportnation bleiben, um soziale Sicherung zu finanzieren. Und Laschet weist da zurecht als Einziger darauf hin.

Dann haben aber all die Deutschen eine andere Sendung als Sie gesehen. In der Blitzumfrage nach dem Triell war SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz weit vor Armin Laschet. Was ist da passiert?
Auf die Umfragen gebe ich doch gar nichts. Lassen wir die Wählerinnen und Wähler doch einfach mal am Sonntag entscheiden. Um 18 Uhr wissen wir dann wie es ist und werden damit umgehen.

Wenn Sie nicht den Demoskopen glauben, dann glauben Sie sicher sich selbst. Die Union wird kommenden Sonntag mit 20 Prozent plus X durchs Ziel gehen. Das ist schon mal klar. Was schätzen Sie denn selbst wie groß X ungefähr sein wird?
Das werden wir am Sonntag sehen.

Und wie groß darf X sein, damit diese Wahl nicht als Waterloo der Union in die Geschichte eingeht? Was ist das Minimum, was Sie erreichen wollen?
Auch das werden wir uns am Sonntag anschauen.

Wenn man sich die Umfrageergebnisse ansieht, gilt Rot-Rot-Grün nicht mehr als unmöglich. Was wäre schlimmer für das Land: Die Vermögenssteuer oder dass die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ihre Nachfolgerin als Gesundheitsministerin wird?
Ich glaube, dass eine Vermögenssteuer, die eine Substanzsteuer ist, für den Standort Deutschland ein Problem wäre. Viele denken erst an die Millionäre. Aber das ist nicht das Vermögen, um das es geht. Es geht um Vermögen, dass in Unternehmen investiert ist. Wenn Sie sich da die Freigrenzen anschauen, ist schon der mittelgroße Handwerksbetrieb in der Substanzbesteuerung. Steuern nicht auf den Gewinn zu zahlen, sondern auf die Substanz, führt dazu, dass Sie weniger Investitionen haben. Da sind wir bei der Frage, ob wir Wachstum anreizen oder ob wir das durch eine Substanzsteuer abwürgen wollen. Die Pandemie hat auch gezeigt: Ein starkes Gesundheitssystem braucht ein starkes Wirtschaftssystem und umgekehrt. Das hängt miteinander zusammen.

Ist es denn vertrauenserweckend, wenn Armin Laschet im Frühsommer finanzielle Entlastungen im Wahlprogramm als nicht finanzierbar kassiert, jetzt aber kurz vor dem Wahltag ein Sofortprogramm präsentiert?
Es geht um das Grundsätzliche. Vor der Pandemie waren es wirtschaftlich gute Jahre für Deutschland, wir hatten Rekordeinnahmen bei den Steuern, obwohl wir Steuern gesenkt hatten. Wir haben nur ein Problem: Was Unternehmen angeht, sind wir mittlerweile ein Hochsteuerland. Deswegen hängt das für mich zusammen. Wenn wir kein attraktiver Standort sind, helfen auch nicht die höchsten Steuersätze. Dann werden wir trotzdem weniger Steuereinnahmen haben. Wenn wir Unternehmenssteuern international wettbewerbsfähig machen, dann sind es keine angeblichen Geschenke für irgendjemanden, sondern es geht darum als Standort in einem Wettbewerb attraktiv zu bleiben.

Jetzt haben Sie meine Frage aber nicht beantwortet. Es ist doch eigentlich ein Schlingerkurs. Erst kassiert man die Entlastung, dann gibt man sie doch wieder. Wirkt das konsequent für einen Unions-Kandidaten?
Entscheidend ist doch die Botschaft, dass wir Anreize für Investitionen setzen und einen attraktiven Standort haben wollen. Das ist auch eine Debatte, die wir gesellschaftlich breiter führen müssen. Vieles ist selbstverständlich geworden, aber die Pandemie hat gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist. Wir geben uns beispielsweise bei der Gesundheit ein großes Versprechen. Jeder bekommt unabhängig vom Einkommen alle medizinisch notwendigen Leistungen. Dass werden wir in einer alternden Wirtschaft nur schaffen, wenn wir eine Exportnation bleiben.

Wie stark beeinflusst Corona den aktuellen Wahlkampf?
Ich habe den Eindruck, dass die allermeisten Bürger sehen, dass wir das Land gut durch diese Pandemie geführt haben. War jede einzelne Entscheidung richtig? Nein. Im Nachhinein hätte man auch manches anders entscheiden können. Der grundsätzliche Kurs war aber richtig. Wir haben ein Gesundheitswesen, das alle Patienten behandeln konnte. Wir haben die Unternehmen finanziell unterstützen können wie kein anderes Land. Das liegt auch an der Schwarzen Null.

