
Als Joachim Gauck am 18. März 2012 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, da begleiteten ihn große Hoffnungen und eine tiefe Sorge gleichermaßen. Der ruhmlose Rücktritt von Christian Wulff als Staatsoberhaupt lag wenige Wochen zurück, und auch die Erinnerung an Horst Köhler, der 2010 als Präsident hingeschmissen hatte, war noch wach. Was, wenn es auch diesmal schiefginge? Ging es nicht.
Dem Ex-Pastor aus Rostock gelang es, dem schwierigen, weil ebenso machtlosen wie doch bedeutenden Amt, Respekt zurückzugewinnen. Und seiner Person große Popularität und hohe Achtung zu sichern. Das war nicht selbstverständlich. Die Wahl Gaucks war ein Risiko, Kanzlerin Angela Merkel, die zweimal bei der Präsidentenkür kein glückliches Händchen bewiesen hatte, wäre eine andere Entscheidung lieber gewesen.
Auf die Frage, ob er Angst vor den hohen Erwartungen habe, sagte Gauck nach seiner Wahl selbstsicher: „Angst ist nicht so mein Lebensthema gewesen.“ Aber er sagte auch: „Liebe Leute, Ihr wisst es doch genau: Ihr habt keinen Heilsbringer oder keinen Heiligen oder keinen Engel, Ihr habt einen Menschen aus der Mitte der Bevölkerung als Bundespräsidenten.“
Gaucks Wegmarken
Diese Rede schlug Wellen: Im Januar 2014 forderte Gauck in einer Ansprache vor der Münchner Sicherheitskonferenz über „Deutschlands Rolle in der Welt“ mehr Mut zu einer aktiven deutschen Außenpolitik - eventuelle Militäreinsätze eingeschlossen. Deutschland könne sich nicht um seine Verantwortung drücken, wenn es um die Verteidigung von Menschenrechten und die Beilegung von Konflikten gehe. Gauck tat mit der Rede das, was ein Bundespräsident idealerweise tut: Er trat eine Debatte los. Sie brachte ihm Anerkennung, aber auch den Vorwurf der Kriegstreiberei ein.
Aufmerksamkeit war Gauck immer dann gewiss, wenn er sich von Kanzlerin Merkel distanzierte. So sagte er im Mai 2012: Merkels Aussage, dass Israels Sicherheit für Deutschland Staatsräson sei, könne sie noch "in enorme Schwierigkeiten" bringen. Kurz darauf beklagte Gauck, die Politik mache den Bürgern das Vorgehen in der Euro-Schuldenkrise nicht ausreichend verständlich: Merkel habe die "Verpflichtung", mehr zu erklären. Wie schnell aus solchen Worten Schlagzeilen werden, erstaunte Gauck selbst. Mit öffentlicher Kritik an Merkel hielt er sich fortan zurück.
Als mutmaßlich letztem Vertreter der Kriegsgeneration im Präsidentenamt war sie Gauck ein Herzensanliegen: die Aussöhnung mit Europäern, die unter der deutschen Besatzung zu leiden hatten. Gauck besuchte Orte, die im Weltkrieg von Deutschen gezielt zerstört worden waren: Lidice in Tschechien, Oradour in Frankreich, Lyngiades in Griechenland, Sant'Anna di Stazzema in Italien. Treffen mit Zeitzeugen endeten mit Umarmungen, Tränen, tiefer Rührung. Mit solchen Begegnungen verlieh Gauck dem Amt auch jenseits der großen Schlagzeilen eine eigene Prägung.
In der Flüchtlingskrise bezog Gauck eine Sowohl-als-auch-Position. Er brachte sie auf den Nenner: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Die Aufnahmekapazität sei bei allem guten Willen begrenzt, „auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen“. Kritiker hätten sich ein beherzteres Eintreten für Flüchtlinge gewünscht. Gauck verwies auf seine Sorge vor einer gesellschaftlichen Spaltung und einem Erstarken rechter Kräfte. Auch dafür fand Gauck einen Begriff, der aufhorchen ließ: Er sprach von einem „Dunkeldeutschland“, in dem Fremde angefeindet würden. Bei einem Besuch im sächsischen Bautzen wurde er dann ausgebuht und als „Volksverräter“ beschimpft.
