Joachim Gaucks Abschiedsrede „Demokratie ist kein politisches Versandhaus“

In seiner Abschiedsrede fordert Bundespräsident Gauck mehr Engagement für Krisenprävention und Diplomatie. Der Rechtsstaat verliere, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach erweise.

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Bundespräsident Joachim Gauck hat in einer Rede zum Ende seiner Amtszeit eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“ gefordert. Quelle: AFP

Berlin Zum Ende seiner Amtszeit fordert Bundespräsident Joachim Gauck eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“. Die innere und äußere Sicherheit des Landes müsse gestärkt werden. Vor den rund 200 Gästen, die zu seinem Amtssitz Schloss Bellevue gekommen waren, erinnerte Gauck an seine Antrittsrede aus dem Jahr 2012 unter dem Thema: „Wie soll es aussehen, unser Land?“. Damals hatte er sich der Antwort auf die Frage voller Zuversicht genähert.

Zum Ende seiner Amtszeit ist seine Sicht deutlich pessimistischer. „Nun, nach fast fünf Jahren, bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen“, so Gauck.

Die EU müsse als Folge dieser Erkenntnis ihre Verteidigungsanstrengungen ausweiten. „Ich trete ein für eine unzweideutige Klarstellung gegenüber unseren osteuropäischen Verbündeten: Die Beistandspflicht der Nato gilt ohne Abstriche.“

Es seien „große Anstrengungen notwendig, um es für die Zukunft stark zu machen.“ Eine konsequent pazifistische Haltung hält Gauck für nicht praktikabel. „Die Aussage, es könne niemals eine militärische Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten“, sagte er.

Dass Gauck sich so deutlich für das Verteidigungsbündnis ausspricht, ist wohl auf die Sorgen der osteuropäischen EU- und Nato-Partner vor Russland zurückzuführen. Auch kritische Aussagen des gewählten US-Präsidenten Donald Trump zur Rolle der Nato dürften dabei eine Rolle gespielt haben.

Die Bedrohung durch den islamistischen Terror sei gewachsen. Auf die Terroranschläge der vergangenen Monate müsse Deutschland als starker Staat reagieren . „Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist“, sagte er.

Mehr Sicherheit sei keine Gefahr für die Demokratie, sondern ein Erfordernis zu ihrem Schutz. In der internationalen Politik bekräftigte Gauck seine Forderung, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. „Gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit und an unseren Möglichkeiten könnten und sollten wir deutlich mehr tun.“

Angesichts der Ängste vieler Bürger vor Globalisierung oder starker Einwanderung lobte Gauck die Wehrhaftigkeit der deutschen Demokratie. Er fordert in diesem Zusammenhang, auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Die richtige Antwort auf Nationalisten sei die Maxime „Wir bleiben Deutsche als Europäer“.

Die Trennlinie in der Demokratie verlaufe nicht zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, auch nicht zwischen Christen, Muslimen, Juden oder Atheisten, so der Bundespräsident. „Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten. Es zählt nicht die Herkunft, sondern die Haltung“.

Gerade unter den Einwanderern gebe es viele, die die offene Gesellschaft besonders zu schätzen wissen, weil sie es hier zu Wohlstand gebracht haben und in Frieden leben können. Es gebe allen Grund für dieses Selbstvertrauen und den Stolz auch auf die EU als „einzigartiges Friedens- und Wohlstandsprojekt“.

„Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss“, betonte Gauck. Dass in Teilen der Gesellschaft ein Anspruchsdenken an den Staat entstanden sei, dass Menschen den Staat nur noch als Dienstleister ansehen, sei nicht hinnehmbar. „Die Demokratie ist kein politisches Versandhaus. Demokratie ist Mitgestaltung am eigenen Schicksal“, sagte Gauck. „Unser Land kann nicht jedem Bürger einen gefüllten Tresor schenken“.

Auch die aktuelle Diskussion um Fake-News und ungezügelte Hasskommentare in sozialen Medien griff Gauck in seiner Rede auf: „Wir leben in rauen Zeiten“. Oft sei nicht mehr erkennbar, was wahr ist und was falsch. „Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt.“

Gaucks Amtszeit endet am 18. März. Für eine zweite Amtszeit steht der 76-Jährige nicht zur Verfügung. Am 12. Februar wählt die Bundesversammlung ein neues Staatsoberhaupt. Als wahrscheinlicher Nachfolger gilt Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

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