Das ist eine steile These, Herr Spahn. Sie haben am Anfang der Pandemie gesagt, man werde sich viel verzeihen müssen. Wenn Sie jetzt zurückblicken: Müssen Sie auch eine Mitverantwortung für die schlechten Umfragewerte übernehmen? Es gab massive Kritik an ihrer Person für das Masken- und Corona-Management.
Hätte ich früher Masken kaufen sollen? Im Nachhinein, ja. In der Not zu kaufen, ist teurer. Hätte ich aber alles so gemacht, wie der Bundesrechnungshof es sich vorstellt, hätte ich bis heute wahrscheinlich noch keine Masken, weil die Ausschreibung noch laufen würde. Und ja, er wird auch kritisieren, dass ich zu viel Impfstoff bestellt habe. Am Anfang haben alle gesagt „Kauft Astra-Zeneca und Curevac“. Hätte ich das gemacht, wäre ich wahrscheinlich gar nicht mehr im Amt. Deswegen haben wir auf viele Impfstoffe gesetzt. Wir haben lieber zu viel als zu wenig. Das habe ich in dieser Pandemie gelernt.

Ein paar Maskenlieferanten sind immer noch sauer auf Sie, weil sie auf das Geld warten. Das wird dann sicher vor Gericht gelöst.
Sie warten auf das Geld, weil wir über Qualität streiten. Wenn nicht geliefert wurde, was bestellt war, zahlen Sie dann einfach? Wir haben das Open-House-Verfahren genutzt, also wer zu bestimmten Bedingungen liefert, dem nehmen wir Ware für einen bestimmten Zeitraum ab. Im Nachhinein hätten wir das Verfahren nicht gebraucht. Ich kann aber kein Steuergeld ausgeben für Qualität, die nicht stimmt. Deshalb sind wir mit dem kleinsten Teil der Lieferanten auch in einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Die Inzidenz und die Hospitalisierungsrate stagnieren aktuell. Querdenker würden jetzt sagen, dass die vierte Welle reine Panikmache ist. Was sagen Sie denen?
Das ist ein Thema, wo es gerade viel Spannung gibt. Mir ist wichtig, dass wir trotzdem im Gespräch bleiben. Ich versuche, immer wieder zu testen, ob ein Gespräch geht. Solange wir noch im Gespräch sind, sind wir irgendwie beieinander, auch wenn wir völlig unterschiedlicher Meinung sind.
95 von 100 Covid-Intensivpatienten sind nicht geimpft. Wir haben eine Pandemie der Ungeimpften. Wir behandeln jeden gleich, egal ob geimpft oder nicht geimpft. Aber die Pflegekräfte sind schon frustriert, weil das wäre jetzt nicht nötig. Wir werben jeden Tag um jede Impfung. Vier von fünf Erwachsenen in Deutschland haben sich aber für eine Impfung entschieden. Dafür bin ich dankbar, weil das ja den entscheidenden Unterschied macht.

Aber trotzdem hinkt Deutschland bei der Impfquote hinterher. Frankreich liegt bei einer Impfquote von 80 Prozent, Italien ist bei 70 Prozent. Die haben viel früher und mit viel drastischeren Maßnahmen zum Sommerbeginn eingegriffen. Warum hat man in Deutschland den Sommer wieder verschlafen? Hätten Sie die Impfwoche nicht schon im Juni machen können?
Wir machen doch schon seit Wochen Impfwochen. Das ist nicht der Punkt. Vor acht, neun Monaten war Impfstoff noch sehr knapp in Deutschland. Wir haben dann am Anfang des Sommers für jeden, der will, die Impfung möglich gemacht. Das ist erst mal ein großer Erfolg. Wir sehen aber auch, dass es die letzten Prozente sind, die immer die schwersten sind zu überzeugen. Und deswegen bieten wir auch niedrigschwellige Impfgelegenheiten wie auf dem Marktplatz, Sportplatz oder Spielplatz an. Das haben wir letzte Woche nochmal gebündelt gemacht. Aber das findet in Wahrheit auch schon seit Wochen statt.