Als leidenschaftlicher Demokrat nutzte Gauck sein Amt zur Warnung vor autoritärer Machtausübung. In der Türkei kritisierte er 2014 das Demokratiedefizit - und zog sich eine verärgerte Replik von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu: „Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor.“ Auch die Ambitionen von Kreml-Chef Wladimir Putin machten Gauck Sorgen: Aufhorchen ließ er 2014 in Danzig mit einer Warnung vor russischer Aggression. Eine Einladung zu den Olympischen Spielen in Sotschi schlug er aus. Auch gegenüber seinen eigenen Landsleuten in Deutschland trat Gauck gerne als „Demokratielehrer“ auf.
Einen eigenen geschichtspolitischen Akzent setzte Gauck im Umgang mit den Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich. Aus Rücksicht auf türkische Befindlichkeiten vermied die Bundesregierung traditionell die Bezeichnung „Völkermord“. Gauck wich 2015 in seiner Rede zum 100. Jahrestag der Ereignisse von dieser Linie ab und sprach deutlich vom „Völkermord an Armeniern“ – wie danach dann auch der Bundestag. Die Türkei reagierte verärgert: Sie werde dem Bundespräsidenten die Rede „nicht vergessen und nicht verzeihen“, erklärte das Außenministerium in Ankara.
Staatsbesuche zählen zum Kerngeschäft des Bundespräsidenten. Einen heiklen Besuch absolvierte Gauck im März 2014 in Griechenland, wo er auf Vorbehalte wegen Deutschlands strengem Auftreten in der Schuldenkrise und wegen der griechischen Forderungen nach Kriegsreparationen stieß. Gauck machte Mut zu Reformen, äußerte Unbehagen über den Umgang mit der deutschen Kriegsschuld – lehnte Reparationen aber ab. Er wolle „Möglichkeiten von Wiedergutmachung“ sondieren, sagte er. Ergebnisse liegen bislang aber noch nicht vor.
Dabei war der Anfang durchaus mühevoll. Schwerer als von vielen erwartet fiel es dem heute 76-Jährigen, bei aller Wortgewalt durchzudringen mit seinen Botschaften. Eine mit großer Sorgfalt inszenierte Europarede verhallte ohne großes Echo. Sein erklärtes Schwerpunktthema Menschenrechte fand nicht so viel Beachtung wie erhofft.
Doch dann kam der 31. Januar 2014; Gauck hielt vor der Münchener Sicherheitskonferenz seine wohl wichtigste Rede. „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen“, sagte Gauck. Die Konsequenz daraus: Deutschland darf sich nicht wegducken, auch nicht mit Hinweis auf die grauenvolle Nazi-Vergangenheit. „Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein“, erklärte er in München.
Wenige Wochen vorher war bekannt geworden, dass er die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi nicht, wie es üblich gewesen wäre, besuchen wollte. Da war die spätere Annexion der Krim noch kein Thema.
So viel steht fest: Pazifismus ist für den Mann von der Ostsee keine ernstzunehmende Haltung. Und ein Freund Russlands oder des russischen Präsidenten Wladimir Putin wird sicher auch nicht mehr aus dem überzeugten Antikommunisten werden. Das hat natürlich auch mit seiner ungewöhnlichen Biografie zu tun.
Gauck wird am 24. Januar 1940 in Rostock als Sohn eines Seemanns geboren. Der Vater verschwand später in einem sowjetischen Lager, kehrte erst 1955 extrem geschwächt zurück. Viele führen Gaucks Kritik an Russland auf diese einschneidende Erfahrung zurück, wobei er selbst das relativiert. Kritik am totalitären Staat, der Nazis ebenso wie der SED, war immer eine Säule seiner Überzeugungen.
1959 heiratet der Theologie-Student seine Freundin Gerhild, mit der er bis heute verheiratet ist, auch wenn beide seit 1990 getrennt leben. Zehn Jahre später kommt Gauck mit der Journalistin Daniela Schadt zusammen, die ihn 2012 als „First Lady“ ins Schloss Bellevue begleitet.