Gibt es denn weitere bundesweite Impfaktionen?
Es gibt jeden Tag Impfaktionen. Die Aktionen vor Ort, die organisiert nicht der Bund. Ich kann aus Berlin heraus nicht auf dem Marktplatz in Erlangen die Aktion organisieren. Das geht nur vor Ort. Das kann der Schützenverein, der Heimatverein, der Sportverein, die Stadtverwaltung. Wir müssen nur dafür sorgen, dass der Rahmen dafür stimmt.

Brauchen wir denn Impfanreize? Arbeitgeberpräsident Dulger hat beispielsweise kürzlich eine staatliche Impfprämie gefordert.
Nein. Ich tue mich schwer mit einem staatlichen Geldbetrag. Was sagen Sie dann den 55 Millionen Menschen, die schon geimpft sind? Gutscheine oder Vergünstigungen von Einzelhändlern oder Gastronomen, finde ich gut. Das könnten wir auch steuerlich anreizen. Wenn keine andere Variante kommt, können wir wahrscheinlich spätestens am 1. April sagen wir gehen zurück in Normalität. Also es ist absehbar, wann wir den Punkt erreichen. Ich würde Ihnen nur gerne durch Impfungen erreichen und nicht durch zu viele Infektionen.

Alle drei Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen schließen den Lockdown aus. Kann man den seriös ausschließen?
Für Geimpfte und Genesene wird es keine weiteren Beschränkungen geben. Das ist geltende Rechtslage.

Corona hat Schwachstellen bei der Digitalisierung offengelegt. Wird in deutschen Gesundheitsämtern immer noch gefaxt oder ist das inzwischen Legende?
Es ist, was die Meldung vom Labor zum Gesundheitsamt angeht, mittlerweile digitalisiert oder elektronisch. Dass werden wir jetzt übrigens auch für alle anderen meldepflichtigen Infektionskrankheiten umsetzen. Was noch nicht voll umgesetzt ist, ist die Vernetzung der Gesundheitsämter mit einer einheitlichen Software wie Sormas. Als ich 2019 in Nigeria war, habe ich beim CDC, der dortigen Gesundheitsbehörde, mehrere Bildschirme, wo die Echtzeitdaten für Masern- und Choleraausbrüche angezeigt wurden, gesehen. Da habe ich gefragt: Wie macht ihr das? „Das ist vom Robert-Koch-Institut entwickelt, Sormas heißt das“, haben die gesagt. Und dann siehst du tatsächlich deutsche Technologie in Nigeria im Echtzeitbetrieb. Und in Deutschland haben wir diese Inselkönigreiche, wo jedes Gesundheitsamt seine eigene Softwares hat. In der Pandemie haben wir es jetzt endlich geschafft, dass die Länder sich zumindest verpflichtet haben, das mit uns umzusetzen. Wenn wir endlich alle Gesundheitsämter in Deutschland, von Flensburg bis Rosenheim, miteinander vernetzt haben und digitalisiert haben, macht das einen Unterschied. Und das bleibt nach dieser Pandemie. Da bin ich sehr sicher.

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Sie haben ja versucht, einige digitale Projekte anzuschieben, und da gab es ja auch viele Hürden, die sie nehmen mussten. Ein Beispiel ist die Digitalisierung der Arztpraxen. Da haben Sie ja mit Strafen gedroht, die Ärzte haben rebelliert und Brandbriefe geschrieben. Die Ärzte wollen auch nicht beim digitalen Impfmonitoring teilnehmen. Sind Sie da komplett gescheitert?
Wir haben 140.000 Praxen in Deutschland und es gibt diejenigen, die haben Lust darauf, diesen Weg mitzugehen. Und es gibt andere, für die es jede Veränderung eine Zumutung. Das war auch bei der Videosprechstunde so. 2019 gab es 3000 Videosprechstunden in ganz Deutschland. Dann kam Corona und allein im ersten Halbjahr 2020 gab es Millionen Videosprechstunden. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Pandemie was getriggert hat, das jetzt auch bleiben wird. Man hat im Alltag gemerkt, dass es die Dinge besser und einfacher macht. Auch die elektronische Patientenakte und das E-Rezept werden den Alltag vereinfachen. Aber dafür müssen wir erst einmal alle vernetzen. Jetzt machen nahezu alle mit. Und manchmal geht es dann auch nur mit einer kleinen Strafzahlung und einer Frist.

Herr Spahn, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr zum Thema: Die Impfkampagne stockt – und der Streit über die richtige Strategie kostet wertvolle Zeit. Dabei ist er unnötig. Viele Erkenntnisse sind nicht neu. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Vakzination.

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